Serie: Die Bundesliga vor dem Saisonstart Bayer Leverkusen: Welt-Auswahl auf Vize-Kurs?

Von Thomas Schulz | 02.08.2022, 15:36 Uhr

Bayer Leverkusen hat eine wahre Top-Mannschaft zusammen – doch zu was reicht das am Ende der Saison? Ein Überblick.

Sind die Zugänge besser als die Abgänge?

Minimal, was aber nicht an der Qualität sondern an der Quantität der Transfers liegt. Schließlich steht lediglich zwei Abgängen nur ein Zugang gegenüber. Im defensiven Mittelfeldspieler Julian Baumgartlinger (34/vereinslos) sowie Mittelstürmer Lucas Alario (29/für sechs Millionen Euro zu Eintracht Frankfurt) verließen das Team zwei Akteure, die unter Trainer Gerardo Seoane keine Rolle mehr spielten. Daher bedeutet der Zugang von Adam Hlozek (19/kam für 13 Millionen Euro von Sparta Prag) ein sportliches Plus. Der Tscheche gilt als großes Talent und soll auch mit Hilfe seines Landmannes Patrik Schick behutsam an das Niveau der Bundesliga herangeführt werden. Kurzfristig wird Hlozek bereits Ausrufezeichen setzen können, mittelfristig dann eine echte Verstärkung darstellen. Überdies steht der schon im vergangenen Januar für 2,5 Millionen Euro von Zenit St. Petersburg geholte Offensiv-Allrounder Sardar Azmoun nun voll im Saft. Der Iraner wird Leverkusen nach auskurierter Verletzung nun viel Freude bereiten.

Reicht die Kader-Qualität für einen langen Tanz auf den drei Hochzeiten?

Schnell und gerne wird bei einem Verein in der heutigen Zeit vom „besten Kader aller Zeiten“ gesprochen. In Leverkusen sind jedoch tatsächlich alle Positionen nicht nur doppelt, sondern auch doppelt gut besetzt. Problemlos lassen sich zwei Mannschaften zusammenstellen, die beide konkurrenzfähig sind. Ohne Ausfälle könnte eine Elf mit Hradecky, Frimpong, Tah, Hincapie, Bakker, Andrich, Aranguiz, Diaby, Wirtz, Azmoun und Schick in der Halbzeit von Lunev, Fosu-Mensah, Kossounou, Tapsoba, Sinkgraven, Palacios, Demirbay, Bellarabi, Hlozek, Adli und Bravo ersetzt werden. Da wird die Luft selbst für gestandene Profis dünn - aus diesem Grund könnten Amiri, Paulinho und Pohjanpalo durchaus noch abgegeben werden. „Paulinho möchte natürlich eine wichtige Rolle spielen. Bei uns ist die Konkurrenz auf seiner Position groß und vielleicht wird es schwierig für ihn. Wie sich diese Personalie bis zur Schließung des Transferfensters entwickelt, bleibt abzuwarten“, sagt Sportdirektor Simon Rolfes.

Die Teams der Bundesliga in der Saison 2022/23

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Wie sieht die Bilanz von Simon Rolfes als verantwortlichem Transfer-Chef aus?

Am 1. Dezember 2018 wurde Rolfes in Leverkusen Sportdirektor, ab Mai 2019 alleinverantwortlich und seit dem 1. Juli dieses Jahres ist er als Nachfolger von Rudi Völler nun zum Geschäftsführer Sport aufgestiegen. Dem 40-Jährigen gelang es nicht nur, starke Zugänge unters Bayer-Kreuz zu lotsen - er schaffte es zudem, diese mit langfristigen Verträgen auszustatten. Dadurch sind ggf. hohe Ablösesummen zu generieren, aktuell aber ist die aus den Kontrakten resultierende geringe Fluktuation im Kader ein echtes Faustpfand. Eine eingespielte Mannschaft erhöht nun mal die Chance auf Erfolg. „Wir haben in unserer Kaderplanung große Klarheit und Stabilität. Das hilft natürlich“, meint Rolfes. Zudem hat er das Heft des Handelns in der Hand und kann so auch das aktuelle Interesse von Neapel, Tottenham und der AC Mailand an Piero Hincapie im Keim ersticken. „Piero Hincapie besitzt einen Vertrag bis 2026. Wir sehen keinen Grund ihn abzugeben. Er hat eine tolle erste Saison absolviert, aber er hat in seiner Entwicklung noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Wir sind glücklich, dass er bei uns spielt. Es gibt bei uns auch keine finanzielle Schmerzgrenze für Piero. Wir haben keine definiert, weil wir keine Ambition haben, ihn abzugeben“, erklärt Rolfes.

Warum ist die Werkself zu einer Welt-Auswahl geworden?

In einer sich immer stärker über den Kommerz definierenden Fußball-Welt muss auch Bayer Leverkusen Werte über Bord werfen. Vorbei die Zeiten, als der Verein dem DFB Nationalspieler ausbildete. In dieser Saison wären vom Kern-Kader lediglich fünf Akteure für die deutsche Nationalmannschaft spielberechtigt. „Bei uns stehen Qualität und Erfolg im Vordergrund. Wir wollen in der Bundesliga unter die ersten vier sowie ein gutes Abschneiden im Pokal und in der Champions League - und dafür brauchen wir im Kader Qualität. Ich hätte nichts dagegen, wenn 20 unserer 25 Akteure für den DFB spielberechtigt wären. Dafür müssten sie aber unseren hohen Ansprüchen entsprechen, und wir müssten sie gleichzeitig mit unserem Budget finanzieren können. Die Frage ist: Warum gibt es nicht mehr genug gute deutsche Spieler auf diesem hohen Niveau? Das müssen wir alle gemeinsam hinterfragen. Der DFB, wir Vereine sowie die Landesverbände in der Verantwortung für den Jugend- und Kinderfußball. Wir müssen schon die Augen offenhalten, ob die jetzige Situation eine kurzfristige ist oder zu einem längerfristigen Trend wird. Aktuell haben wir in dieser Hinsicht sicherlich Nachholpotenzial“, sagt Rolfes.

Wie groß ist die Chance auf den Meisterschafts-Coup?

Der Kader ist eingespielt, die Intensität ob des Konkurrenzkampfes auf jeder Position schon im Training hoch und die individuelle Klasse der einzelnen Spieler groß. Hinzu hat Trainer Gerardo Seoane dem Team durch einstudierte Systeme mit Vierer- und Dreierkette auch während eines Spiels eine taktische Flexibilität implantiert. Allerdings ist der Kader mit einem Durchschnittsalter von 24,7 Jahren sehr jung. Die erneute Qualifikation zur Champions League sollte recht souverän geschafft werden, vielleicht lässt sich sogar die Vize-Meisterschaft erringen. Für mehr aber dürfte der Erfahrungsschatz fehlen, um am Ende auch die Nerven für den ganz großen Wurf behalten zu können.

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