Start am Samstag Tour de France: Warum das größte Radrennen der Welt noch immer fasziniert

Von Malte Goltsche | 30.06.2023, 12:29 Uhr | Update am 30.06.2023

Am Samstag, 1. Juli, startet die 110. Tour de France. Über mehr als 3400 Kilometer fahren die besten Radprofis der Welt drei Wochen lang durch Frankreich, doch der Start ist in Spanien. Nach den Dopingskandalen der vergangenen Jahrzehnte erarbeitete sich der Radsport wieder Vertrauen - und es lohnt sich, die Tour de France anzuschauen. Denn sie fasziniert bis heute. Fünf Gründe sprechen dafür.

Doping scheint aus der Welt: Doping war im Radsport allgegenwärtig. 1998 stoppten Ermittler Willy Voet, den Masseur des Teams Festina, auf dem Weg zur Tour de France mit Hunderten EPO-Ampullen und Dutzenden Packungen Wachstumshormonen und Amphetaminen. Lance Armstrong, Marco Pantani, Jan Ullrich, Alberto Contador: Eine unvollständige Liste früherer Toursieger, die Doping zugegeben haben oder zumindest zweifelsfrei gedopt haben. Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre war fast jede Tour von Doping-Skandalen überschattet - im Grunde war Doping aber im Hochbelastungssport auf dem Rad schon immer präsent, nur lange geduldet. Der Radsport verlor viel Vertrauen, bei Fans, TV-Sendern und in sich selbst. Das scheint heute anders zu sein. Beobachter bestätigen: Der Radsport und die Tour sind heute wohl sauberer als je zuvor. Ein Dopingfall bei der Tour de France 2023 wäre eine große Überraschung - aber nicht ausgeschlossen. Die neueste Gefahr: Mechanisches Doping. Vor und nach jedem Rennen werden deshalb die Räder der Fahrer auf angebrachte Motoren oder andere technische Hilfsmittel geprüft. Jonas Vingegaard, Sieger im Jahr 2022, sagt: „Es wird immer Zweifel geben, und so sollte es auch sein.“ Er selbst beteuert, sauber zu sein.

Zwei Favoriten - und beide sind sympathisch: Der 26-jährige Däne Vingegaard (Team Jumbo-Visma) gehört auch in diesem Jahr zu den großen Tour-Favoriten. Es wird ein Zweikampf erwartet zwischen ihm und Tadej Pogacar (Team UAE). Der Slowene gewann die Tour 2020 und 2021, bei seinem ersten Triumph war er mit 22 Jahren der zweitjüngste Sieger der Geschichte. Schon im vergangenen Jahr gab es dieses Duell, der Däne siegte überraschend. Beide gelten als Supertalente und könnten den Radsport über Jahre hinaus dominieren. Und dabei sind sie auch noch sympathisch. In der kürzlich erschienen Netflix-Doku „Tour der France: Im Hauptfeld“, die die Tour 2022 beleuchtet, lernt man Vingegaard als bescheidenen und schüchternen Mann kennen. Zu Beginn seiner Karriere arbeitete er morgens in einer Fischfabrik und trat am Nachmittag in die Pedale. Der erste Gratulant bei Vingegaards Erfolgen: Tadej Pogacar, der zuvor schwarze Stunden in den Bergen erlebte.

Aussichtsreiche Deutsche: Lennard Kämna (Team Bora-hansgrohe) ist die größte deutsche Rad-Hoffnung, wird aber nach einem starken neunten Rang beim Giro d‘Italia bei der Tour nicht an den Start gehen. Insgesamt sind sieben Deutsche dabei. Der deutsche Meister Emanuel Buchmann (Bora-hansgrohe) hat inzwischen seine Hoffnungen auf die Gesamtwertung aufgegeben, fungiert als Edelhelfer für den Australier Jai Hindley. Bei starker Form soll Buchmann es womöglich auch mal auf eigene Faust probieren. Chancen auf einen Etappensieg werden Allrounder Georg Zimmermann (Team Intermarché-Circus-Wanty) eingeräumt. Bei seinen bisherigen zwei Teilnahmen präsentierte sich der 25-Jährige schon stark in den Bergen. Und Simon Geschke (Cofidis) will an den letztjährigen Erfolg anknüpfen als der heute 37-Jährige neun Tage lang das Trikot des besten Bergfahrers trug.

Schöne Bilder: Die Tour de France, das ist ein dreiwöchiges Spektakel. Dabei produzieren die Kameras aus diversen Perspektiven vom Helikopter bis zum mitfahrenden Motorrad tolle Bilder, die entweder die facettenreiche Landschaft Frankreichs, fanatsiche Zuschauer oder die völlig erschöpften Sportler zeigen. Auch hier setzte die Netflix-Doku Maßstäbe. „Im Hauptfeld“ war hier wortwörtlich gemeint - so sah man die Enge des Pelotons, in der Millimeter über Stürze, Niederlagen und Triumphe entscheiden können, aus nächster Nähe. Die drei Wochen im Juli mit stundenlanger täglicher TV-Übertragung können so zur (ent)spannenden Sommer-Abwechslung werden.

Sehenswerte Doku in der ARD

Die Legenden: Zwei Tage vor dem Start in Bilbao am Samstag kam in der ARD-Mediathek eine dreiteilige Dokumentation zur Tour heraus. „Mythos Tour“ von Ole Zeisler und Uli Fritz ist ein schneller Ritt durch die Geschichte des Rennens. Von Pantanis Klettererfolgen und späterem Drogentod über die Dopingskandale wie etwa dem des Dänen Michael Rasmussen, der als Gesamtführender von seinem eigenen Team Rabobank aus der Tour 2007 genommen wurde, bis zum aktuellen Schlagabtausch zwischen Vingegaard und Pogacar. Auch die Todesfälle von Tom Simpson 1967 - der Brite starb nach einem Mix von Amphetaminen, Alkohol und Erschöpfung noch am Straßenrand - und Fabio Casartelli, der 1995 während der 15. Etappe verunglückte, werden thematisiert. Die Geschichte der Tour ist eine von sensationellen Triumphen und spektakulären Duellen, vor allem aber eine des Leidens. Und so ist es, wie Guillaume Martin, eine von Frankreichs Tour-Hoffnungen, zum Ende der ersten Folge der Doku sagt: „Wir gehen immer an unsere Grenzen als Mensch. Das ist es, was die Zuschauer fasziniert - das Leiden, dieser Irrsinn. Dass Menschen sich freiwillig einem solchen Leiden unterziehen. Das ist ja schon fast dumm, aber gleichzeitig irgendwie faszinierend.“

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