Flugblätter im Fahrradschlauch, Parolen auf der Straße: Eine Ausstellung in der Gedenkstätte Augustaschacht in Hasbergen zeigt findige Methoden, mit denen Menschen in der NS-Zeit gegen das Regime kämpften.
Osnabrück hat lange mit sich gerungen, welche Ehrung für Hans Calmeyer – Sohn der Hasestadt und NS-Funktionär in den besetzten Niederlanden – angemessen wäre. Die ehemalige Villa Schlikker im Museumsquartier wird jedenfalls nicht nach dem Mann benannt, der zahlreiche Juden rettete und dafür andere in den Tod schicken musste. Im Zuge der Debatte fragten sich Hartmut Böhm, Martina Sellmeyer, Heiko Schulze und andere Mitglieder des Ilex-Kreises: Gab es zwischen 1933 und 1945 denn keinen Widerstand hier vor Ort – in Osnabrück? Doch, den gab es.
Die Heimatforscher haben nach eigenen Angaben etwa 120 Personen identifiziert, die sich auf verschiedene Weisen dem Hitler-Regime widersetzten und dafür nicht selten ihr Leben riskierten. Etwa die Hälfte ihrer Schicksale wurde nun in Kurzbiografien aufgearbeitet und bildet einen wichtigen Teil der neuen Ausstellung in der Gedenkstätte Augustaschacht in Hasbergen.
„Niemand hat eine weiße Weste“
Zu sehen sind verschiedene Vorrichtungen, mit denen NS-Gegner Flugblätter ins Land schmuggelten und unters Volk brachten. Der Künstler Manfred Blieffert hat sie nach Angaben von Zeitzeugen nachgebaut und ausprobiert.

Der Ausstellungstitel „Parolen aus dem Koffer“ bezieht sich etwa auf eine raffinierte Apparatur in einem Koffer, mit deren Hilfe Parolen unauffällig auf Straßen angebracht werden konnten. Mit dem nachgebauten Stempel-Koffer hat Blieffert die Namen der oft längst vergessen, widerständigen Osnabrücker ins Gedächtnis gerufen. Die Ausstellung steht unter der Frage: „Wer war...?“
Video: So funktioniert der Stempel-Koffer
Der Ilex-Kreis hat den Widerstandsbegriff weit gefasst und hat in vielen Fällen ähnliche Ambivalenzen und Brüche entdeckt wie im Fall Calmeyer. „Niemand hat eine weiße Weste – aber es gab Menschen, die haben mehr riskiert als ihren Job“, sagt Historiker Heiko Schulze. Die Biografien sollen demnächst auch als Buch erscheinen.

Unbequeme Wahrheiten inklusive
Manches liegt noch im Dunkeln. Die Hobby-Forscher wollen daher mit der Ausstellung auch dazu anregen, das oft vergessene Kapitel des Alltags-Widerstands systematisch, wissenschaftlich auszuwerten. Es sei beispielsweise ein seltener Glücksfall, dass die Osnabrücker Gestapo-Kartei erhalten sei. Und: Es habe in Osnabrück offenbar nicht nur wenige Einzelaktionen, sondern auch eine „richtige“ Untergrundbewegung gegeben.
Die Ausstellung „Parolen aus dem Koffer“ wird am Sonntag, 10. September, um 11 Uhr in der Gedenkstätte Augustaschacht eröffnet und kann bis zum 10. März 2024 besucht werden.
Ein nicht nur historisches Thema, findet Michael Gander, Geschäftsführer der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht: Angesichts eines gesellschaftlichen Rechtsrucks wachse das Interesse an der Frage, wie sich Menschen widersetzen können. Dazu gehören unbequemen Wahrheiten. Eine spricht Martina Sellmeyer vom Ilex-Kreis aus: „Es war viel mehr möglich, als oft behauptet wird.“