Gesundheitsexperten sind besorgt über antibiotika-resistente Keime in Flüssen und Badeseen. Im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks wurden Wasser- und Sedimentproben von zwölf verschiedenen Orten in Niedersachsen im Labor getestet, darunter auch Osnabrück. Ergebnis: An allen untersuchten Orten waren den Angaben zufolge sogenannte multiresistente Erreger nachweisbar.
„Das ist wirklich alarmierend“, sagte Tim Eckmanns vom Robert Koch-Institut dem NDR. „Die Erreger sind anscheinend in der Umwelt angekommen und das in einem Ausmaß, das mich überrascht.“
Klar war zwar bislang, dass Antibiotika-resistente Erreger in der Umwelt zu finden sind und sich dort ausbreiten können. Wie stark Gewässer belastet sind, ist allerdings weitgehend unbekannt, da es bislang keine systematischen Kontrollen auf solche Erreger gibt.
Die Proben, die der NDR nahm, untersuchten renommierte Wissenschaftler der Technischen Universität Dresden und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung am Universitätsklinikum Gießen. Von den Ergebnissen zeigten auch sie sich überrascht. Sie wiesen in den Proben von allen Orten multiresistente Erreger nach – und auch Resistenzen gegen wichtige Reserve-Antibiotika, heißt es in einer Pressemitteilung des NDR. Der Gewässerforscher Prof. Thomas Berendonk von der Technischen Universität Dresden sagte in einem Interview für die NDR-Sendung „Panorama – die Reporter“, die Funde bereiteten ihm Sorge. Wenn ein Mensch mit einem solchen Bakterium kolonisiert sei, könne dies ein Problem sein.
Schwerwiegende Erkrankungen
Bei den gefundenen Keimen handelt es sich um sogenannte multiresistente gram-negative Bakterien (MRGN). Sie bereiten Ärzten seit einigen Jahren größere Sorgen als die bekannten MRSA-Erreger. Denn sie können zu schwerwiegenden Erkrankungen führen, die schwer zu behandeln sind. Und die Zahl der Infektionen durch solche Erreger steigt. Besonders gefährdet sind vorerkrankte Menschen, aber auch Ältere und Neugeborene.
Keime auch in der Hase
Die Kläranlagen in Deutschland sind laut dem Bericht derzeit nicht darauf ausgerichtet, multiresistente Bakterien komplett herauszufiltern. Das aufbereitete Wasser wird in Bäche oder Flüsse eingeleitet. Die NDR-Reporter haben auch an solchen Stellen teils gefährliche und extrem resistente Keime gefunden – etwa in der Hase, kurz hinter dem Ausfluss des kommunalen Klärwerks von Osnabrück.
„Der NDR ist im vergangenen Oktober an uns herangetreten“, berichtet Marco Hörmeyer von den Stadtwerken Osnabrück auf Nachfrage. Andere Stadtwerke hätten auf die Anfrage der Reporter zurückhaltend reagiert, denn mit diesem Ergebnis sei zu rechnen gewesen. Die Stadtwerke Osnabrück haben direkt zugesagt: „Es ist wichtig, dieses Thema zu beleuchten, denn natürlich stehen wir hier vor einer Herausforderung, die wir benennen sollten“, sagt Hörmeyer. Und das möglichst wissenschaftlich, fundiert und ohne Panikmache.
Erreger an Badestränden gefunden
Der NDR hat auch an zwei Badestränden Proben genommen – an der Thülsfelder Talsperre und am Zwischenahner Meer. Dort fanden sich ebenfalls multiresistente Erreger. Unklar ist aber, wie hoch mögliche Gesundheitsgefahren für Badende sind. Bei gesunden Menschen führen solche Erreger in der Regel nicht zu einer Infektion. Bei einer offenen Wunde oder einer eventuell nötigen Operation können sie aber zum Problem werden. Es besteht zudem das Risiko, dass die Bakterien beispielsweise in Kliniken oder Pflegeheime weitergetragen werden.
Tierhaltung als Grund?
In den Proben aus Niedersachsen seien einige Keime dabei gewesen, die ihm größere Sorgen bereiten würden, sagt der Mediziner Can Imirzalioglu vom Universitätsklinikum Gießen.
Besonders kritisch sehen die Wissenschaftler Funde des sogenannten mcr-1-Gens an fünf der zwölf Probenorte. Bakterien, die solch ein Gen in sich tragen, sind resistent gegen das besonders wichtige Reserve-Antibiotikum Colistin. Das Notfallmedikament wird nur in lebensbedrohlichen Situationen eingesetzt, wenn alle anderen Antibiotika versagen.
Wissenschaftler halten es für wahrscheinlich, dass das Resistenzgen aus der Tierhaltung stammt, denn dort wird Colistin im Gegensatz zur Humanmedizin auch in größeren Mengen eingesetzt. Resistente Erreger können aus Ställen beispielsweise über Gülle auf Felder und so in die Umwelt gelangen. Auch Tiere wie Insekten, Vögel oder Hunde können die Keime verbreiten. (Weiterlesen: Gefahr multiresistenter Keime: Landesregierung sieht Erfolge)
Landesministerien sehen keinen Handlungsbedarf
Der NDR befragt mehrere Ministerien zu den Funden. Das Bundesgesundheitsministerium erklärte sich für nicht zuständig und verwies auf das Bundesumweltministerium. Dies wiederum schrieb dem NDR, das Wissen zur Verbreitung von Resistenzen über die Umwelt sei „nicht ausreichend“. Es spricht sich daher für systematische Untersuchungen aus. „Handlungsbedarf besteht zum Beispiel in Badegewässern“, meint das Bundesumweltministerium. Auch eine weitergehende Abwasserreinigung sei zumindest in einigen Gebieten erforderlich. Doch für die Umsetzung verweist das Berliner Ministerium an die Bundesländer.
Zumindest in Niedersachsen schätzen die zuständigen Landesministerien das Gesundheitsrisiko allerdings als gering ein und sehen keinen besonderen Handlungsbedarf. Sie verweisen auf bestehende Vorschriften und Kontrollen. Eine Untersuchung der Gewässer auf Antibiotika-resistente Keime wird als nicht erforderlich angesehen.
Kläranlagen erfüllen Voraussetzungen
Das Umweltministerium in Hannover teilte zu den Kläranlagen mit, sie erfüllten die gesetzlichen Vorgaben. Die Einführung einer zusätzlichen Reinigungsstufe sei „daher derzeit grundsätzlich nicht vorgesehen“. Das Umweltministerium hält lediglich eine Behandlung von Dünger für „zielführend“, um den Eintrag von resistenten Erregern in die Umwelt zu reduzieren. Doch dafür sei Niedersachsens Landwirtschaftsministerium zuständig. Dies wiederum hält eine solche Maßnahme nicht für gerechtfertigt.