Ein Artikel der Redaktion

Fundstücke von Suchenden Vergnügliche Reise durch die Welt der Kontaktanzeigen in der Lagerhalle

Von Matthias Liedtke | 09.11.2019, 14:14 Uhr

Einen wilden Ritt durch die Welt und die Geschichte der Kontaktanzeigen präsentierten Annette Schiedeck und Jens-Uwe Krause im gut besuchten Saal der Osnabrücker Lagerhalle. In launiger Dialogform lasen sie einen deutend und kommentierend aufbereiteten Text von Roger Willemsen über eine Form der Alltagsliteratur, die mitunter tief blicken lässt.

Eine kompromissbereite Frau sucht einen guten Tänzer, der nicht unbedingt ein Handwerker sein muss. Ein Mann möchte dagegen seine Vorlieben für große Oberweiten und tiefgründige Beziehungen unbedingt zusammenbringen. Die Kontaktanzeigen, die Annette Schiedeck und Jens-Uwe Krause auf der Bühne der Lagerhalle im kommentierenden Dialog einander vorlesen, ähneln Wunschlisten. Einiges scheint erfüllbar, anderes wiederum eher nicht.

Erinnerung an Roger Willemsen

Eine „Enzyklopädie des Menschlichen“, randvoll mit Mythen, die zwischen hohen Idealen und niederen Absichten schwanken, hat Roger Willemsen die große, weite Welt der niedergeschriebenen Suche nach einem Partner oder Seelenverwandten genannt. Er selbst hat noch einen bunten Strauß daraus zusammengepflückt und zu einem unterhaltsamen Text zusammengebunden. Zu der geplanten Lesereise mit Anke Engelke ist es nicht mehr gekommen. Dafür gerät der Abend in der Lagerhalle auch zu einer Erinnerung an den Autor, den die Vortragenden als ausgesprochenen Menschenfreund beschreiben, der seine Mitmenschen stets aufmerksam wahrgenommen hat und ehrlich interessiert war an menschlichen Eigenheiten.

Vom Heiratsmarkt zur sexuellen Befreiung

Im Spiegel von Kontaktanzeigen kommt dabei einiges Skurriles, Kurioses, Erschütterndes, aber auch Rührendes zutage. Willemsen erzählt dabei auch die Geschichte dieser Textgattung, die seit mehr als vier Jahrhunderten sagt, was ist, was fehlt und was sein soll. Er spannt dabei einen großen Bogen von der allerersten publizierten Suche nach einer „Geschäfts- und Ehefrau“ im Jahr 1695 bis hin zu heutigen Formen, die seit der sexuellen Befreiung in den Sechzigerjahren so unverblümt wie chiffriert nach Sex suchen. Daneben gehalten hat sich aber immer noch eine „Verpartnerungsprosa“, die sich bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt, als die Liebe als „Geschmacksverstärker für die bittere Pille Ehe“ entdeckt worden ist. Dabei offenbaren die Anzeigentexte oft selbst die Gründe ihrer eigenen Existenz. Unter ihnen wölben sich „Hohlräume der Einsamkeit“, wie es in der Analyse heißt, die Krause und Schiedeck im heiteren Geplänkel pointiert vortragen – sie auch schon einmal gern und gut mit passendem Akzent oder Dialekt.

Verräterische Selbstbeschreibungen

Es bereitet Vergnügen, zu lauschen, wie Männer mit einer „Prosa prall wie eine Wurst, aber durchsichtig wie die Pelle“ versuchen, ihre sexuellen Absichten zu kaschieren. Oder aus ihren Schwächen eine Stärke machen und auf eine Belohnung für ihre Selbsterniedrigung hoffen. Andere wiederum nutzen Kontaktanzeigen, um ihre gescheiterten Beziehungen zu verarbeiten, oder um zu beweisen, dass sie fähig sind zu lieben – und sei es zunächst die „Freiheit auf zwei Rädern und den Geruch der Eifel“. „Dauergeil und finanziell abgesichert“ wird zur schamlosen Variante, Körperliches mit Finanziellem zu verknüpfen. „Dem Zeitgeist nicht verfallen, gerne behaart“ zu einem von vielen Beispielen, gewünschte Eigenschaften und Äußerlichkeiten wild miteinander zu vermischen. Und wenn jemand gesucht wird, der „Einsamkeitsbeschwerden lindert“ oder „aufgeschlossen für psychische Krankheiten“ ist, ahnt man, welch menschliche Mini-Dramen dahinterstecken.

TEASER-FOTO: