
Die Farben des Südens zogen etliche Künstler an Frankreichs Azur-Küste. In herausragenden Museen von Saint-Tropez bis Nizza haben sie ihre Werke hinterlassen. Ein Streifzug zur Kunst in fulminanter Natur.
In perfektem Türkis plätschert das Mittelmeer in La Garoupe an der Baie d’Orée ans feinsandige Ufer. Auch wer kein Millionär ist, kann hier vor den Toren von Antibes unter einem der bunt gestreiften Sonnenschirme der vier Restaurants ein erfrischendes l’eau et menthe bestellen, ein Wasser mit froschgrünem Pfefferminzsirup. Oder gleich einen Kir de Cassis, einen prickelnden Weißwein mit Johannisbeerlikör.
Für uns lieber keinen Alkohol, denn am hinteren Ende des kleinen Familienstrandes beginnt erst unser Weg. In vielen Kurven schraubt er sich förmlich in die wilden Felsen an der Halbinsel von Antibes hinein. Hinter der Küste verbergen sich unter windschiefen Pinien und verwitterten Bruchsteinmauern die teuersten Grundstücke an der ganzen Côte d’Azur. Seit Jahrzehnten sind die Villen und das legendäre Hotel Eden Roc ein Rückzugsort der Reichen und Schönen. Aber der Felsenweg an der Wasserkante ist öffentlich. Und er bringt uns dem spritzigen Azurblau der südfranzösischen Küste, das 1887 den Schriftsteller Stephen Liégeard zum unbezahlbar wertvollen Schlagwort von der „Côte d’Azur“ inspirierte, buchstäblich näher als fast jeder andere. Am Ende wartet mit der Villa Eilenroc ein imposantes Beispiel für die verspielte Großmannssucht der Belle Époque vor dem Ersten Weltkrieg. Der holländische Geschäftsmann Hugh-Hope Loudon hatte 1867 niemand Geringeren mit den Plänen beauftragt als den Architekten der Pariser Oper Charles Garnier. In einem Anagramm benannte Loudon den Prachtbau nach seiner Frau Cornelia. Nach umfassender Sanierung soll der üppige mediterrane Garten direkt am Kap ab Juni 2023 wieder zugänglich werden.

Dabei waren es gar nicht so sehr die kränklichen britischen Gentlemen und andere vermögende Lebemänner (und -damen), die vor 200 Jahren den Ruf der Küste rund um Nizza und Cannes prägten. Das warme Licht des südlichen Sommers, die Freuden des einfachen Landlebens und die schöne Küste lockten zum Ende des 19. Jahrhunderts auch zahlreiche Künstler aus ihren muffigen Ateliers an die Mittelmeerküste.
Schon 50 Jahre vor dem Jetset entdeckten Männer wie Paul Signac, Henri Matisse und Pierre Bonnard den verlebten Charme des stillen Fischerdorfes Saint-Tropez. Signac kaufte 1892 ein Haus und begann zu malen. Viele Kollegen kamen zu Besuch. Ihre Werke sind heute im Musée de l’Annonciade in einer alten Kapelle gleich neben dem Hafen ausgestellt, welches auch die Bedeutung des Ortes für die Entwicklung des Impressionismus anschaulich beschreibt. Da die Sammlung schon vor 100 Jahren aus Künstlerkreisen heraus angestoßen wurde, ist sie bemerkenswert opulent. Während man drinnen sehen kann, wie Signac den großen Hafen von Saint-Tropez 1899 auf Leinwand tupfte, schaukeln nur wenige Meter weiter draußen die weißen Jachten und einige Fischerboote im Hafen. Und wer den Weg hoch zur Festung mit dem Marinemuseum nicht scheut, der sieht das Dorf von oben ganz ohne das tägliche Verkehrschaos fast noch so malerisch an der feinsandigen Baie de Pampelonne liegen wie vor 120 Jahren.

Henri Matisse treffen wir in Nizza wieder. Auf einem grünen Hügel über der Altstadt im Ortsteil Cimiez thront zwischen Palmen, Zypressen und römischen Ruinen die kirschrot getünchte Villa des Arènes mit ihren goldgelben Fenstereinfassungen. Die einflussreiche Patrizierfamilie Gubernatis ließ sie 1683 bauen. Als die Stadt das Anwesen 180 Jahre später übernahm, entstand die Idee, hier unweit seines letzten Ateliers die großzügigen Schenkungen des Malers auszustellen. 1916 war Matisse in die Stadt gekommen. Im noch immer stilvollen Hotel Beau Rivage unten an der Promenade des Anglais nahm er ein Zimmer, um auf Rat seines Arztes seine Bronchitis zu kurieren. Der Stadt blieb Matisse in den milden Wintermonaten treu bis zu seinem Tod 1954. Im Museum kann man seinen Weg vom Impressionismus hin zu bunten Farbflächen in scheinbar spielerischer Leichtigkeit nachvollziehen. Was so beschwingt aussieht, entpuppt sich als das Ergebnis oft jahrelanger Überlegungen.
Wenn man schon in der Nähe ist, kann und sollte man außerdem dem Nationalmuseum für Marc Chagall ganz in der Nähe einen Besuch abstatten. 2023 wird es 50 Jahre alt. Vor allem die zwölf riesigen Gemälde zur Genesis und zum Buch Exodus aus dem Alten Testament in den ersten beiden Räumen des modernen Museumsbaus in einem kunstvoll angelegten Garten beeindrucken fast jeden. Chagall selbst hatte lange Jahre bis zu seinem Tod ganz in der Nähe in Saint-Paul-de-Vence gelebt.

