Seereise zum Nordkap Mit dem Postschiff auf Sonderfahrt

Von Armin Herb | 14.04.2023, 06:00 Uhr

Die norwegische Küstenroute zählt zu den Klassikern der Kreuzfahrt. Extratouren machen die Seereise jetzt noch interessanter und komfortabler.

Seit 1893 fahren die Schiffe der Hurtigruten entlang der langen norwegischen Küste, ursprünglich von Trondheim bis Hammerfest, einige Jahre später dann auch von weiter südlich, von Bergen bis hinauf nach Kirkenes vor der russischen Grenze. Heute laufen elf Schiffe in zwölf Tagen nahezu täglich 34 Häfen auf dieser berühmten Route an. Und es kommen wohl bald noch zwei moderne Schiffe der Havila-Reederei hinzu. Nein, eine klassische Kreuzfahrt ist das nicht, zumal die Schiffe eher einen Linienfährdienst betreiben, um Städter und Dörfer des Nordens zu versorgen. Und 34-mal an- und ablegen, oft auch in der Nacht, ist dabei für manch potenziellen Passagier eher Hindernis als Attraktion, auch wenn das norwegische Landschaftskino entlang der Küstenroute mit seinen Fjorden, Bergen sowie putzigen Dörfchen und ihren roten Häuschen kaum zu überbieten ist.

Aus diesen Gründen hat sich die Reederei etwas einfallen lassen: Ein Postschiff wurde umfunktioniert vom Linienschiff zum sogenannten Expeditionsschiff - aus der MS Finnmarken wurde die MS Otto Sverdrup. Abfahrtshafen ist Hamburg. Die Seereise heißt dann „Expedition auf den Spuren der Postschiffroute“. Tatsächlich verläuft die Reise deutlich anders als der Klassiker. Statt 34 Häfen werden in Norwegen in knapp zwei Wochen nur elf Küstenorte angelaufen. Die Route wird von Saison zu Saison immer modifiziert. Und das Schiff stoppt zuweilen in Orten, die nicht zu den klassischen Postschiffhäfen zählen.

Wie etwa in Traena. Der kleine Felsarchipel verteilt sich über 1000 kleine und kleinste Inseln, wovon nur Husøy, Selvær, Sanna, Sørsandøy und Nordsandøy bewohnt sind. Er liegt etwa 65 Kilometer vor der Küste nur wenig südlich des Polarkreises und lebt von der Fischzucht. Viel los ist dort nicht, außer es findet das jährliche Musikfestival statt oder es legt ein Passagierschiff an. Aber ein solch großer Pott wie die MS Otto Sverdrup, die im Vergleich zu aktuellen Kreuzfahrtschiffen klein ist, schaffte es bisher noch nicht in den kleinen Hafen von Husøy. Dazu braucht es eine Sonderlizenz und einen erfahrenen Kapitän. Deswegen standen beim ersten Besuch auch alle Kindergarten- und Grundschulkinder am Kai und staunten. Zur Feier des Tages durften sie sogar das Schiff besichtigen, während die Passagiere die Ortschaft erwanderten. „Das sieht fast aus wie eine Invasion, wenn dreihundert Personen in rotgelben Helly-Hansen-Jacken über die Insel wandern - aber eine positive,“ freute sich die Leiterin des kleinen Tourismusbüros. Für die Besucher wurden extra ein paar neue Leihräder angeschafft. Die meisten pilgern nun hinauf zur Petter-Dass-Kapelle kurz unterhalb des höchsten Punktes der Insel. Dort genießen sie einen 360-Grad-Blick auf den Felsarchipel.

Die Lofoten stehen zwar auf dem Fahrplan der Postschiffroute, aber nicht der äußerste Westen mit dem Hafenort Reine. Nirgendwo in dieser Inselwelt zeigt sich eine so dramatische Kulisse aus zackigen Felswänden, tiefblauem Meer und den roten Rorbuern, den klassischen Fischerhütten. Der ehemalige Walfängerhafen wurde deshalb als Symbol für Nordnorwegen für Legoland in Dänemark nachgebaut. Ganz in der Nähe liegt auch Å, das Dorf mit dem kürzesten Ortsnamen der Welt. Es zählt rund 30 denkmalgeschützte Häuschen, darunter ein Museum zur Tran-Herstellung und ein Stockfischmuseum. Apropos Stockfisch: In Reine und Å stehen dekorativ Hunderte Holzgestelle, auf denen Kabeljau getrocknet wird.

