„Bildung darf kein Luxusgut sein“, sagt der neue niedersächsische Kultusminister Grant Hendrik Tonne. Im Interview bei einem Redaktionsbesuch in Papenburg spricht der 41-jährige SPD-Politiker über Quereinsteiger in den Lehrberuf, Besoldung und darüber, was er von einen seiner Amtsvorgänger aus Dörpen lernen kann.
Herr Tonne, Sozialdemokraten erleben turbulente Zeiten. Was sagen Sie zu den „Chaostagen“ und Personalrochaden Ihrer Partei an der Spitze in Berlin?
Es gibt eine klare Erwartungshaltung: Diejenigen, die gewählt worden sind, müssen Verantwortung übernehmen. Personell muss Ruhe einkehren und gearbeitet werden. Das ist die Erwartungshaltung an Politik insgesamt.
Wie schätzen Sie die Stimmung an der SPD-Basis ein?
Ähnlich. Mit der Mitgliederbefragung haben wir das richtige Instrument gewählt. Überflüssige Personaldebatten aber sind eine unnötige Ablenkung.
Einer Ihrer Amtsvorgänger war der CDU-Landtagsabgeordnete Bernd Busemann aus Dörpen. Was können Sie von ihm lernen?
Die Kultusminister und -ministerinnen der Vergangenheit haben alle einen Weg gefunden, dem Amt ihren Stempel aufzudrücken. Der Kollege Busemann ist gelegentlich pragmatisch vorgegangen und hat sich dabei auch von ideologischen Grabenkämpfen gelöst. Darauf lege auch ich durchaus Wert.
Woran denken Sie da zum Beispiel?
In den vergangenen Jahren haben wir uns oft über Überschriften gestritten und sind dadurch abgelenkt worden von den Inhalten – zum Beispiel in der Frage einer landesweiten Unterrichtsversorgung oder beim Thema Inklusion. Das ist ein ausgeprägtes Phänomen in der Bildungspolitik. Ich will schauen, wie wir gemeinsam Schritte nach vorne unternehmen können.
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Bedeutet das auch, weniger ideologisch zu handeln?
Es heißt, eine gesunde Mischung zu finden zwischen aktuellem Handeln und gleichzeitig, eine Vision zu entwickeln: Wie möchte ich eigentlich Bildungspolitik über den Tag und am besten noch über die Wahlperiode hinaus gestalten? Dabei muss auch klar werden, dass Dinge immer auch nur in bestimmten Haushaltsschritten umgesetzt werden können.
Wie Bernd Busemann sind auch Sie von Haus aus Jurist. Was qualifiziert Sie für das Amt des Kultusministers?
Diese Frage müssen andere beantworten als die Betroffenen. Ich kann nur sagen, dass ich motiviert bin, Bildungspolitik zu gestalten – und zwar unabhängig vom beruflichen Hintergrund.
Eine Ihrer Maximen ist: Bildung darf kein Luxusgut sein. Wie lässt sich das verhindern?
Indem man sich anschaut, wie man die bestmöglichen Bildungschancen für jedes Kind erreicht – unabhängig davon, was einem Kind von Haus aus zeitlich oder finanziell mitgegeben werden kann. Wenn wir nicht dafür sorgen, dass alle die gleichen Startbedingungen haben, wird Bildung zum Luxusgut. Das darf nicht passieren. Ein ganz wesentlicher Faktor sind in diesem Zusammenhang Gebühren. Wir haben mit sehr großem Selbstverständnis erkämpft, dass der Schulbesuch gebührenfrei ist. Wir haben die Studiengebühren abgeschafft. Diesen Weg gilt es, weiterzugehen. Deshalb engagieren wir uns derzeit auch so stark bei der Gebührenfreiheit im Kindergarten. Wir sind uns einig, dass die frühkindliche Bildung einen wichtigen Bildungsauftrag hat.
Wie soll in diesem Zusammenhang der von Ihnen propagierte faire Kostenausgleich zwischen Land und Kommunen aussehen?
Wir sind in guten Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden. Der Hinweis der Kommunen, dass gerade bei der frühkindlichen Bildung die Kosten auf die Haushalte drücken, ist richtig. Ich mache selbst seit 20 Jahren auch Kommunalpolitik und weiß, wie die Haushalte aussehen. Die Debatte muss geführt werden, sie darf aber nicht verwechselt werden mit der Debatte, die grundlegenden Finanzen zwischen Land und Kommunen neu zu sortieren. Mit den Kommunen werden derzeit verschiedene Modelle diskutiert, um einen fairen Ausgleich für wegfallende Elternbeiträge zu schaffen. Ich bin da optimistisch.
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In den Schulen wollen Sie die Qualität der Lehre trotz Quereinsteigern wahren. Mit welchem Rezept kann das gelingen?