Im benachbarten Antibes gleich neben dem Internationalen Flughafen Nizza zieht es Kunstfreunde dann weniger zum riesigen Sportboothafen Port Vauban mit seinem luxuriösen Megajachten oder auf den herrlich duftenden überdachten Bauernmarkt in der Altstadt. Knapp an der Abbruchkante zum Meer steht weithin sichtbar das alte Grimaldi-Schloss auf den Ruinen einer griechischen Akropolis. Im Sommer und Herbst 1946 hatte sich Pablo Picasso hier ein Atelier eingerichtet. Der bedrückenden Kriegszeit in Paris entronnen, in der er als Gegner Francos nicht ausstellen durfte und weitgehend isoliert lebte, fand er im Süden neue Inspiration, auch im Austausch mit Kollegen wie Henri Matisse. Zum Dank schenkte Picasso der Stadt 23 Bilder, Skulpturen und Keramiken. Die heutige Sammlung ist deutlich größer und umfasst auch Arbeiten von Künstlerkollegen wie Max Ernst oder Joan Míro. Und der Blick über die Brüstung der Terrasse ist schon für sich ein Gemälde.
Region: Die eigentliche Côte d’Azur liegt zwischen Saint-Tropez und der Staatsgrenze zu Italien bei Menton. Als zentrales Quartier empfehlen sich je nach Geldbeutel und Geschmack die Städte Cannes, Antibes und Mandelieu-la-Napoule.
Anreise: Lufthansa fliegt von Frankfurt / Main in 1,5 Stunden nonstop nach Nizza.
Reisezeit: April bis Juni und September. Der Hochsommer ist sehr überlaufen und teuer.
Besichtigungen: Musée de L’Annonciade in Saint-Tropez, Place Georges Grammant 2, nutzen Sie zur Vermeidung der täglichen Staus die Fähre ab St. Maxine, Di – So 10 – 17 Uhr, April – Oktober bis 18 Uhr; Matisse-Museum Nizza, 2. Mai bis Oktober 10 – 18 Uhr, sonst bis 17 Uhr; Musée National Marc Chagall, Avenue du Docteur Ménard, Nizza, Mi – Mo 10 – 17 Uhr, Mai – 3. Oktober bis 18 Uhr; Picasso-Museum im Grimaldi-Schloss, Place Mariejol, Antibes, 10 – 13 und 14 – 18 Uhr, Mittei Juni – Mitte September durchgehend; Villa Ephrussi de Rothschild, Saint-Jean-Cap-Ferrat bei Nizza, 10 – 18 Uhr, Juli-Aug bis 19 Uhr.
Unternehmungen: Küstenwanderung um das Cap d’Antibes: ausgebauter Weg „Sentier de Tire-Poil“, aber mit etlichen Stufen, 4,8 km, 2 Stunden, Start rechts am Strand Plage de la Garoupe (Parkplatz) bis zur Villa Eilenroc, dann durch das Villengebiet zurück.
Ein letzter kleiner Ausflug illustriert, wie sehr sich die Prunksucht und Lebensfreude der Belle Époque und die Kunstproduktion gegenseitig beflügelten. Der Weg führt uns in Nizzas östlichen Vorort Saint-Jean an die Ausläufer des pittoresken Kap Ferrat. Hier steht hoch am Hang in herrlichem Zuckerbäckerrosa gestrichen die einstige Villa der Baroness Beatrice Ephrussi de Rothschild. Nachdem sie ihren spielsüchtigen Mann, einen russischen Bankier, in die Wüste geschickt hatte, ließ die Kunstsammlerin zwischen 1905 und 1912 umgehend das Anwesen im Stil der Neorenaissance an dieses exponierte Fleckchen Erde setzen. Es ist schwer zu sagen, was bei einem hoffentlich ausgedehnten Besuch des Anwesens mehr Eindruck hinterlässt: das eklektische Ensemble aus sakraler Kunst, antikem Mobiliar, Kostbarkeiten aus Fernost und Afrika in den Salons und Laubengängen, die üppig blühenden und duftenden neun Themengärten im Park, die dem kargen Felsboden abgerungen wurden, oder die unvergleichlichen Blicke aufs Meer und die Seealpen. Vielleicht ist es auch die charmante Anweisung der Hausherrin an ihre Gärtner, sämtlich Baskenmützen zu tragen. So kam Madame sich mehr wie auf einem Schiff vor. Jedenfalls gut, dass Papa Rothschild Chef der Banque de France und Eisenbahnmagnat war. So konnte Beatrice eine Zeitblase schaffen und der Öffentlichkeit vermachen, die das Lebensgefühl der Belle Époque an der Côte vortrefflich illustriert. Und das unverschämte Azurblau von Himmel und Meer, das der Küste ihren unvergleichlichen Namen gab, scheint auch von hier oben aus an sonnigen Tagen – und das sind die meisten – zum Greifen nah. Darauf jetzt aber einen Kir!