Auch Sæbø zählt nicht zu den regulären Postschiffhäfen. Der Hafen ist so klein, dass große Schiffe dort nicht anlegen können und deshalb die Passagiere entweder mit der lokalen Fähre oder mit dem Tenderboot an Land gebracht werden. Das Dorf liegt am Hjørundfjord, eingebettet zwischen Bergmassiven am östlichen Ende des Bondalen-Tals. Helga, die Leiterin des Expeditionsteams, meint dazu: „Sæbø ist für mich so typisch für Norwegen. Eine kleine Holzhaussiedlung mit Kirche irgendwo abseits in faszinierender Landschaft.“ Sæbø zeigt sich jedoch geübt mit Besuchern. Die Rentner, die sich am winzigen Hafen zum Plaudern treffen, sind wenig beeindruckt von den fremden Spaziergängern. Doch auf Fragen zu Kultur und Geschichte der Fjordsiedlung geben sie gerne und ausführlich Antwort. In der Ortskirche geben heimische Musiker hin und wieder ein Konzert mit lokalen Weisen. Nur wenige Kilometer entfernt oben am Pass kann man bis weit in den Frühling skifahren - entweder auf den Pisten von Ørsta oder querfeldein mit Crosscountry-Skiern und Hüttenübernachtung.

Rosendal ist der Sonderhafen am Ausgang des Hardangerfjords. Der schmucke 400-Seelen-Ort liegt sogar südlich von Bergen, also gar nicht mehr an der Postschiffroute. Das schmälert jedoch keineswegs seine Attraktivität, die nicht nur auf seiner Lage, sondern auch auf dem Renaissanceschlösschen „Baroniet“ beruht. Es wurde im 17. Jahrhundert von der Familie Rosenkrantz aus Bergen erbaut und ist von einem prächtigen Rosengarten umgeben. Von Rosendal nach Bondhus führt die sogenannte „Eisstraße“ direkt am Fjord entlang. Der Hardangerfjord präsentiert sich nicht typisch schroff mit steilen Felswänden, sondern fast schon lieblich mit Obstgärten und Bauerndörfern. In Bondhus wurden früher Eisstangen aus dem Folgefonn-Gletscher gehackt und zur Kühlung von Fisch, Bier und anderen Lebensmitteln in die Siedlungen transportiert. Heute ist der Gletscherfuß mehrere Stunden Fußmarsch von der Küste entfernt. Eine kleine Wanderung zum ehemaligen Gletschersee ist ein landschaftliches Erlebnis. Zur Stärkung gibt es danach im alten Gasthaus Ola Løo in Bondhus Kaffee und süße Lefse, eine Art Wrap mit Butter und Zucker.

Selbstverständlich dürfen auf einer Seereise auf den Spuren der Postschiffroute auch Norwegens Metropolen - außer Oslo - nicht fehlen. Die Otto Sverdrup macht ausführliche Stopps in Bergen, Ålesund, Trondheim und Tromsø. Der Vorteil der Sonderfahrt: Das Schiff geht in den sehenswerten Städten mindestens jeweils für sechs bis sieben Stunden vor Anker. Da bleibt genügend Zeit für Highlights wie Bryggen, das Hanseviertel von Bergen, die Jugendstilhäuser in Ålesund, den Nidarosdom von Trondheim und die Eismeerkathedrale sowie das Polarmuseum von Tromsø.
Ach ja, das Nordkap darf natürlich auf gar keinen Fall ausgelassen werden. Alternativ wird dafür der winzige Hafen von Skarvag angepeilt. Allerdings kann es in dieser stürmischen Ecke passieren, dass das Schiff bei allzu großem Wellengang auf den klassischen Nordkaphafen Honningsvag ausweichen muss. Sicherheit geht eben vor.

Auf klassische Bordunterhaltung müssen die Passagiere der Expeditionsrouten genauso verzichten wie auf den Postschiffen - kein Bingo, kein Shuffleboard, keine Shows. Stattdessen kommen die Natur- und Kulturinteressierten auf ihre Kosten. Jeden Tag halten die jungen Wissenschaftler des Expeditionsteams interessante Vorträge über Meeresbiologie, Walforschung, Geologie oder den Fischfang an Norwegens Küste. Der Bordfotograf gibt Tipps, wie man auch mit dem Smartphone gelungene Fotos und Videos machen kann. Langweilig wird es wohl den wenigsten an Bord. Ganz im Gegenteil: Eine Expeditionsreise nach Norwegen kann ganz schön anstrengen, wenn man keinen Programmpunkt versäumen möchte. Aber zum Erholen wartet dann auf der Rückfahrt nach Hamburg ein Seetag, wo bei Sonnenschein viele im Deckchair dösen und die Reise nochmals Revue passieren lassen.

Noch keine Kommentare