Ein Artikel der Redaktion

Papenburg Vernarbter Ort der ewigen Ruhe

26.01.2007, 23:00 Uhr

Die Narbe ist deutlich zu erkennen. Auch wenn der Grabstein wieder zusammengesetzt wurde: Quer hindurch verläuft eine alte Bruchstelle. Ein Zeugnis der Reichspogromnacht von 1938, als Nazis den jüdischen Friedhof in Aschendorf verwüsteten. Bis 1945 wurden 39 Papenburger Juden in Konzentrationslagern ermordet. Wilhelm Polak kehrte als einziger der Überlebenden hierher zurück. Zum heutigen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus haben wir mit ihm und seiner Frau Inna den jüdischen Friedhof besucht.

"Der stand früher ganz woanders", sagt Wilhelm Polak mit Blick auf den Grabstein seiner früh verstorbenen Mutter. Er war 1938 aus seiner Verankerung gerissen worden, wie viele andere, deren ursprünglicher Standort nicht mehr bestimmt werden konnte. Wilhelm Polaks Großeltern liegen ebenfalls hier in Aschendorf begraben, aber für den Vater und die Stiefmutter des heute 81-Jährigen gibt es keine Ruhestätte - sie sind in den Konzentrationslagern Buchenwald und Stuthof getötet worden.

An den Sterbedaten lässt sich das gewaltsame Ende der jüdischen Gemeinde ablesen: 1937 fand die letzte Vorkriegs-Beerdigung statt, die nächste fast 60 Jahre später, 1994, als Polaks väterlicher Freund Albert Hamburger starb. Das jüngste Grab hat noch keinen Stein - erst im letzten Jahr wurde Inna Polaks Mutter in Aschendorf beerdigt. Shimon Großberg, der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, zu der die Polaks gehören, ist zur Beerdigung hergekommen. Auf eine der wenigen Erhebungen, die die Gegend zu bieten hat. "Jüdische Friedhöfe liegen traditionell immer auf einem Hügel", erklärt Wilhelm Polak.

Früher habe ein anderer Weg zur Straße geführt, erinnert er sich. "Dort war das Tor", sagt er und deutet auf eine Stelle im Zaun, hinter der jetzt nichts als Bäume und Unterholz zu sehen sind.

Aber trotz aller Narben - dieser Ort strahlt heute Ruhe und Frieden aus. Der Wind in den alles überragenden Bäumen rauscht lauter als die Autos auf der Straße nach Tunxdorf, kleine Wege verlaufen zwischen Grabreihen und dichter Rasenfläche, Inschriften deuten weit zurück liegende Lebensgeschichten an.

Dass der Friedhof nach 1945 nicht dem Verfall anheim fiel, liegt an der Reorganisation der jüdischen Gemeinden in Deutschland. "Die meisten Juden waren ja umgebracht worden", sagt Inna Polak, "deshalb sind die Friedhöfe in den Besitz der Landesverbände der jüdischen Gemeinden übergegangen." Diese waren 1950 gegründet worden, um jüdisches Leben wieder entstehen zu lassen. Bodo Riethmüller ist beim Landesverband Niedersachsen in Hannover ehrenamtlicher Beauftragter für die Pflege von insgesamt 210 jüdischen Friedhöfen. Aus der ihm vorliegenden Akte für den Friedhof in Aschendorf geht hervor, dass es nach Kriegsende sechs Jahre gedauert hat, bis die Verwüstungen mit Landesmitteln beseitigt wurden.

Damals, 1951, gehörte der Friedhof noch der "Jewish Trust Corporation for Germany" in London, die sich nach 1945 um jüdische Belange in Deutschland kümmerte. Ein Grundbucheintrag vom Amtsgericht Aschendorf zeigt, dass der Friedhof am 15. Dezember 1959 von dieser Organisation offiziell in den Besitz des Niedersächsischen Landesverbandes überging. Bereits 1957 war laut Akteneintrag aber bei einer Begehung durch den damaligen Regierungsbezirk Osnabrück festgestellt worden, dass der Friedhof nicht im besten Zustand war. Die Einzäunung fehle, das Gelände werde als Durchgang benutzt, heißt es in der Akte. Ein Zaun wurde gesetzt, und "ein Vertragsgärtner gewährleistet seitdem eine Minimalpflege", erklärt Bodo Riethmüller. "Mehr können wir bei der großen Zahl der Friedhöfe in Niedersachsen nicht leisten."

So ist der Bruch, den der Holocaust im jüdischen Leben in Deutschland verursacht hat, überall spürbar, und eben auch auf dem Friedhof in Aschendorf. Aber die Ruhestätte ist nicht vergessen. "Es kommen immer noch ehemalige Papenburger Juden aus dem Ausland, um die Gräber ihrer Familie zu besuchen", erzählt Wilhelm Polak. Auch Nicht-Juden statten dem Friedhof offenbar Besuche ab, berichtet seine Frau. Sie erkenne das an den Blumen, die zuweilen auf Gräbern liegen. "Das ist eine christliche Tradition, wir legen stattdessen kleine Steine auf die Gräber."

Das älteste erhaltene Grab auf dem jüdischen Friedhof Aschendorf stammt aus dem Jahr 1813, aber noch 1931 schrieb die Ems-Zeitung in einer Meldung von einem 183 Jahre alten Grabstein als dem ältesten. Den gibt es heute nicht mehr. Aber er ist sicher nicht bei einer Grab-Auflösung abgebaut worden, denn: "Das ist noch ein Unterschied zu christlichen Friedhöfen", erklärt Inna Polak, "unsere Gräber sind für ewig."