Ein Artikel der Redaktion

Serie zum Osnabrücker Wissensforum Pfeifkonzerte, Hasstiraden und Gewalt: Wo endet das Demonstrationsrecht?

Von Bernd J. Hartmann (Gastautor) | 10.01.2018, 07:38 Uhr

Beim 10. Osnabrücker Wissensforum im November 2017 haben 32 Professoren der Universität Osnabrück Fragen von Lesern der Neuen Osnabrücker Zeitung beantwortet. Heute als Beitrag: Pfeifkonzerte, Hasstiraden, Gewalt. Wo endet das Demonstrationsrecht?

Das Demonstrationsrecht ist – juristisch gesehen – Teil der Versammlungsfreiheit. Diese ist auf vielen Ebenen geschützt, nicht nur durch Bundesrecht, sondern auch durch Landes- und Europarecht. Am bekanntesten ist das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, wie es das Grundgesetz in Artikel 8 garantiert. Außerdem gibt es ein (Bundes-)Versammlungsgesetz. Auf Landesebene tritt dasselbe Duett auf: in der Niedersächsischen Verfassung und im Niedersächsischen Versammlungsgesetz. Das Europarecht schützt die Versammlungsfreiheit ebenfalls doppelt: als Europäisches Menschenrecht und als Unionsgrundrecht. Dass es so viele Garantien gibt, zeigt, wie wichtig die Versammlungsfreiheit für die Demokratie, aber auch für die Entfaltung der Persönlichkeit des Einzelnen ist.

„Friedlich und ohne Waffen“

Artikel 8 des Grundgesetzes, auf den ich mich beschränke, gewährt das Recht, sich „friedlich und ohne Waffen zu versammeln“. Unfriedliche Versammlungen sind also von vornherein nicht geschützt. Wer sich auf diese Weise versammelt, kann sich auf die Versammlungsfreiheit nicht berufen. (Weiterlesen: Roboter als Star des Abends beim 10. Osnabrücker Wissensforum)

„Friedlich“ steht nach allgemeiner Ansicht im Gegensatz zu „gewalttätig“. Die Gewalttätigkeit muss – weil „friedlich“ in einem Atemzug mit „ohne Waffen“ auftritt – mit einer Bewaffnung vergleichbar sein. Es genügt also nicht jede körperliche Zwangseinwirkung, nicht jede Behinderung Dritter, sondern es müssen, so das Bundesverfassungsgericht, „Handlungen von einiger Gefährlichkeit“ stattfinden.

Tätige Gewalt nicht geschützt

Damit ist bereits einer der drei Fälle gelöst: Tätige Gewalt, also etwa „aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen“, liegen jenseits des Demonstrationsrechts. Dieses Verhalten schützt die Versammlungsfreiheit nicht.

Pfeifkonzerte dagegen bleiben regelmäßig unterhalb der Schwelle der Gewalt. Gegen ein Pfeifkonzert, mit dem zum Beispiel friedensbewegte Demonstranten den Großen Zapfenstreich der Bundeswehr stören, darf die Staatsgewalt nach richtiger Auffassung erst einschreiten, wenn das Pfeifkonzert eine solche Lautstärke und eine solche Dauerhaftigkeit erreicht, dass es den Zapfenstreich vollständig verhindert oder erheblich behindert. Solange die Pfiffe nur lästig sind, bleiben sie erlaubt.

Was ist mit Hasstiraden?

„Es kommt darauf an“: Dass Differenzierungen geboten sind, gilt auch für Hasstiraden. Erreicht die Tirade ein Ausmaß, dass ein gewalttätiger Verlauf der Versammlung absehbar ist, liegt schon darin eine Unfriedlichkeit – und der Schutz der Versammlungsfreiheit entfällt. Unterhalb dieser Schwelle darf die Staatsgewalt nur dann gegen den hasserfüllten Redner vorgehen, wenn seine Tirade Straftatbestände wie Beleidigung, Verleumdung oder Volksverhetzung erfüllt oder Persönlichkeitsrechte Dritter verletzt.

TEASER-FOTO: