In Dresden hat ein Zocker eine Gerichtsverhandlung zu illegalen Online-Sportwetten gewonnen. Er bekommt seine Verluste zurück und auch Zinsen. Ein wegweisendes Urteil, das Wettfirmen in den Ruin treiben könnte.
Oliver Kahns einstiger Nebenjob für die „Wette in sicheren Händen“ ist vielen noch präsent, obwohl die Werbekampagne schon mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt. Eine Zeit, wie man heute weiß, in der mehr als 80 Prozent des Online-Glücksspiels illegal auf dem deutschen Markt war, und in der es so gut wie keine Regulierung oder Kontrollen gab. Deshalb müssen sich Wettanbieter seit einiger Zeit immer häufiger vor Gericht verantworten und den Zockern erlittene Verluste zurückerstatten.
Mann verwettet 11.985 Euro
Ende Mai ist jetzt das erste Urteil von einem Oberlandesgericht (OLG) gefallen. Der Mann aus Ostsachsen, der anonym bleiben will, hatte online beim österreichischen Wettanbieter Betano im Jahr 2018 exakt 11.985 Euro verwettet. Seine Verluste plus fünf Prozent Zinsen bekommt er nun zurück. Die Entscheidung des OLG Dresden ist bahnbrechend – weil es weitere Klarheit in die Rechtslage bringt. In künftigen Prozessen dürften sich die Gerichte an diesem Urteil orientieren. Die Chancen von Spielern, ihre Wettverluste zurückzuholen, erhöhen sich damit enorm.
Anwalt Thomas Schopf von der Kanzlei HFS Rechtsanwälte in Ludwigsburg spricht von einer „Bombe“. Online-Wettanbieter müssten jetzt eigentlich Insolvenz anmelden, meint der Jurist auf Nachfrage der Sächsischen Zeitung. Seine Kanzlei hat den Mandanten vor dem OLG Dresden vertreten. Bei der aktuellen Klagewelle – die ersten 200 Urteile sind gesprochen – soll es um Rückzahlungen im zweistelligen Milliardenbereich gehen.
Lizenzen erst seit 2020
Hintergrund des riesigen Rechtsstreits ist, dass nahezu alle Online-Sportwettenanbieter bis zur Neuschreibung des Glücksspielvertrags illegal auf dem deutschen Markt aktiv waren. Dazu gehören auch bekannte Firmen wie Tipico oder bwin, teilt das Anwaltsbüro mit. Nur wusste das lange Zeit kaum jemand – selbst die Spieler nicht. Auch im aktuellen Fall ahnte der frühere Kunde von Betano nichts von dem riesigen Schwarzmarkt, der ihn letztlich in die Spielsucht trieb. „Ich bin noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Hätte ich gewusst, dass es illegal ist, hätte ich wohl nie angefangen und mir viel Ärger gespart. Die Kredite der Verluste zahle ich heute noch ab“, sagt er.
Überhaupt erst seit 2020 gibt es bundesweite Lizenzen für Sportwetten im Internet. Die Vergabe zuvor war immer wieder gescheitert, trotzdem drängten zahlreiche Anbieter von Online-Sportwetten auf den deutschen Markt und boten ihre Wetten jahrelang unkontrolliert an. Daraufhin stellte sich die grundsätzliche Frage: Kann man von den Anbietern Schadenersatz fordern oder nicht?
Verlust kann rückwirkend eingeklagt werden
„Die Rechtslage müsste da doch klar sein, ich kann ja auch nicht einfach ein Restaurant eröffnen, obwohl ich keine Konzession dafür habe. Da machen mir die Behörden den Laden sonst dicht“, findet Florian Friederich. Er ist der Gründer von Chargeback24, einem Start-up aus Stuttgart, das eine Auswertungssoftware für Spiel- und Wettkonten entwickelt hat – und damit die Vorarbeit für Klagen liefert. Andernfalls müsste ein Anwalt jedes Konto mühsam und langwierig auswerten. Doch das Landgericht Görlitz meinte zunächst, dass Betano nichts zurückzahlen muss. Dass das Vergabeverfahren gescheitert ist, könne nicht dazu führen, dass die Sportwettenvermittlung untersagt werde, argumentierte das Gericht. Ausschlaggebend dafür sei aber, ob eine Konzession beantragt wurde. Eine solche Lizenz wollte der österreichische Anbieter bereits seit 2012 haben.
