Wer eine der schönsten Küstenwanderungen der Welt erleben will, wird auf der Insel Santo Antão fündig.
Manche Wege sind dafür geschaffen, die Sinne auf sich wirken zu lassen und den Alltag eine Zeitlang zu vergessen. Der Küstenwanderweg auf der Kapverdeninsel Santo Antão zählt zu dieser Kategorie. Die Wellen des Atlantiks schlagen so heftig an die Felsen der Steilküste, dass man glaubt, das Donnern der Brandung nicht nur hören, sondern zu fühlen. Irgendwann schmecken die Lippen nach Salz, und die Aussicht auf den weiteren Weg mit seinen in Serpentinen angelegten Pfaden, dem Geisterdorf und den teils von Hand in den Fels gemeißelten Eselspfaden ist einfach überwältigend.
Der alte Verbindungsweg zwischen Ponta do Sol und Chã de Igrea zählt zu den schönsten Küstenwanderungen weltweit - und ist zudem einer der unbekanntesten. Über elf Kilometer führt der Weg, mal in schwindelerregender Höhe über dem Meer, dann wieder nahe des aufgewühlten Meeres. Sogar ein paar schmale Strände gibt es, die Brandung verbietet es aber, weiter als bis zu den Knien ins Wasser zu gehen.
Noch wie vor Jahrzehnten leben die Einwohner in dem Dörfchen Formiguinhas, das direkt am Panoramaweg liegt. Das gute Dutzend Häuser ist, abgesehen von dem schmalen Küstenpfad, komplett von der Außenwelt abgeschnitten. Zwar wohnen noch heute einige Einheimische hier, und es gibt sogar drei Bars, um die Wanderer zu versorgen. Doch wer dort hinkommen will, der muss per Boot, zu Fuß, oder - wie schon immer - mit dem Esel kommen.

Ein paar Kilometer weiter dagegen ist die Zeit schon lange stehen geblieben. Die kleine Siedlung Chã de Mar ist zu einem Geisterdorf geworden und besteht nur noch aus den Ruinen einer Handvoll einstiger Häuser und Ställe. Die Menschen haben die harte Arbeit auf den Terrassenfeldern bereits vor Jahrzehnten aufgegeben.
So dienen die Reste des einstigen Dorfes heute allenfalls Wanderern als außergewöhnlicher Rastplatz. Begleitet vom unermüdlich an die Felsen donnernden Atlantik streift der Blick aufs Meer hinaus, in die schroffe Bergwelt hinter der Steilküste und dann wieder auf den sich in die Höhe schlängelnden Küstenwanderweg. Es ist einer dieser besonders intensiven Momente, die Santo Antão zu bieten hat.
Schließlich ist die Insel vom Massentourismus komplett verschont geblieben. Mit ihren Terrassenfeldern, den schroffen, grünen Felswänden und dem Netz von mehr als 100 gut ausgebauten Wanderwegen auf alten Eselspfaden ist Santo Antão noch heute ein Geheimtipp für Wanderer.
Während die meisten Besucher der Kapverden die Insel Sal mit ihren hellen Sandstränden ansteuern, lockt Santo Antão vor allem Naturfreunde und Wanderer an. Das mag daran liegen, dass es kaum Strände auf der Insel gibt. Vielleicht hält viele aber auch die einstündige Fahrt mit der Fähre von São Vicente ab. Denn einen internationalen Flughafen gibt es nur dort, Santo Antão ist dagegen nur per Boot zu erreichen.
Ursprünglich waren Wanderer auf der Insel nicht gern gesehen. Tatsächlich wollten die Einheimischen noch in den 1980er-Jahren Wanderurlauber erst gar nicht auf der Insel haben. Kai Pardon, der Pionier des Wandertourismus auf Santo Antão, stieß einst auf heute kurios wirkende Vorurteile. „Wer zu Fuß gehen muss, ist arm“, hörte der Gründer des Veranstalters „Reisen mit Sinnen“ oft genug, als er die Bürgermeister der Orte von den Chancen für die Insel überzeugen wollte: „Wir wollen hier aber keine armen Leute haben.“
Doch bereits die ersten Wandertouristen ließen stattliche Beträge in den Pensionen und Restaurants der Insel zurück. Sie fanden sich zudem in einer Bergwelt wieder, die selbst die attraktivsten Wanderinseln der Kanaren, La Palma und La Gomera, von der Vegetation her weit übertrifft. Während Santo Antão im Süden recht karg ist, öffnen sich im Norden lange Täler mit bizarren Felsformationen zum Meer hin. Sattgrüne Bergrücken erinnern an südamerikanische Gebirgslandschaften. „Das sieht fast aus wie Machu Picchu“, staunt eine Wanderin, als sie vor einem Hochplateau steht, hinter dem ein mit zartem Grün bewachsener Gipfel in die Höhe ragt: „Nur die Ruinen fehlen.“
Tatsächlich wird die Bergwelt immer vielseitiger, je weiter man von der östlichen Küstenstraße aus in das Tal Ribeira Grande eindringt. Mal wirkt die Landschaft unwirklich und inszeniert wie eine Filmkulisse, dann mit ihren grünen Bergrücken wie die einer Modelleisenbahn oder weiter oben so schroff wie im Hochgebirge der Alpen.
