Es ist nicht lange her, da kam eine Schwangere zu ihr. Eine Ausländerin, wie üblich ohne Krankenversicherung. Zudem voller Scham, denn der betrogene Ehemann und die Kinder in der Heimat wussten nicht, dass sie wieder in anderen Umständen ist. Für die Frau gab es nur eine Lösung: Abtreibung. Catherine Flohr ließ das nicht zu.
Sie zeigte der Verzweifelten andere Wege auf, half ihr, stand ihr bei. Als die Frau Monate später mit einem Babyfoto in der Hand zurückkam, freudestrahlend und glücklich, da wusste Flohr: Wir haben Leben gerettet. Mindestens eins.
Catherine Flohr ist der Motor der Malteser-Migranten-Medizin in Osnabrück , eine von zwölf gleichartigen Einrichtungen in Deutschland. Vor fünf Jahren richtete sie die Sprechstunde in der Hasestadt ein, in der sich Einwanderer – legale und illegale – bei Krankheit und Schmerzen kostenlos und unbürokratisch behandeln lassen können.
Einmal pro Woche, dienstags von 10 bis 12 Uhr, ist die Ambulanz in der Bischofsstraße 28 geöffnet. Anfangs kamen ein paar Dutzend Patienten pro Jahr. Inzwischen sind es fast 100, die meisten davon arbeitslose EU-Bürger aus dem Osten. Doch Zahlen sind Catherine Flohr nicht wichtig. „Mir reicht der eine, dem geholfen wird.“
Die Ambulanz nahe dem Marienhospital ist jedenfalls zur festen Größe in der Stadt geworden – zur Anlaufstelle für alle, die nicht krankenversichert sind oder aus anderen Gründen Hemmungen haben, auf dem normalen Weg einen Arzt oder ein Krankenhaus aufzusuchen. Für ihre ehrenamtliche Arbeit bei der Malteser-Migranten-Medizin zeichnet die Stadt Osnabrück die gebürtige Kenianerin jetzt mit dem Yilmaz-Akyürek-Preis für Integration aus.
„Ich freue mich über die Auszeichnung, aber ohne Preis wäre es auch gegangen“, sagt Catherine Flohr, die lieber im Verborgenen, aber dafür umso wirkungsvoller arbeitet. Denn mit den zwei Stunden, in denen die Ambulanz wöchentlich geöffnet hat, ist es für die gelernte Krankenschwester nicht getan. „Danach geht es erst richtig los“, sagt Flohr. Sie muss Ärzte anwerben, die wie sie ihre Freizeit für die gute Sache opfern. Muss Apotheken finden, die Medikamente spenden. Außerdem das Netzwerk zu Praxen und Krankenhäusern ausbauen und pflegen, damit Patienten, deren Leiden die Möglichkeiten der Malteser-Migranten-Medizin übersteigen, andernorts professionell und zügig behandelt werden. Für viele Patienten übernimmt Catherine Flohr auch den Papierkram und setzt sich, wenn es sein muss, mit Behörden in den Heimatländern der Hilfesuchenden auseinander. „Meine Kinder sagen manchmal, unser Haus sei ein Sozialamt“, sagt die dreifache Mutter und lacht. Doch Nachlassen kommt für Catherine Flohr, die als eins von elf Geschwistern Werte wie Solidarität und Verantwortung in die Wiege gelegt bekam, nicht infrage. „Ich darf nicht müde sein und will die Stunden, die ich reinstecke, gar nicht zählen.“
Sechs pensionierte Ärzte hat die 50-Jährige inzwischen um sich geschart, überwiegend ehemalige Hausärzte, neuerdings auch einen Kinderarzt. „Die sind alle sehr motiviert, das treibt mich an“, sagt Flohr. Zu rund 20 örtlichen und regionalen Einrichtungen hält sie einen kurzen Draht, darunter das Frauenhaus , die Caritas und die Hilfsorganisation Solwodi. Viele Besucher der Sprechstunde seien „nicht nur krank, die haben auch viele andere Probleme“. Je nach Herkunft und Kulturkreis glaubten manche an böse Geister und faule Zauber und seien deshalb für reguläre Institutionen schwer erreichbar. Andere hätten Fristen versäumt, Formulare verbummelt oder eine Unterschrift zu wenig gemacht.
„Manchmal fehlt nur ein bisschen Information“, weiß Catherine Flohr. Deshalb hat sie neben ihrem ehrenamtlichen Engagement beim Malteser Hilfsdienst auch den Afro-Info-Pool ins Leben gerufen: eine wachsende Gruppe afrikanischer Einwanderer, die sich dafür einsetzt, dass es ihren Landsleuten in und um Osnabrück gesundheitlich und überhaupt im Leben besser geht.
„Ich bin ja selbst Migrantin“, erklärt Flohr, die mit einem Osnabrücker Frauenarzt verheiratet ist und seit 22 Jahren in Deutschland lebt. „Wer herkommt, muss wissen, wie das Land funktioniert, und sich anpassen. Wir versuchen, die Leute selbstständig zu machen.“
Die Preisverleihung findet am Freitag, 1. März, um 18 Uhr im Friedenssaal des Rathauses statt.#
Stichwort: Yilmaz-Akyürek-Preis
Die Stadt Osnabrück vergibt den Yilmaz-Akyürek-Preis für Integration seit 2009. Die Auszeichnung ist benannt nach dem türkischen Gastarbeiter Yilmaz Akyürek (1937– 2007), der durch seine jahrzehntelange Arbeit im Ausländerbeirat für viele Osnabrücker zur Integrationsfigur schlechthin wurde. Der Preis ist eine von fünf Ehrungen, die die Stadt zu vergeben hat.
Erster Akyürek- Preisträger war Aloys Lögering, Beauftragter des Bistums Osnabrück für den Dialog mit anderen Religionen und Gründungsmitglied des Arbeitskreises Religionen in Osnabrück. 2010 ging die Auszeichnung an Frieda Dercho als treibende Kraft im Verein „Landsmannschaft der Deutschen aus Russland“. Die Schriftstellerin und Aktionskünstlerin Sabina Ortland sowie Sedat Sendallar, Gründer der „Türkischen Elternunion“, waren die Preisträger 2011. Im vergangenen Jahr ehrte die Stadt Andreas Neuhoff, langjähriger Vorsitzender des Vereins Exil.