Experten des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) haben die Großen Sloopsteene jetzt mit Virtual Reality für Jedermann erlebbar gemacht.
Wie aus dem Nichts richten sich rechts und links riesige Findlinge auf. Vom Himmel stürzen weitere dicke Brocken zum Boden. Den Kopf einziehen muss man nicht. Die Steine fliegen dem Betrachter nur digital um die Ohren und fügen sich am Ende zu einer imposanten Grabanlage zusammen, wie sie vor Jahrtausenden im Werser Holz im heutigen Grenzgebiet von Westerkappeln und Lotte errichtet wurde.
Wissenschaftler der Altertumskommission beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hatten das Großsteingrab – die am besten erhaltene Anlage ihrer Art in Westfalen – vor vier Jahren im Rahmen eines groß angelegten, noch laufenden Projektes zur Megalithik in Westfalen systematisch untersucht und dabei teils überraschende Erkenntnisse gewonnen. Ein Ergebnis: Mit rund 5500 Jahren ist das Großsteingrab viel früher erbaut worden als bis dahin angenommen und damit älter als die Pyramiden von Gizeh oder die Steinkreise von Stonehenge.
Ziel des von der Archäologin Dr. Kerstin Schierhold geleiteten Megalthik-Projekts war von Anfang an, die Befunde mit modernsten Mitteln wissenschaftlich aufzubereiten und sie zeitgemäß zu präsentieren. Im Zuge der damaligen Forschungen wurden die großen Sloopsteene hochauflösend vermessen. „Das war die Basis für alle weiteren Rekonstruktionsprozesse“, erläutert der Archäoinformatiker Leo Klinke.
Abtauchen in die virtuelle Realität
Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Altertumskommission fertigte zunächst auf Grundlage der Daten von 377 Millionen Messpunkten eine Animation der Großen Sloopsteene als sogenannte 3-D-Punktwolke an. Für die jetzt erstellte künstliche Wirklichkeit holte Klinke die Hochschule Bremen mit ins Boot, um die riesigen Datenmengen auf 38 MB zu komprimieren und so für die Darstellung in der VR-Brille oder auf dem Smartphone aufzubereiten. Im Gelände reicht dafür das Handynetz.

Das Ergebnis ist beeindruckend, findet auch Dr. Wieland Wienkämper. Der Westerkappelner Lehrer ist selbst Archäologe und kletterte schon als Kind auf den Felsbrocken im Werser Holz herum. Nun steht der 63-Jährige mitten zwischen den Überbleibseln des Grabes und verfolgt „live“ vor seinen Augen, wie die Trag- und Decksteine sowie einige über die Jahrhunderte verloren gegangenen Findlinge sich wieder zur ursprünglichen 18,5 Meter langen Anlage zusammenfügen. Sogar die einstige Totenkammer kann er begehen. Das ganze funktioniert übrigens nicht nur im Wald bei den Sloopsteenen, sondern auch daheim auf dem Sofa – oder am Computerbildschirm, dann aber nur zweidimensional.
Bilder in den Kopf setzen
„Archäologie muss man nicht neu denken, aber die Ergebnisse kann man heute anders präsentieren“, meint LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger. „Wir müssen den Menschen Bilder in den Kopf setzen, damit sie verstehen, was Verfärbungen im Erdreich oder solche Steinanhäufungen bedeuten.“ Durch die virtuelle Realität werde besser deutlich, welchen Aufwand die Menschen vor über 5000 Jahren betrieben haben, um tonnenschwere Steine zu bewegen. „Sie hatten den Willen etwas zu erschaffen, was lange Zeit Bestand haben sollte“, ergänzt Kerstin Schierhold.

Die nun erschaffene künstliche Wirklichkeit soll nur Teil eines viel größer angelegten Projektes sein. Als nächstes wollen Klinke und Kollegen eine Bestattungszeremonie einbauen, in der sich beispielsweise Menschen gemeinsam auf das Großsteingrab zubewegen. „Der Betrachter soll dann durch die VR-Brille Teil dieser Prozession werden“, sagt der 27-Jährige. Bis 2022 hofft er auf die Fertigstellung.
Und wie für die Großen Sloopsteene bei Westerkappeln wolle der LWL auch für das Römerlager in Haltern sowie für die mittelalterliche Holsterburg im Regierungsbezirk Detmold solch virtuelle Realitäten schaffen. „Wir möchten Zeitreisen anbieten“, kündigt Rüschoff-Parzinger an. „Dafür muss man dann nicht in die Museen. Wir werden mit den Präsentationen auch in Einkaufszentren gehen.“
Für die Anwendung der Animation empfehlen die Entwickler die Nutzung des Webbrowsers Mozilla Firefox. – https://megalithik.vr.lwl.org/