Handwerk trifft Schauspielkunst: Die Osnabrücker Tischlerei Seibt wird zum Schauplatz für die Spieltriebe-Uraufführung des Jugendstückes "Linus in der Stufenwelt".
In einem Hinterhof im historischen Industrieviertel des Stadtteils Gartlage versteckt sich die Tischlerei Seibt. Während hinter den dicken Mauern der Werkstatträume im Erdgeschoss Holz in Form gebracht wird, sitzt der Chef in einem gläsernen Büro im Obergeschoss, schreibt Rechnungen und nimmt telefonisch Aufträge entgegen.
Stimmen und Musik
Doch es ist kein gewöhnlicher Arbeitstag. Denn ab und an sind laute Stimmen und Musik aus dem großen, offenen Raum nebenan zu vernehmen. Dort proben die drei Schauspieler des Osnabrücker Jugendtheaters Oskar gerade eine Szene aus dem Stück „Linus in der Stufenwelt“, das im Rahmen des Spieltriebe-Festivals auf der orangefarbenen Route uraufgeführt werden soll.
Jugendliche Auflehnung
In dem 2001 erschienenen, aber gerade heute sehr aktuell erscheinenden Jugendroman von Anne-Laure Bondoux geht es um einen 14-Jährigen, der wohlbehütet aufwächst, aber zunehmend politisiert die sozialen Hierarchien infrage stellt. Er lehnt sich gegen eine starre Gesellschaft auf, die Zugehörigkeiten zu unterschiedlichen Sphären buchstäblich berechnet und diese damit undurchlässig macht.

Anatomie des Raumes
Die Anatomie des Raumes, in dem die erste Bühnenfassung der Geschichte erzählt werden soll, kommt dabei diesem Gesellschaftsbild entgegen. Ein halbes Dutzend mächtiger alter Backsteinpfeiler, die massive Deckenquerbalken tragen, bildet eine natürliche Begrenzung der T-förmigen Spielfläche, um die herum sich U-förmig 120 Zuschauer gruppieren sollen. Von keinem Sitzplatz aus ist damit eine freie Sicht auf alles, was geschieht, gewährleistet.
Getrennte Sphären
Deshalb spielt die Sprache und die von Hussein Al-Dabash komponierte, Atmosphäre erzeugende und Sphären trennende Musik und Geräuschkulisse in der Inszenierung eine wichtige Rolle. Das Publikum sei zwar „näher dran“ an der Akustik, da die Architektur des Raumes aber viel schlucke und man zudem des Öfteren auch mit dem Rücken zum Publikum stehe, müsse man „rundum deutlich sprechen“, betont Hauptdarsteller David Krzysteczko.
Mit leuchtenden Rollen unter den Schuhen fährt er bei den Proben durch die Szenerie, während das Regie-Team sich mit weißen Stühlen, unter denen ebenfalls Rollen befestigt sind, durch den zur Bühne umfunktionierten Raum bewegt. Der hat mit seinem industriellen Charme für Regisseurin Selina Girschweiler eine „schöne Atmosphäre“, stellt aber aufgrund der Säulen auch eine „Herausforderung“ an die Inszenierung dar.
Zwei Kameras und Live-Monitore
Durch zwei Kameras und Live-Monitore haben aber alle Zuschauer die Möglichkeit, auch Dinge zu sehen, die sie eigentlich nicht sehen können, verrät Bühnenbildnerin Nathalie Himpel. Die „unterschiedlichen Räume im Raum“ seien hilfreich, um auch optisch ohne viele Requisiten die sozialen Schichten zu trennen und dabei die Zuschauer hautnah in die unterschiedlichen Gesellschaftssphären zu entführen.

Handwerk trifft Schauspielkunst
Es ist zwar eine Premiere auch dieser Spielstätte, aber nicht das erste Mal, das Hausherr Wolfgang Seibt mit dem Theater in Berührung kommt. Regelmäßig beteiligt sich seine Tischlerei seit mehreren Jahren an der Erstellung von Kulissen für die Städtischen Bühnen und fühlt sich dem Theater nicht nur deshalb sehr verbunden. Dass sein Betrieb nun auch Schauplatz einer Uraufführung wird, freut ihn daher sehr. Für hauseigene Ausstellungen, Lesungen oder Kunsthandwerkermärkte hat er den Raum zwar schon zur Verfügung gestellt, aber das Theater ist zum ersten Mal zu Gast.
Aus ähnlichem Holz geschnitzt
Dabei sieht Seibt durchaus Gemeinsamkeiten von Tischlerhandwerk und Theaterkunst: Wie ein nachhaltig gefertigtes Möbelstück erfordere auch das Darstellerische eine professionelle, vielfältige Umsetzung des jeweiligen Stoffes, betont er Parallelen. Auch er füge „Raum und Material zusammen“. Regisseure und Schauspieler müssen demnach aus ähnlichem Holz geschnitzt sein wie Handwerker. Auch ein Text möchte schließlich in Form gebracht und im Raum verwendbar gemacht werden. Das gilt wohl gerade für ein Theaterstück, das thematisch in einer Stufenwelt angesiedelt ist. Gespannt darf man sein, wie die selbe Inszenierung dann ins Emma-Theater übertragen wird.