Auch die Wanderwege selbst überraschen. Es sind alte, sorgfältig gepflasterte Eselspfade aus der Zeit, als es noch keine Straßen gab auf Santo Antão und die schmalen Wege die einzigen Verbindungen waren. Aus Tälern mit Brotfruchtbäumen, Bananenstauden, Orangen- und Papaya-Bäumen führen die teils erstaunlich steilen Pfade hinauf auf karge Bergrücken und erlauben weite Panoramablicke auf den Atlantik. Esel begegnen den Wanderern auch heute regelmäßig. Schwer bepackt transportieren sie Brennholz in entlegene Gehöfte in den Bergen oder geerntete Kartoffeln und Maniok in Richtung Tal.
Auch Nicolin Monteiro liebt die Landschaft im Norden von Santo Antão, bleibt immer wieder stehen und genießt den Blick in die Ferne. Einerseits ist das kaum der Erwähnung wert, schließlich zeigt der Einheimische als Wanderguide Besuchern die schönsten Flecken von Santo Antão. Andererseits war Bergwandern der lokalen Bevölkerung lange suspekt. Kein Insulaner kam nach dem Bau der Straßen auf die Idee, die anstrengenden Verbindungswege zwischen den Tälern freiwillig oder gar zur Erholung zu begehen.
Destination: Die insgesamt 15 Kapverdischen Inseln liegen gut 570 Kilometer vor der Westküste Afrikas in Höhe des Senegal. Der Äquator ist nur noch 1700 Kilometer entfernt. Die höchste Erhebung ist der 2829 Meter hohe Pico do Fogo auf der Insel Fogo. Die einstige portugiesische Kolonie ist noch heute von den Portugiesen geprägt. Für den Tourismus erschlossen ist vor allem Sal mit seinen weiten Sandstränden. Während auf Sao Vicente eine ausgeprägte Musikszene aktiv ist, gilt Santo Antão als Wanderparadies.
Wetter: Die Temperaturen liegen zwischen 23 und 26 Grad und ändern sich im Jahresverlauf nicht wesentlich. Mit sechs Regentagen ist der September der feuchteste Monat.
Anreise: Santo Antão ist per Fähre (eine Stunde Fahrzeit) mit São Vicente verbunden. Die portugiesische Flugline TAP Air Portugal bietet Flüge nach Sao Vicente über Lissabon von verschiedenen deutschen Flughäfen an.
Unterkunft: In Santo Antão bei Cruzinha, dem Einstieg zum Küstenwanderweg. Mamiwata Eco Village, DZ/HP ab 150 pro Person an, EZ 95 Euro. In Ponta do Sol (das andere Ende des Küstenweges). Pension Musica do Mar, die ausschließlich von Frauen gemanagt wird. DZ/F ab 39 Euro pro Person.
Inzwischen aber entdeckt Monteiro neben den Touristen vereinzelt Einheimische, die die alten Pfade ausprobieren. „Es ist ganz neu, dass man als Insulaner zum Wandern in die Berge geht“, freut sich der 35-Jährige, dass nun immer mehr Menschen auf Santo Antão erkennen, wie außergewöhnlich schön ihre Bergwelt ist. „Meine Lieblingsstrecke ist die von Espongeiro über Caibros nach Boca“, erzählt Monteiro: „Es gibt Passagen, da kann man sowohl auf den Nord- als auch den Südteil der Insel sehen. Das Panorama ist überwältigend.“
So ist Santo Antão vor allem für Wander- und Naturfreunde eine Entdeckung und zudem ein Geheimtipp, der sogar weitererzählt werden darf. Bis auf die teils anspruchsvollen Wanderwege und eine überbordende Vegetation gibt es schließlich nichts, was größere Touristenströme auf die bergigste, aber dennoch schönste aller kapverdischen Inseln locken könnte.