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Nach jahrelangem Leid Diagnose Lipödem: Zwei Emsländerinnen haben ihre Fettabsaugung selbst bezahlt

Von Jana Probst | 18.08.2023, 06:08 Uhr 1 Leserkommentar

Übermäßiges Fettgewebe an Beinen und Armen, Schmerzen schon bei der kleinsten Berührung: Yvonne Litmeyer und Sandra Brockhaus aus Meppen wollten nicht länger unter ihrem Lipödem leiden - und haben sich das Fett auf eigene Kosten absaugen lassen. Sie berichten von den OPs und warum die Krankenkasse nicht zahlt.

Für Yvonne Litmeyer und Sandra Brockhaus gehörten die Schmerzen in Beinen und Armen jahrelang zu ihrem Alltag. Schon ein Stupser an den Oberarm zur Begrüßung tat weh. Ihre Kinder konnten sich die Meppenerinnen nicht wie andere Mütter einfach auf den Schoß setzen. Als ihr Sohn sich mit drei Jahren einmal mit den Händen auf ihre Oberschenkel abstützte, habe sie ihn vor Schmerz mit beiden Händen von sich gestoßen, erzählt Litmeyer.

Wenn die heute 45-Jährige an Gewicht verlor, veränderte sich dabei nur ihr Oberkörper, nicht die überproportional kräftigen Beine. „Das kann nicht normal sein“, habe sie schon mit Anfang 20 vermutet, sagt die Meppenerin. Und nach der Geburt ihres ersten Kindes wurde es schlimmer.

Ärzte spielen Beschwerden herunter und raten zum Abnehmen

Erst bei einer Reha, die Litmeyer vor etwa zehn Jahren aus einem ganz anderen Grund machte, fragte sie eine Ärztin rundheraus: „Sie wissen aber, dass sie ein Lipödem haben?“. Ja, das wusste sie. Das wussten die beiden Frauen aus Meppen zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon seit Jahren. Nur viele der Ärzte, Hausärzte wie Fachärzte, bei denen sie immer wieder vorstellig wurden, kamen nicht darauf, spielten ihre Beschwerden herunter oder rieten ihnen einfach zum Abnehmen. Manche verschrieben ihnen lediglich Lymphdrainage gegen das in den Beinen abgelagerte Wasser.

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Bei einem Lipödem handelt es sich um eine Fettverteilungsstörung, von der fast ausschließlich Frauen betroffen sind. Dabei lagert sich an Beinen und seltener auch an den Armen überproportional viel Unterhautfett an, wodurch oft ein Missverhältnis zwischen Ober- und Unterkörper entsteht, heißt es auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie.

Die Betroffenen leiden oft unter druck- und schmerzempfindlichen Beinen und Armen. Das Fettgewebe kann auch die Bewegungen einschränken. Je nach Schwere der Erkrankung wird zwischen Stadium 1, 2 und 3 unterschieden. Die Erkrankung tritt oft nach einer hormonellen Veränderung wie der Pubertät oder einer Schwangerschaft auf und ist chronisch. Konservative Behandlungsmethoden wie Kompressionstherapie, Sport und Gewichtskontrolle können deshalb nur die Symptome lindern und verhindern, dass sich noch mehr Fettgewebe ansammelt.


Krankenkassen übernehmen Kosten der OP nur in bestimmten Fällen


Letzteres kann darüber hinaus nur durch eine Fettabsaugung reduziert werden. Aktuell werden die Kosten der Operationen allerdings nur bei Betroffenen in Stadium 3 übernommen. Das könnte sich in Zukunft ändern: Im Rahmen einer im Jahr 2017 vom Gemeinsamen Bundesausschuss in Auftrag gegebene Studie soll erprobt werden, wie erfolgreich Fettabsaugungen zur Behandlung sind.

Laut der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie sind in Deutschland 500.000 bis 1.000.000 Menschen von einem Lipödem betroffen. Der Verein Lipödem Hilfe Deutschland geht dagegen von vier Millionen Frauen aus - also jeder zehnten Deutschen.

Auch Sandra Brockhaus hat die Diagnose Lipödem nicht überrascht. „Mir selber war das schon lange klar“, sagt die 46-Jährige. „Ich war immer total schlank“, betont sie. Der Wendepunkt kam für die Meppenerin nach ihrer ersten Schwangerschaft: „Danach fing es an“.

