15 Jahre lang war Sven Bender Profifußballer – und damit Teil eines Systems, das ihm keinesfalls in allen Facetten gefiel. Im Interview spricht der heutige 34-Jährige über sein neues Leben, Drucksituationen und eine zweite Karriere im Amateurbereich. Außerdem erklärt Bender, warum er nach einer kurzen Auszeit an seiner Trainerlaufbahn bastelt.
Sven Bender und sein Zwillingsbruder Lars wurden am 27. April 1989 in Rosenheim geboren. Vom TSV Brannenburg ging es für Sven über die SpVgg Unterhaching zum Nachwuchs des TSV 1860 München. Im Sommer 2009 wechselte Sven Bender zu Borussia Dortmund, gewann mit dem Club zwei Mal die Meisterschaft (2011, 2012) sowie den DFB-Pokal (2012, 2017) und wurde zum Nationalspieler (sieben Einsätze). Nach vier Jahren bei Bayer Leverkusen beendete er im Sommer 2021 seine Profi-Karriere, kickt jetzt mit Bruder Lars wieder in Brannenburg. Im Sommer stieg das Team in die Kreisliga auf.
Herr Bender, wie schwer oder leicht fiel Ihnen die Umstellung auf ein Leben ohne Profifußball?
Meine Tagesstruktur war natürlich erst mal weg. Das ist in der Sommerpause noch in Ordnung, aber mich haben andere Spieler, die bereits aufgehört hatten, schon gewarnt: Wenn die Sommerpause aufhört, ist die Struktur immer noch weg. Trotzdem hatten mein Bruder und ich genug Ablenkung – mit unternehmerischen Themen, mit dem Freizeitkicken und auch mit Familienzeit. Das ging relativ gut.
Wie sieht Ihr Alltag inzwischen aus?
Das Kicken beim TSV Brannenburg lasse ich mal außen vor, weil es für mich nicht der dominante Faktor ist. Wenn es sich zeitlich ausgeht, mache ich das gerne – aber ich muss es nicht machen. Unternehmerisch und als Co-Trainer der deutschen U-16-Nationalmannschaft ist das vergangene Jahr etwas anspruchsvoller geworden. Gerade beim DFB ist es zeitintensiv, ich bin immer wieder in Blöcken weg von zu Hause. Das macht Bock, weil es auch einfach schön ist, ab und zu mal weg zu sein. Warum? Weil ich es gewohnt bin.
Wie kam‘s zum Trainer-Engagement beim DFB?
Ich war nach dem Karriereende durch mit dem Fußball, wollte auch nur ganz wenige Spiele sehen. Vorher war es 15 Jahre lang sehr extrem. Jemand hat mal zu mir gesagt: Ein Fußballjahr ist gefühlt wie zehn Jahre. Du lebst nie im Hier und Jetzt, nie in der Gegenwart. Entweder hast du das Spiel verloren und lebst in der Vergangenheit oder du hast gewonnen und das nächste Spiel ist wichtig.
Wann kam der DFB ins Spiel?
Der DFB hat in Person von Meikel Schönweitz öfter angerufen und gefragt, ob wir nicht was machen wollen. Anfangs war ich noch nicht bereit dafür, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass der Fußball – die vielleicht größte Liebe meines Lebens – mich nicht loslässt. Ich habe gemerkt, dass ich wieder mehr Fußball im Fernsehen geschaut und auch auf den Amateurplätzen oder beim Kinderfußball genauer hingesehen habe.
Wie ging‘s weiter?
Lars und ich sind nach Frankfurt gefahren, haben klare Ideen gehabt und dort ein bisschen was vorgestellt. Wir haben gemerkt: Irgendwie ist das ganz cool hier. Dann kam der Moment, in dem wir uns gesagt haben: Nur über die Probleme schimpfen, das können viele. Aber versuchen, mit anzupacken und Lösungen zu finden – das ist unser Naturell. Ich hätte mir wahrscheinlich einen Vorwurf gemacht, wenn ich den Perspektivwechsel vom Spieler zum Trainer nie gehabt hätte.
Sie kritisieren, dass dem Profifußball die Demut abhandenkommt. Haben Sie sich bewusst für den Einstieg als Trainer im Jugendbereich entschieden? Dort, wo die jungen Menschen eher zu formen sind.
Gar nicht unbedingt deswegen. Aber ein Posten in diesem Altersbereich war das, was sich ergeben hat. Und ich halte es auch für richtig, im Jugendbereich anzufangen. Das Schwere ist für mich manchmal, dass ich mein Wissen auf Profi-Niveau gesammelt habe. Jetzt arbeite ich mit Jugendlichen. Es geht also viel darum, wie ich das Wissen, dass ich mir angeeignet habe, den jungen Leuten richtig vermitteln kann. Es geht darum, fair und gerecht zu sein.
