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Modetrend lebt in Melle weiter fort Gut „behütet“ in Schiplage / St. Annen

Von Timo Radke | 15.07.2019, 16:30 Uhr

Was in der deutschen Nachkriegszeit und jenseits des Ärmelkanals auch heute noch zum guten Ton gehört und als Statussymbol verstanden wird, ist heutzutage hierzulande nahezu verpönt – Das Tragen von Damenhüten. Nun wollen Claudia Niemeyer und ihre Mitstreiterinnen des Frauengospelchors "St. Annen - Sisters" aus dem Meller Stadtteil Neuenkirchen unter dem Motto „mehr Mut zum Hut“ ein Zeichen setzen.

Der Neuenkirchener Ortsteil Schiplage/ St. Annen hatte seit Ende der Nachkriegszeit eine sehr lebendige Infrastruktur. Unter anderem war hier ein exquisiter Damenhutladen beheimatet. Damenhutmachermeisterin Annelise Brüssel half zur damaligen Zeit den eleganten St. Annenerinnen und Neuenkirchenerinnen mit aparten Hutneuheiten ihre Outfits zu verschönern. Denn keine anständige Frau ging in dieser Zeit ohne eine schmucke Kopfbedeckung aus dem Haus.

Damenhüte – „Made in St. Annen“

Im Jahre 1949 richtete Annelise Brüssel ihre Hutmacherwerkstadt in einem kleinen Zimmer bei Berkemeier an der St. Annener Straße ein, ehe sie und ihr Ehemann Friedrich 1952 ein Eigenheim am Lehmteich, unweit des heutigen Kriegerdenkmals, errichteten. Die Werkstatt und ein Schaufenster waren als erstes fertig.

„Es war damals nicht einfach“, berichtet Claudia Niemeyer aus früheren Gesprächen mit dem Ehepaar Brüssel. Die Materialien mussten noch sehr aufwendig bei einem Großhändler in Wuppertal erstanden werden. Auch die Formen und die Vorlagen für die Hüte waren knapp und nur mit Mühe im benachbarten Herforder Raum zu bekommen. Damals war bekanntlich das Automobil noch für viele Menschen nicht zu finanzieren, und so war Sohnemann Wolfgang Brüssel per Fahrrad für den zuverlässigen Transfer der Modellformen zuständig. Alles in der Familie war auf den Hutmacherbetrieb ausgerichtet. Sogar die heimische Küche wurde zu einer Hutmacherwerkstatt umfunktioniert.

„Wenn eine Kundin eine neue Kopfbedeckung brauchte, konnte sie sich zu 100 Prozemt auf Frau Brüssel verlassen. Sie ruhte nicht eher, bis der Auftrag erledigt war. Feierabend gab es in diesem Sinne nicht. Ihr Mann Friedrich hat ihr damals immer den Rücken freigehalten und den Haushalt und Garten gewuppt,“ erinnert sich Claudia Niemeyer an alte Erzählungen.

Mut zum Hut

Seit 2004 unterstützte Claudia Niemeyer Friedrich Brüssel im Haushalt. Dabei entdeckte sie auch eine umfangreiche Hutkollektion aus dem Nachlass seiner Frau. Er war zeitlebens stolz auf die Hüte, die seine Partnerin produziert hat.

„Leider ist die Tradition, mit einer schönen Kopfbedeckung in die Welt zu gehen, für die Frau von heute nicht mehr so angesagt. Dabei ist es doch ein offenes Geheimnis: Frauen lieben eigentlich Hüte. Es erfordert sicherlich etwas Mut, einen zu tragen, aber es ist doch immer etwas ganz besonderes und ein wichtiges Accessoire für ein vollendetes Outfit,“ schwärmt Claudia Niemeyer.

Unter dem Motto „mehr Mut zum Hut“ veranstalten Claudia Niemeyer und die „St. Annen – Sisters“ zu besonderen Anlässen interne Modeschauen, wo die neusten Hüte-Trends vorgestellt werden. Vor fünf Jahren, anlässlich des 95. Geburtstags von Friedrich Brüssel, brachte Claudia Niemeyer zur Überraschung des Geburtstagskindes die alten Kollektionen seiner 2003 verstorbenen Frau Annelise mit.

Für die Nachwelt erhalten

An diesem Tag trugen alle weiblichen Gäste ihm zu Ehren einen von seiner Frau gefertigten Originalhut. Ein besonderes Anliegen des Jubilares war es, dass die Arbeit seiner Frau auch für die Nachwelt erhalten bleibt. Am 8. November 2016 starb dann nach einem erfüllten Leben auch der im Neuenkirchener Ortsteil so beliebte und geschätzte Friedrich Brüssel. Am 10. Juli 2019 wäre er 100 Jahre alt geworden. Das Lebenswerk der Eheleute Brüssel - die durch sie entfachte Begeisterung für Damenhüte - lebt indes über ihren Tod hinaus in Schiplage / Sankt Annen weiter fort.

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