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Vortrag zum 7. Altenbericht Gedankenfeuerwerk zur Zukunft der Gesellschaft

Von Marie-Luise Braun, Marie-Luise Braun | 08.07.2017, 14:16 Uhr

Wie wollen wir im Alter leben? Um diese Frage drehte sich der Vortrag des Heidelberger Altersforschers Andreas Kruse. Fast zwei Stunden lang sprach der Gerontologe im Ledenhof über die Ideen hinter dem siebten Altenbericht der Bundesregierung. Kruse hatte die Expertenkommission geleitet, die den Bericht erarbeitet hat.

Es war ein Gedankenfeuerwerk über die Zukunft unserer Gesellschaft, das im überfüllten Saal des Ledenhofs auf die Zuschauer niederprasselte. Denn es war weit mehr als ein Vortrag über den siebten Altenbericht der Bundesregierung, was Andreas Kruse, Professor für Gerontologie an der Universität Heidelberg, präsentierte. Der Psychologe und Musiker unterfütterte die Ideen mit Zitaten aus der Literatur und Beispielen aus der Geschichte, zeigte Möglichkeiten persönlichen Engagements und schadhafte Strukturen auf.

Ohne Beziehungen kann man kein gutes Leben führen

„Caring Communities als Zukunftsmodell“ lautete der Titel der Veranstaltung, zu dem das Institut für Gesundheitswissenschaften und Bildung der Universität Osnabrück eingeladen hatte. Dabei bekannte der Altersforscher, dass er den Begriff „care“ eigentlich unpassend findet, denn der würde nur das Helfen für alte Menschen in den Fokus rücken. Wichtig sei aber auch, dass Senioren selbst Sorge tragen – für sich und für andere: „Ohne Beziehungen kann man kein gutes Leben führen“, resümierte Andreas Kruse, nachdem er Gedanken von Hanna Arendt, Simon Dach und anderen klugen Köpfen über das menschliche Miteinander zitiert hatte.

Der Pflegenotstand ist Realität

Andreas Kruse war Vorsitzender der Experten-Kommission, die den siebten Altenbericht der Bundesregierung verfasst hat. Im April war der Bericht vorgestellt worden. Nach und nach entwickelte Kruse im Ledenhof ein Szenario zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft angesichts des demografischen Wandels – den er auch als Chance für unsere Gesellschaft sieht: Es wird immer mehr alte Menschen im Verhältnis zu jüngeren geben, zudem würden immer mehr Menschen, beispielsweise durch Demenz, pflegebedürftig werden. Das könne das Gesundheitssystem in der heutigen Form nicht auffangen. Zumal der Pflegenotstand bereits Realität sei. „Ab dem Jahr 2030 wird es einen signifikanten Pflegenotstand geben“, rechnete Kruse vor. Und: „Ab 2030 werden 16 Prozent der Alten im Prekariat leben.“

Derzeit werde ein Großteil der Pflege von den Familien getragen. „Familie kann das Maß an pflegerischer Versorgung aber bald nicht mehr leisten“, betonte Kruse angesichts der steigenden Zahlen von Single-Haushalten und Kinderlosigkeit.

Sorgende Gemeinschaften

Die Lösung? Sorgende Gemeinschaften, wie Kruse den Begriff „Caring Communities“ übersetzt. Zu einer solchen Gemeinschaft sollen sich die Kommunen entwickeln. Die Voraussetzungen dafür könnten über eine aktivierende Seniorenpolitik geschaffen werden, die in Kooperation mit weiteren gesellschaftlichen Akteuren umgesetzt wird. Durch kommunalpolitische Instrumente soll zudem das freiwillige Engagement gefördert werden. „Das setzt aber voraus, dass die Kommunen den Wandel als ihre Aufgabe betrachten“, merkte Andreas Kruse an. Der demografische Wandel müsse zum Leitbild der Kommunen werden.

Frage der Finanzierung

Nicht jede Kommune könne sich so ein Konzept leisten, meinte Kruse und stellte Gemeinden wie Starnberg in Bayern und Anklam im Osten der Republik einander gegenüber. „Es ist Aufgabe des Staates, die Kommunen mit entsprechenden Ressourcen auszustatten“, hob Kruse hervor, der einen Mehrgenerationen-Ansatz befürwortet. Angesichts der Situation in ländlichen Gemeinden merkte er am Ende an: „Ich wundere mich, dass die Sicherung der Pflege in ländlichen Regionen nicht zum Wahlkampf-Thema wird.“

Der siebte Altenbericht kann kostenlos heruntergeladen werden unter www.siebter-altebericht.de

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