Der Fall ging also zunächst zugunsten von Betano aus – und dann umgehend zur nächsthöheren Instanz. Das OLG Dresden stellt in seinem Urteil nun aber klar, dass die beklagte Firma klar gegen das Verbot von Online-Glücksspiel verstoßen hat. „Das Veranstalten von Online-Spielwetten setzte (...) zwingend die Erteilung einer Konzession durch die zuständige Verwaltungsbehörde voraus. Solange diese nicht erteilt war, bestand das grundsätzliche Verbot fort. Das bloße Recht auf die (künftige) Erteilung einer Konzession kann im Verhältnis zum Spielteilnehmer aus dem verbotenen kein erlaubtes Online-Wettspiel machen“, heißt es in der Urteilsbegründung. Die Geschäfte zwischen Betano und dem Spieler waren also nichtig. Im Jahr 2021 bekam Betano zwar eine gültige Lizenz im gesamtdeutschen Gebiet. Für den aktuellen Fall, bei dem der Spieler 2018 gespielt hat, habe dies allerdings keine Bedeutung, so das OLG Dresden weiter. Bis zu zehn Jahre rückwirkend können die Verluste eingeklagt werden.
„Illegales Glücksspiel hätte niemals geduldet werden dürfen“
Viele Klienten melden sich über das Forum Glücksspielsucht, wenn sie bereits finanziell am Abgrund stehen. Bei den meisten Zockern geht es um deutlich mehr Geld, im Schnitt haben sie nach Angaben der Kanzlei HFS zwischen 30.000 und 40.000 Euro verloren. Bei Thomas Melchior liegen die Verluste sogar im sechsstelligen Bereich. Für den Dresdner, der einst als Bankkaufmann gearbeitet hat, endete die Wettspielsucht schließlich im Gefängnis. Insgesamt 800.000 Euro hatte er in 13 Jahren mit Sportwetten im Netz verspielt. Mit Geld, das ihm größtenteils nicht gehörte. Seine Gefängnisstrafe wegen Betrugs und Unterschlagung hat er bis 2022 abgesessenen, nun warnt er öffentlich vor dieser heiklen Thematik.
Melchior versucht, mit Hilfe der Ludwigsburger Anwälte und dem Start-Up einen Teil seiner Spielverluste zurückzuholen. Das Urteil aus Dresden sei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, meint er. „Illegales Glücksspiel hätte niemals geduldet oder beworben werden dürfen. Ich wünsche mir, dass die verantwortlichen Unternehmen jetzt finanziell zur Rechenschaft gezogen werden und möglichst viele Betroffene diese Möglichkeit in Anspruch nehmen“, erklärt der 44-Jährige.
„Die Spielsucht kann alles zerstören“
Die offizielle Zahl Sportwettsüchtiger in Deutschland ist nicht bekannt. Schätzungen bewegen sich mal im fünf-, mal im sechsstelligen Bereich. Die Deutsche Suchthilfe spricht in ihrem Jahresbericht 2022 davon, dass etwa ein Drittel der Sportwetter erste Anzeichen einer Glücksspielstörung zeigen. „Der Markt boomt weiterhin“, meint der anonyme Kläger und kritisiert: „Es gibt unzählige Anbieter, die mit Einzahlungsboni locken – und der Großteil davon, ohne sich an die deutschen Lizenzregeln zu halten. Auch Einzahlungslimits gibt es oft immer noch nicht.“ Seiner Ansicht nach mache die deutsche Politik nichts dagegen, weil die Steuereinnahmen ein Milliardengeschäft seien. Aus eigener Erfahrung sagt er: „Die Spielsucht kann alles zerstören – Familie, Freunde, Beruf. Ich kann nur jedem raten, sich frühzeitig Hilfe zu suchen. Am Ende gewinnt immer die Bank.“ Selbst wenn er jetzt vor Gericht gewonnen hat: Mit der großen Scham lebt er weiter.