Einmal samstags gegen Mittag vom Hauptbahnhof zum Wochenmarkt und zurück. Wie präsentieren sich die Städte Münster und Osnabrück dem Spaziergänger aus der jeweils anderen Nachbarstadt? Der Autor, in Münster aufgewachsen, seit vielen Jahren der Stadt Osnabrück verbunden, maßt sich an, beide Perspektiven im Wechsel einzunehmen. Die Routen durch die Städte ermittelt Google, die Entfernung ist sehr ähnlich. In Münster sind es 1,1 Kilometer, in Osnabrück 1,5.
Die Eindrücke beim ersten Schritt vor den Eingang der Hauptbahnhöfe könnten unterschiedlicher nicht sein. Vor dem aufwändig sanierten Bahnhof in Münster mit seiner riesigen Glasfassade herrscht dichtes Treiben. Menschen strömen in die große Bahnhofshalle hinein, andere suchen den passenden Bus an den Haltestellen in unmittelbarer Nähe zum Ausgang. Von dort sind es nur wenige Meter bis zur mehrspurigen und stark befahrenen Bahnhofstraße, die überqueren muss, wer Richtung Innenstadt will.
Ganz anders Osnabrück, hier tritt man aus einem altehrwürdigen – und etwas in die Jahre gekommenen – Bahnhofsgebäude auf den luftigen Theodor-Heuss-Platz. Da kann man erst einmal durchatmen. Nur wenige Menschen sind um diese Zeit am Bahnhof unterwegs. Die Busse erreicht man an einem Haltepunkt mit riesigem, ovalem Glasdach, mittendrin breitet eine mächtige Linde ihre Krone aus. Der Weg in die Innenstadt führt über die Möserstraße, die direkt vom Bahnhofsvorplatz abgeht. Unterwegs trifft man auf die Stahlinstallation „Battle Drums“. Bei Dunkelheit werfen sich drehende Trommeln Lichter in Form von kämpfenden Kriegern und Speeren auf den Platz. Die Plastik ist eine Arbeit des New Yorker Künstler Dennis Oppenheim zum 2000-jährigen Jubiläum der Varusschlacht 2009.

Auf der Möserstraße fallen Läden für Wasserpfeifen, fremdländische Spezialitäten und Mobiltelefone auf. Nach wenigen Schritten kreuzt man den vierspurigen Goethering. Der Jurist, Staatsmann, Literat und Historiker Justus Möser lebte im achtzehnten Jahrhundert in Osnabrück und wird dort bis heute in Ehren gehalten. Neben der Straße, die nach ihm benannt wurde, gibt es auch ein Denkmal und Osnabrück verleiht die Justus-Möser-Medaille an Menschen, die sich um Stadt oder Region verdient gemacht haben. In Richtung Innenstadt schiebt sich einige 100 Meter weiter die charakteristische Fassade der ehemaligen Osnabrücker Karstadt-Filiale in den Blick. Ein Blick auf die dynamische Architektur des Hasehauses bei der Querung der Wittekindstraße entschädigt für die Bausünde vergangener Jahrzehnte.
In Münster folgen Besucher des Zentrums der in diesem Bereich Fußgängern vorbehaltenen Windhorststraße. Ähnlich wie in Osnabrück finden sich hier Restaurants, Läden für Handyreparaturen oder Geldtransfers. Die Straße ist dicht bevölkert durch Menschen aus vielerlei Ländern. Am Rand bilden Fahrräder dichte Knäuel. Schon nach wenigen Hundert Metern kreuzt man die Straße Engelenschanze und trifft nun auf Münsters berühmte Grüngürtel-Promenade. Der Osnabrücker staunt und ist auch ein wenig neidisch. Zur Linken ein idyllischer Wassergraben, nach beiden Seiten mehrreihige, schattige Alleen, ein breiter geteerter Streifen für schnelle Radfahrer, zwei schmale für Fußgänger. Die Flut der Fahrradfahrer und ihre Geschwindigkeit sind beeindruckend, sogar etwas beängstigend. Wie gut, dass die Fußgänger seitlich eigene Wege finden!