Als allererstes geht es darum, so viele Stellen wie möglich auszuschreiben – auch zum nächsten Schuljahr – und sie mit grundständig ausgebildeten Lehrkräften zu besetzen. Das alleine wird aber nicht reichen. Deshalb schauen wir uns derzeit das Quereinsteigerverfahren ganz genau an – auch, wie wir die Schulen dabei unterstützen können. Klar ist: Quereinstieg darf nicht zu einem Absinken der Qualität führen. Das wäre auch ein ungerechtfertigtes Signal an alle, die den anspruchsvollen Weg der Ausbildung in Form von Studium und Referendariat auf sich genommen haben. Mein Ziel ist, die Unterrichtsversorgung schnell zu stabilisieren und zwar mit möglichst vielen Lehrkräften. Zusätzlich kümmern wir uns auch um Fragen der Besoldung, der Entlastung und der Entbürokratisierung. Keine der einzelnen Maßnahmen reicht aus, die Kombination macht es.
Was halten Sie davon, wenn beispielsweise regulärer Grundschulunterricht von pädagogischen Mitarbeitern gestaltet wird?
Pädagogische Mitarbeiter sind in Zeiten der Ganztagsschule wichtig, haben aber andere Aufgaben. Ich sage ganz deutlich: Der Unterricht muss von grundständig ausgebildeten Lehrkräften übernommen werden. Unterricht ist Sache der Lehrkräfte.
Der größte Bewerbermangel herrscht an den Grundschulen. Liegt es nur an der Besoldung?
Das wäre zu einfach und würde ja bedeuten: Ändert einfach die Besoldung und dann ist alles gut. Faktisch gibt es aber viele Gründe für den Lehrermangel: Bei den Prognosen für die Schülerzahlen haben sich in den vergangenen Jahren alle geirrt, denn es sind deutlich mehr Schüler als erwartet. Das beruht auf steigenden Geburtenzahlen und auf Zuwanderung. Hier müssen wir Mechanismen entwickeln, das früher und verlässlicher zu erkennen. Zum anderen haben wir die Ausbildung für Grund-, Haupt- und Realschulen verlängert. Dadurch haben wir an einem Ausbildungsjahrgang logischerweise eine Lücke. Die steigenden Schülerzahlen und die Verlängerung der Ausbildung sind exakt im vergangenen Sommer zueinander gekommen. Sie führten zu einem sofort „aufploppenden“ großen Loch. Das kann man nicht einfach zum nächsten Schuljahr schließen. Natürlich kann ich nur dann Leute überzeugen, wenn die Arbeitsbedingungen und die finanziellen Anreize stimmen. Unser Signal muss sein: Es bewegt sich unheimlich viel und wir entwickeln Berufsfelder nach vorne.
Dennoch ist die Frage der Besoldung ein schwerwiegendes Thema in der Diskussion. Lehrergewerkschaften fordern die Gehaltsstufe A 13 für alle. Was halten Sie davon?
Die Forderung ist populär, und wir nehmen sie sehr ernst. Sie ist allerdings nicht sofort umsetzbar. In einem ersten Schritt werden über den Nachtragshaushalt Schulleiter von kleinen Grundschulen von A 12 Z auf A 13 hochgestuft.
(Neuer Kultusminister Tonne will Unterrichtsversorgung verbessern)
Kurze Wege für kurze Beine wird von Politikern im Emsland gerne gesagt, wenn es um den Erhalt kleiner Schulen in der Fläche geht. Der Bund der Steuerzahler fordert hingegen regelmäßig, Zwergschulen wie beispielsweise die Grundschule Bockhorst zu schließen. Welche Strategie verfolgen Sie in dieser Frage?
Hier ist Pragmatismus gefragt. Hier gibt es nicht die eine Lösung, sondern die Schulträger müssen von Fall zu Fall entscheiden. Mit mir gibt es keine Schulstrukturdebatten. Die Entscheidungen treffen die Verantwortlichen vor Ort.
Bei Kindern, die zwischen Juli und September ihr sechstes Lebensjahr vollenden, sollen Eltern die Einschulung künftig um ein Jahr verschieben können. Worin sehen Sie die Vorteile bei der Flexibilität des Einschulungsjahres?
Ganz einfach: Die Entwicklungsstände von Vorschulkindern sind unterschiedlich. Eltern sollen in eigener Verantwortung entscheiden können.
Wie geht es bei der Inklusion weiter?
Dieses Thema wurde zuletzt sehr emotional diskutiert. Dabei wurde ein bisschen vergessen: Was möchten wir eigentlich erreichen? Unser Ziel ist eine inklusive Schule. Das heißt, jedes Kind, das inklusiv beschult werden möchte, wird jetzt und in Zukunft inklusiv beschult. Aber auch hier gilt: Es gibt nicht den einen richtigen Weg, sondern von Region zu Region Unterschiede. Wir akzeptieren, dass unterschiedliche Modelle gewünscht werden. Die wollen wir landesseitig ermöglichen. Die Förderschule Lernen im Sekundarbereich I ist nicht, wie ursprünglich beschlossen, auslaufend und dann weg, sondern Schulträger können sagen: Wir möchten eine Verlängerung. Wir wollen den Bedarfen vor Ort entgegenkommen. Dazu gehört auch, alle Beteiligten mitzunehmen, Emotionen rauszunehmen, vernünftige konzeptionelle Überlegungen anzustellen und eine gute personelle Ausstattung zu gewährleisten.