Mit jeder Schwangerschaft wurde das Lipödem schlimmer

Mit damals nur 22 Jahren bereitete ihr das knotige Fettgewebe in den Beinen Probleme beim Laufen, vor allem bergauf. „Man nimmt ganz viele Schmerzen einfach hin“, sagt Brockhaus rückblickend. Nach der zweiten Schwangerschaft wurde es schlimmer. Nach der Geburt ihres dritten Kindes vor zwölf Jahren sei ihr klar gewesen: So kann es nicht weiter gehen. Trotzdem vergingen noch mehrere Jahre, bis ihr endlich eine Fachärztin die Diagnose stellte.

Mit der Diagnose änderte sich für die beiden Frauen allerdings erst einmal wenig. Sie gingen zur Lymphdrainage, trugen Kompressionshosen und machten regelmäßig Sport. „Wir haben nie nur faul auf dem Sofa herumgelegen“, betont Sandra Brockhaus. Außerdem achteten sie auf ihre Ernährung - um nicht noch über die Fettanlagerungen hinaus an Körperfett zuzunehmen und weitere Wassereinlagerungen zu vermeiden.

Fettabsaugung als einzige Möglichkeit, das Fettgewebe loszuwerden

Eine deutliche Verbesserung bewirkten diese konservativen Behandlungsmethoden allerdings nicht. Ihre Recherchen in Facebook-Gruppen und Online-Foren brachten die beiden Freundinnen zu dem Ergebnis: Die einzige Möglichkeit, das Fettgewebe selbst und damit die Beschwerden zu verringern, ist eine Operation - genauer gesagt, eine Liposuktion, also eine Fettabsaugung.

In Deutschland übernehmen die Krankenkassen zur Zeit allerdings nur dann die Kosten für diesen Eingriff, wenn die Betroffene mehrere Voraussetzungen erfüllt: Ihr BMI muss unter 35 liegen, sie muss sechs Monate lang Kompressionshosen tragen und Lymphdrainage erhalten und von zwei Fachärzten unabhängig voneinander die Diagnose Lipödem im Stadium 3 vorweisen können.

Bei Sandra Brockhaus wurde eindeutig ein Stadium 2 festgestellt. Für sie war schnell klar, dass sie die drei bis fünf OP, die oft notwendig sind, selbst bezahlen muss - auch vor der ablehnenden Antwort, die sie von ihrer Krankenkasse bekam. Bei Yvonne Litmeyer hat ein Facharzt ein Lipödem im Stadium 3 diagnostiziert, allerdings kein zweiter. Auch bei ihr scheiterte es an dieser Bedingung.

Meppenerinnen entscheiden sich für die OP - aus Angst vor der Menopause

Trotzdem entschieden sich die beiden Frauen, die Kosten von etlichen Tausend Euro für die Operationen auf sich zu nehmen. Viele Betroffene könnten das nicht, weiß Litmeyer. „Das ist für die meisten Frauen ein absolutes Ausschlusskriterium.“

Für sie beide war der Grund ein und derselbe: Ihre Angst vor den Wechseljahren. Es sei zu erwarten, dass die hormonelle Umstellung in der Menopause ihre Symptome noch einmal verschlimmern würden, wie schon bei ihren Schwangerschaften, erklärt Brockhaus.

Also recherchierten die beiden Freundinnen Ärzte, Kliniken und Operationsmethoden im Internet und lasen etliche Erfahrungsberichte von Betroffene. Um die Kosten stemmen zu können, meldete Yvonne Litmeyer neben ihrem Hauptberuf noch ein Kleingewerbe an. Sandra Brockhaus hatte nach einem Hausverkauf genug Geld zur Verfügung - das sie eigentlich in eine neue Immobilie hatte investieren wollen, gibt sie zu.

Drei Fettabsaugungen in zehn Monaten: Mehr als 30 Liter Fett entfernt

Nachdem sie jahrelang unter ihrem Lipödem gelitten hatten, ging es nach ihrer Entscheidung für die OP sehr schnell: Innerhalb von weniger als einem Jahr bekam Sandra Brockhaus den Termin für ihre erste von drei Fettabsaugungen. Mehrere Eingriffe sind nötig, weil je OP nicht mehr als 8 bis 10 Prozent des Körpergewichts an Fett entfernt werden sollten, erklärt Brockhaus. Andersfalls steige das Risiko für Komplikationen.

