Der Pay-TV-Sender Sky will die Übertragung der Bundesliga zukünftig ausweiten und „auch unter der Woche“ über die Vereine berichten. Unser Kolumnist Udo Muras fragt sich: Gibt es bald Live-Schalten in die Umkleidekabinen? Und wie authentisch wäre das wohl?
Es ist ein langgehegter Journalistentraum: Immer dabei sein, wenn was passiert, keiner schickt einen weg. Keine Türen schnappen zu, keine Türsteher bauen sich vor einem auf, alle heißen einen herzlich willkommen und sagen einem immer nur die Wahrheit. Und alles, was man zu sehen bekommt, ist echt. Im deutschen Fußball soll es nun so kommen, ansonsten bleiben bei Sky die Kameras aus.
So die unausgesprochene Drohung. Nicht zu dieser nun beginnenden Saison, aber schon zur nächsten, wenn ein neues Rechtepaket ausgehandelt wird, will der Pay TV-Sender von der Bundesliga mehr bekommen für sein Geld. Sie wollen näher ran an die Akteure, hat der Sky-Sportchef, ein Herr Claasen, postuliert und am besten in der Kabine dabei sein – „auch unter der Woche“.
Wird die Bundesliga boulevardisiert?
Bei diesem Satz dürfte ein geschätzter, mittlerweile nur noch aus dem Sessel zuschauender TV-Kollege, senkrecht in selbigem gestanden haben. Reinhold Beckmann hat schließlich das Patent auf die
Boulevardisierung des Bundesligafußballs, als er Anfang der Neunziger mit Sat.1-ran die Branche aufmischte.

Außer teils allzu schriller Spielberichte am Wochenende, wo die Frisuren der Spielerfrauen auf der Tribüne wichtiger als der Kick selbst waren, führte Beckmann „täglich ran“ ein und gab seinen Reportern mit auf den Weg: „Wenn nichts los ist, dann macht was los!“ Und so drückten sie dem Trainer Christoph Daum im Namen seines Rivalen Peter Neururer einen Blumenstrauß zur Versöhnung in die Hand, den Daum mit den Worten „Den können Sie behalten“ ablehnte. Sat.1 war es egal, sie brauchten ja nur Stoff für ihre tägliche Vorabendsendung.
Live-Übertragung aus der Kabine?
Live aus der Kabine, wie es sich nun der Sky-Boss erträumt, hat auch Beckmanns wilde Truppe nie berichtet. Das war immer noch das Privileg des ZDF-Trüffelschweins Rolf Töpperwien, aber der traf auf dankbare Objekte der Berichterstattung: vor und nach Pokalspielen fiel ein bisschen Licht auf Amateurklubs, die sonst im Schatten gediehen.
Die Kabinentüren der Bundesliga blieben zu und wer je als Journalist in diesem Umfeld gearbeitet hat, weiß wie viel Einfallstore noch geschlossen wurden seitdem. Vorbei die Zeiten, als Bayern-Pressesprecher Markus Hörwick den Journalisten noch Telefonlisten mit den Spielernamen zuschickte. Unvorstellbar heutzutage, einfach mal bei Harry Kane anzurufen.
Berateragenturen der Spieler und Medienabteilungen der Klubs kontrollieren alles, was nach außen dringt. Interviews werden bei der Autorisierung bis zur Unkenntlichkeit entstellt und Kommunikationsexperten drillen die Spieler, was sie vor Kameras sagen sollen.
So tief kann der Fußball doch nicht sinken?
Das lernen sie auch beim Vereins-TV, wo es nur Gute-Laune-Filmchen am Rande der Wahrhaftigkeit gibt.
Frustrierte Reservespieler haben längst kein Forum mehr außer dem eigenen sozialen Medium, aber da schaut in der Regel auch noch jemand drüber. So entwickeln wir lauter coole Typen, die beim ersten Gegenwind umkippen.

Der deutsche Fußball ist derzeit auf einem niedrigen Niveau, aber nie kann er so tief sinken wie auf das Niveau der Fieldinterviews nach Abpfiff vor Sponsorenwänden, wenn die inoffizielle Meisterschaft im Floskeldreschen ausgetragen wird. Achten Sie mal drauf: 90 Prozent der Kicker und Trainer beginnen ihre Sätze mit „Ich glaub…“, selbst wenn sie nach ihrem Namen, dem Wochentag oder dem Spielausgang gefragt werden würden.
Wird Fußball zum Reality-TV?
Von daher ist jede Initiative, etwas gegen das Modell des dressierten Spielers zu unternehmen, zu begrüßen. Aber dass sich die Kicker unter Aufsicht der Öffentlichkeit so ungezwungen gäben, wie ohne laufende Kameras in der Kabine, sollte niemand erwarten. Es führt nur dazu, dass die Generation Tiktok nicht nur auf dem Platz schauspielern wird.
Ganz so viel passiert in einer Kabine sowieso nicht, seit Typen der Kategorie Effenberg oder Sammer ausgestorben sind und selbst für Wutanfälle angesichts zunehmend internationaler Kader Dolmetscher gebraucht werden. Im Übrigen wäre es gegen jeden Sportsgeist, wenn taktische Umstellungen der Trainer eins zu eins in der Nachbarkabine ankämen.
Wem diese Einwände nicht genügen, der sollte sich einfach mal fragen: nehmen sich unsere Jungmillionäre nicht schon wichtig genug? Wollen wir wirklich Leroy Sané beim Föhnen zusehen? Gebt ihnen nicht noch diese Plattform und lasst dem Fußball ein letztes Refugium an Ursprünglichkeit – die Kabine muss heilig bleiben.