Sie haben in Ihrer Präsentation drei Trainer genannt, die Sie und Ihren Bruder am meisten geprägt haben: Horst Hrubesch, Jürgen Klopp und Jupp Heynckes. Wie schwer ist es, aus all den Erfahrungen einen eigenen Stil zu entwickeln?
Natürlich habe ich von den Kollegen (lacht) ein bisschen was mitgenommen und viel gelernt. Ich habe schon als Spieler häufiger versucht, mich in den Trainer hineinzuversetzen. Man sieht schnell nur sich selbst und ärgert sich zum Beispiel, wenn man nicht spielt. Versetzt man sich aber in die Situation des Trainers, merkt man, dass der über 26 Spieler entscheiden muss. Ich habe schon als Aktiver den Perspektivwechsel versucht, um nicht zu emotional oder impulsiv zu sein. Davon nehme ich viel mit, aber jetzt geht es um einen eigenen Stil. Ich nehme total viel auf, was U-16-Cheftrainer Michael Prus und Co-Trainer Janis Hohenhövel von sich geben. Ich lerne bei jedem Lehrgang unfassbar viel – und es tut mir total gut, dass ich das über einen Bereich des Fußballs sagen kann. Das macht mich demütig. Der Trainerjob ist schwer, es gehört ganz, ganz viel dazu.
Fußballer wie André Schürrle und Benedikt Höwedes haben nach ihrem Karriereende über den großen Druck gesprochen, der im Profigeschäft jahrelang auf einem lastet. Inwieweit war das für Sie ein Thema?
Einerseits ist es vielleicht der größte Druck, dem man sich aussetzen kann – Fußball vor Kameras, vor was weiß ich wie vielen Menschen. Andererseits ist es für mich die größte Sehnsucht, es ist fast wie eine Droge. Ich will keine Droge verherrlichen, die sind alle Mist. Aber ich brauchte das als Fußballer: Ich musste da raus, musste spielen. Wenn ich besonders angespannt war, war ich froh, wenn angepfiffen worden war. Weil dann kam das, was ich konnte, was ich immer gemacht habe. Trotzdem ist Druck ein Riesen-Thema. Ich finde, es gehört zum Fußball. Das macht auch den Reiz aus. Eigentlich sind die Erwartungen der Menschen nie so groß, wie die, die du selbst an dich hast. Es ist aber natürlich nichts Normales, in einem Fußballstadion vor zig tausend Zuschauern zu spielen. Normalerweise würde da ein Fluchtinstinkt einsetzen und der Mensch würde der Situation entkommen wollen.
Sie kritisieren, in welche Richtung sich der Fußball entwickelt hat. Sehen Sie auch Positives?
Ich finde, dass ein Arschtritt wie früher von so manchem Trainer nicht mehr sein muss – auch wenn es mal ein bisschen härter zugehen darf. Was ich heute top finde, ist, dass sich die jungen Leute weniger einen Kopf machen. Sie haben eine gewisse Lebenslockerheit. Sie machen auf dem Platz einfach mal – und man sollte ihnen vertrauen. Diese Lockerheit habe ich erst mit der Zeit entwickelt. Irgendwann habe ich verstanden, dass ich 90 Minuten Vollgas geben kann und mein Privatleben danach nichts mit dem Spiel zu tun hat.
Sie sagen ganz ehrlich, dass Sie manches Bundesligaspiel bestritten haben, obwohl das gesundheitlich nicht clever war. Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie in der Kreisklasse für den TSV Brannenburg auflaufen?
Für 90 Minuten kann ich die Kräfte aufwenden, aber an den folgenden zwei Tagen brauche ich mit Sport gar nicht erst anfangen. Da sind meine Baustellen doch zu groß – aber es stört mich eben nicht im Alltag. Ich habe keinen Druck, muss nicht in drei Tagen wieder fit sein fürs nächste Spiel. Ich hätte mir im Nachhinein wahrscheinlich einen viel größeren Vorwurf gemacht, wenn ich noch ein Profi-Jahr drangehängt und danach nicht mehr mit meinen Freunden hätte kicken können. Das wäre das Schlimmste gewesen.
Wie haben Sie als Ex-Dortmunder den letzten Bundesliga-Spieltag verdaut?
Mir hat das schon wehgetan. Ich habe miterlebt, wie schön und besonders es ist, wenn die Leute in Dortmund einen Erfolg feiern. Das ist schon extrem, was da dann los ist. Ich habe es mir gewünscht und gehofft, dass der BVB Meister wird. Eigentlich war alles serviert, gerade mit dieser Euphorie der Fans. Aber: Wer am Ende oben steht, der hat es verdient. Der Fußball ist nicht immer fair, der ist auch manchmal ungerecht