Innerhalb von zehn Monaten wurde ihr zuerst an den Rückseiten ihrer Beine, dann an den Vorder- und Innenseiten und zuletzt an den Außenseiten der Oberschenkel und an den Armen das Fettgewebe entfernt - mehr als zehn Liter pro Operation, insgesamt 32,7 Liter. Ein Liter Fett entspricht dabei einem Gewicht von 300 Gramm.

Fettabsaugung bei Lipödem: So viel haben die Ops gekostet

24.000 Euro hat die 46-Jährige für die drei Eingriffe bezahlt. Yvonne Litmeyer hat in einem Zeitraum von anderthalb Jahren ebenfalls drei OPs durchgestanden: An Oberschenkeln und Waden wurden ihr dabei rund 23 Liter Fett entfernt, für insgesamt 14.000 Euro. Auch bei der 45-Jährigen sind zusätzlich die Arme von dem Lipödem betroffen, allerdings hat sie sich vorerst dagegen entschieden, das Fettgewebe auch dort entfernen zu lassen - zumindest solange es dort nicht schlimmer wird, sagt sie.

Ihre letzten OPs hatten die beiden Ende 2022 und Anfang 2023. Vollständig abgeschlossen ist der Genesungsprozess laut ihren Ärzten etwa nach einem Jahr. Modelbeine hätten sie nach den OPs definitiv nicht, stellen die beiden Meppenerinnen klar. Für sie ist umso wichtiger, dass die Beschwerden stark zurückgegangen sind - bei beiden um 90 Prozent, schätzen sie. „Meine Schmerzen sind definitiv weg“, sagt Brockhaus. Sie trägt nun zwei Größen kleinere Hosen und wagt sich mittlerweile wieder an ihren früheren „Horrorort“, ins Schwimmbad.

Freude nach den Operationen: Endlich definierte Knie

Geblieben sind allerdings die Wassereinlagerungen, die auch Yvonne Litmeyer immer noch abends spürt. Sie hat an den Oberschenkeln 15 Zentimeter Umfang verloren - und einiges an Lebensqualität gewonnen, erzählt sie. Einen kurzen Rock zu tragen, sei vor wenigen Jahren nicht für sie infrage gekommen. „Heute denke ich nicht darüber nach.“ Über eine Veränderungen hätten sie sich beide besonders gefreut: Endlich „erkennbare“ Knie zu besitzen.

Ausruhen können sich die beiden Frauen darauf aber nicht. Im Gegenteil: „Es fängt nach den OPs erst an“, sagt Brockhaus. Denn es kann sein, dass sich das Lipödem neu bildet oder sich bei Yvonne Litmeyer stärker auf die Arme verlagert, wo das Fettgewebe noch nicht entfernt wurde. Beide müssen deshalb weiterhin auf ihre Ernährung achten und Sport treiben.

Auf Instagram und Facebook berichten die Meppenerinnen von ihrem Weg

Ihre Erfahrungen wollen die beiden Freundinnen weitergeben: Seit mehr als einem Jahr berichten sie auf Instagram von ihren Operationen, den Kosten und ihrem Weg dorthin und beantworten Fragen von Betroffenen. Dafür haben sie die Facebook-Gruppe „Lipödem Emsland“ ins Leben gerufen und in Meppen schon zwei Infoabende veranstaltet.

Betroffene könnten ihnen ihre Fragen außerdem per Mail an zusammengegenlipoedem@web.de zukommen lassen, sagt Sandra Brockhaus - betont aber, dass sie keine medizinische Beratung anbieten können. Zeit für die Frauen, die sich bei ihnen melden, nehmen sie sich gerne. „Es ist einfach ein Herzensthema“, sagt Yvonne Litmeyer. Denn: „Aufgeben ist keine Option“, stellt Sandra Brockhaus fest.

TEASER-FOTO: Marion Wolken
1 Kommentar
Sabine Frommeyer
Es fehlt der Hinweis, dass die Kosten der für OP steuerlich als aussergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden können (Bundesfinanzhof Az. VI R 39/20).