Die Windhorststraße führt weiter bis zum Harsewinkelplatz, wo der Besucher auf ein erstes Zeugnis der legendären Münsteraner Ausstellung „Skulptur Projekte“ trifft, die sechs Meter hohe „Kirschensäule“ des Bildhauers Thomas Schütte. Zur Rechten präsentiert sich ein Ensemble aus architektonisch anspruchsvollen Neubauten mit Hotels, Läden und Gastronomie. Wegweiser machen auf das Kunstmuseum Picasso aufmerksam. Man hat etwa die Hälfte der Strecke bis zum Münsteraner Sankt Paulus Dom zurückgelegt.
In Osnabrück entspricht das in etwa der Kreuzung zwischen Möserstraße und Georgstraße, wo man links in Richtung der Großen Straße abbiegt, der zentralen Einkaufsmeile der Stadt. Mit etwas Glück begrüßt den Besucher dort das muntere Glockenspiel an der Fassade des Uhrenhauses Kolkmeyer. Verglichen mit Münster wirkt Osnabrück gemächlicher, entspannter, schlichter. Dieser Eindruck bestätigt sich in der Fußgängerzone und es liegt nicht nur daran, dass es ein wenig regnet. Man trifft auf dieselben Modeketten wie in anderen deutschen Innenstädten, doch selten kommt es zu dichtem Gedränge. Irgendwie rangiert Osnabrück zwischen Großstadt und Unterzentrum, während Münster sich deutlich großstädtisch gibt. Eine Ausnahmeerscheinung ist das geradezu mondäne Kaufhaus Lengermann & Trieschmann (L&T), in dessen Untiefen man sogar auf einer künstlichen Welle surfen kann.
Der Prinzipalmarkt gehört im Wesentlichen den Fußgängern, nur Busse dürfen hier verkehren. Über den Michaelisplatz erreicht der Besucher den 240 mal 280 Meter großen Domplatz mit dem Wochenmarkt. Die gewaltigen Ausmaße des Platzes erlauben einen freien Blick auf den massigen Dom mit seinen zwei wuchtigen Türmen. Am Samstagmittag scheint sich hier das „Who is who“ der Stadt zu treffen, nebenbei wird auch eingekauft. Auffallend sind etliche Stände von Erzeugern aus dem Münsterland, die eigene Produkte vermarkten. Vor einzelnen, offenbar besonders angesagten Ständen, bilden sich beachtliche Schlangen. Ziel des Spaziergangs ist der Haupteingangsbereich des Doms, das sogenannte Paradies. Auf den Treppenstufen hat es sich eine Gruppe junger Leute bequem gemacht. Sie genießen die Frühlingssonne und den Blick auf das bunte Treiben des Wochenmarktes.

In Münster endet die Windhorststraße an der Ludgeristraße, mitten im kommerziellen Zentrum der Stadt. Nur 200 Meter weiter öffnet sich Münsters gute Stube, der Prinzipalmarkt. Der erste Eindruck dieses Ensembles von Patrizierhäusern, am anderen Ende begrenzt durch die stattliche Lambertikirche, ist enorm. Eine reiche Stadt feiert sich selbst. Makabres Detail sind die eisernen Käfige am Turm der Kirche, in denen die Leichen der drei Anführer der sogenannten „Täuferbewegung“ Jan van Leiden, Bernhard Knipperdolling und Bernd Krechting nach ihrer Hinrichtung 1536 zur Schau gestellt wurden. Die Täufer waren eine radikalreformatorische Bewegung, die die Stadt zuvor eineinhalb Jahre lang unter ihrer Kontrolle hatte.
Knapp 500 Meter sind es vom Kaufhaus L&T bis auf den ersten von zwei Plätzen am Osnabrücker Sankt Petrus Dom. Im Einerlei der Ladenfronten fallen unterwegs einige schmucke alte Stadthäuser auf; in einem residiert eine Filiale der Drogeriemarktkette dm. Man passiert den wuchtigen Bau des Osnabrücker Theaters, überquert die Straße Kleine Domsfreiheit und gelangt auf den Domhof mit dem Haupteingang zum Dom. Der Wochenmarkt befindet sich auf dem benachbarten, durch die Straße Große Domsfreiheit umschlossenen Platz.
Auch hier wirkt alles eine Nummer kleiner als in der westfälischen Nachbarstadt, obgleich die beiden Plätze zusammen vermutlich ähnlich groß sind wie der Domplatz in der Nachbarstadt. Der Markt findet regen Zuspruch, doch lange Schlangen und dichtes Gedränge finden sich hier nicht. Stattdessen scheinen die Besucher allesamt viel Zeit mitzubringen, sie wirken eher wie gelassene Spaziergänger als eilige Einkäufer. Ähnlich wie in Münster gibt es zahlreiche Stände, wo man sich bei einem gepflegten Kaffee in Ruhe unterhalten kann. Die „Schaltzentrale“ führt vor Ort Fahrradreparaturen durch. Etliche Gärtner, Bäcker, ja sogar eine Käserei kommen aus der näheren Umgebung.

Für den Rückweg zum Bahnhof wähle ich einen Weg, den Google Maps so nicht vorgeschlagen hat. Über den kaum einen Meter breiten „Hexengang“ stielt man sich vom Markt und gelangt zwischen Dom und Kleiner Kirche hindurch zur Kleinen Domsfreiheit. Ein paar Schritte weiter beginnt der Haseuferweg. Er führt mich mit wenigen Unterbrechungen durch Straßen fast direkt zurück zum Hauptbahnhof von Osnabrück. Ein Weg, der gefühlt entlang der Hinterhöfe der Innenstadt führt.
In Münster entscheide ich mich für den Umweg über die Promenade, die vom Domplatz in wenigen Minuten zu erreichen ist. Hier spaziert man teils wie in einer Parkanlage, die Straßenquerungen werden durch Ampeln erleichtert. Vom geschäftigen, hektischen Treiben in der Innenstadt ist nur wenig zu bemerken.
Die beiden Städte haben sich dem Spaziergänger als lebendige und höchst individuelle Persönlichkeiten präsentiert. Jede in ihrer Art eigenwillig, in manchem ähnlich, in anderem grundverschieden. Osnabrücker, es lohnt sich, die Nachbarn in Münster kennen zu lernen! Münsteraner, entdeckt die schöne Stadt Osnabrück!
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