Film-Welterbe Potsdam Im deutschen Hollywood

Von Oliver Gerhard | 03.03.2023, 06:00 Uhr

Bereist 2019 erklärte die Unesco Potsdam zur „Creative City of Film“ und würdigte damit die mehr als 100-jährige Geschichte als Drehort. Ein Rundgang mit Schauspieler Sebastian Stielke

Feuer prasseln, Flammen lodern, ein Hubschrauber explodiert. Gespannt beobachten die Zuschauer das Finale der Stuntshow im Filmpark Babelsberg. Der Themenpark ist das „Schaufenster“ des Filmbetriebs in Potsdam - hier kann man Kulissen und Requisiten bewundern, sich mit Filmkostümen einkleiden oder gruselige Verletzungen schminken lassen.

Nur wenige Meter weiter stapeln sich Goldbarren - Requisiten aus „Monuments Men“ mit George Clooney. Mauerteile aus „Der Baader Meinhof Komplex“ überragen den Kiosk aus „Sonnenallee“. Und gleich um die Ecke steht die Lok von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer unter Dampf - der zweite Teil des Kinderkultfilms läuft gerade in den Kinos.

Schauspieler und Wahl-Potsdamer Sebastian Stielke stand hier für die Serie „Homeland“ vor der Kamera. „Das war zwar nur eine winzige Rolle als UN-Sergeant“, sagt der 40-Jährige. „Aber es ist ein Glücksfall, als deutscher Mime dabei zu sein. Man weiß nie, was sich daraus ergibt.“ Die Zusammenarbeit mit Kollegen wie Claire Danes genießt er: „Da gibt es keine Star-Allüren.“

Nach Engagements in seiner Heimat Bochum entschied sich Stielke für Potsdam, wo er nicht nur auf der Bühne und vor der Kamera steht, sondern sich auch für den Filmstandort engagiert: Er bereitete die Bewerbung Potsdams als „Creative City of Film“ der Unesco mit vor. Mit Erfolg: Seit Ende Oktober 2019 trägt die Stadt diesen Titel - als erste und einzige in Deutschland.

Außerdem arbeitet er im Filmmuseum. Als Kenner der Szene führt Stielke auch zu Film-Locations, angefangen bei der Wiege der Studios in einer einstigen Kunstblumenfabrik, in deren Glasanbau 1912 der erste Film entstand: „Der Totentanz“, mit Asta Nielsen. Danach ging es rasant weiter: 1924 drehte Hitchcock hier seinen ersten Streifen, 1926 produzierte Fritz Lang „Metropolis“ - der Klassiker zählt heute zum immateriellen Weltkulturerbe. „Hier wurde der Tonfilm erfunden, aber dann preschte Hollywood erfolgreich vor“, sagt Stielke.

Bis zum Beginn der Corona-Krise standen die Studios besser da als je zuvor: An mehr als 5000 Drehtagen im Jahr wurde an Kino-, Fernseh- und Werbeproduktionen gearbeitet. Häufig heimsen Filme aus Babelsberg Preise oder Oscars ein. In punkto Innovation war Babelsberg immer führend, erst kürzlich wurde ein „volumetrisches Studio“ eingeweiht, in dem Schauspieler dreidimensional gescannt werden, um sie in virtuelle Welten zu versetzen.

„In Potsdam kannst du dich ein Leben lang mit dem Thema Film beschäftigen“, sagt Stielke. Angefangen beim Filmkindergarten über die Filmgrundschule, die gerade in Planung ist, und das Filmgymnasium bis zur Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. „Hier habe ich vier Jahre meines Lebens verbracht“, sagt der Mime. „Morgens um acht mussten wir schon im Ballettsaal stehen für Yoga oder Stangenexercise. Wer zu spät kam, wurde zu Liegestützen verdonnert.“

Mehr Informationen:

Film in Potsdam: Das Filmmuseum dokumentiert in parallel drei Ausstellungen 100 Jahre Filmgeschichte, außerdem gibt es Kinoprogramm (Di.-So. 10-18 Uhr, Breite Str. 1a). 
Potsdam Tourismus veranstaltet geführte Touren zum Thema Film. 

Infos: Potsdam Tourismus, Humboldtstraße 1-2, 14467 Potsdam. Updates zur Filmstadt bei Instagram unter #filmstadtpotsdam

Im Studiengang Schauspiel nimmt die Uni nur zehn Studenten pro Jahr auf - ausgewählt aus bis zu 1.000 Bewerbern. „Jeder Student hat im Schnitt einen Dozenten für sich alleine“, berichtet Sebastian Stielke. „Es war schon eine coole Ausbildung.“ Zu den Fächern zählen Akrobatik, Fechten, Synchronsprechen und Barocktanz - mit ausgefallenen Lektionen vom Handstand-Überschlag bis zum Sprechtraining kopfüber vom Balkon hängend.

Nach der Filmuni zeigt Stielke eine Ecke Babelsbergs, die erst seit wenigen Jahren zu den Filmstudios gehört: Auf einem einstigen Industriegelände entstand mit dem „Metropolitan Backlot“ die größte Außenkulisse Europas: mehrere Straßenzüge, die sich je nach Thema in New York, London oder Paris verwandeln lassen. Hier entstanden zahlreiche Aufnahmen zur Erfolgsserie „Babylon Berlin“.
Die Studios sind zwar abgeschirmt, doch immer wieder gelingt ein Blick über eine Mauer oder durch eine Lücke im Zaun, zum Beispiel auf ein Mittelalterdorf, in dem Filme wie „Das kalte Herz“ oder „Die drei Musketiere“ entstanden. Durch ein offenstehendes Tor sieht man auf verbrannte Betonpfeiler, scheinbar Gebäudereste nach einer Explosion für die Serie „Dark“.

Neben der Kulissenstadt Babelsberg können Filmfans Drehorte in Potsdam erleben: Tom Hanks drehte auf der Glienicker Brücke „Bridge of Spies“, Tom Cruise nutzte die Löwenvilla am Winzerberg für Einstellungen zu „Operation Walküre“, für Claire Danes wurde das Holländische Viertel in Amsterdam verwandelt.

Seit der Ernennung zur Filmstadt wurden in Potsdam viele neue Vorhaben angeschoben, zum Beispiel ein Forschungsprojekt mit Bürgerbeteiligung, um Spuren der Filmgeschichte in der Stadt aufzuspüren. Und 2021 eröffnet ein „Boulevard des Films“ - nicht zu Ehren einzelner Stars, sondern für 50 in Potsdam entstandene Filme, die künstlerisch oder kommerziell besonders bedeutsam waren.

Der Wahl-Potsdamer Sebastian Stielke engagiert sich intensiv bei der Umsetzung der neuen Ideen. Und wenn doch einmal Luft ist, kein Dreh oder Theater-Engagement ansteht, schreibt er an seinem ersten Buch. Im Mittelpunkt steht natürlich das älteste Filmstudio der Welt: Babelsberg.

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