Neben Elefsina in Griechenland und Timisoara in Rumänien darf sich auch Veszprem Kulturhauptstadt 2023 nennen. Ein Besuch in der ungarischen Stadt am Balaton.
Keine Frage: Mitteleuropas größter Binnensee gehört seit Generationen zu Ungarns beliebtesten Urlaubsregionen. Wer jedoch nur an billigen Partytourismus und Ostcharme denkt, der verkennt, dass in den vergangenen Jahren viele Balaton-Orte in hochwertige Angebote investiert haben. Das gilt erst recht für das Hinterland. So haben insbesondere um den Nationalpark Balaton-Felvidék kleine, feine Restaurants und idyllische Weingärten eröffnet. Auch in Veszprém, der 15 Kilometer nordwestlich des Sees gelegenen „Hauptstadt“ der Bakony-Balaton-Region, tut sich einiges. So lockt seit 2021 der aufgehübschte Altstadtmarkt regelmäßig mit regionalen Produkten, darunter köstliche Strudel und als Pálinkas bekannte Obstbrände. Außerdem erfuhren zahlreiche leerstehende Geschäfte und Gebäude im Zentrum ein Facelift. Im Design & Galerie-Café Kunszt, in der Konditorei Füge und im Kultbistro Papier Papirkutya laufen neuerdings spannende Kulturprogramme. Auch neue Events wurden ins Leben gerufen, etwa das „Filmpicknick“ und die gastronomische Bakony Expo.
Das ist ein gelungenes Aufwärmen für das Europäische Kulturhauptstadtjahr 2023. Da geht bei der bedeutendsten Kulturveranstaltung der EU neben Timisoara (Rumänien) und Elefsína (Griechenland) mit dem Bakony-Balaton-Gebiet die ganze Region ins Rennen, eine absolute Seltenheit. Der Effekt: mehr Akteure, mehr Projekte, mehr Programm. Beteiligt sind 116 Siedlungen und Gemeinden. Mittendrin: das 60000 Einwohner zählende Veszprém. Dort hat Rita Wahab als Kabinettsleiterin der Kulturhauptstadtjahr-Geschäftsführung alle Hände voll zu tun. Den Stress tue sie sich gern an, meint die 33-Jährige, liebt sie doch „unsere einzigartige Lage mit den Weinbergen rund um den Plattensee und den Wäldern in den Bakony-Hügeln, die Veszprém umgeben. Es ist eine Region, in der man eine ungewöhnliche Dichte an spannenden Veranstaltungen und verborgenen Schätzen findet.“

Ob sie damit auf die weiten Buchenwälder (das bedeutet Bakony) anspielt? Die nahe Balaton-Halbinsel Tihany mit ihren Lavendelfeldern? Den 437 Meter hohen Vulkan-Tafelberg Badacsony am Nordwestufer des Sees? Unter dem Motto „Kultur schafft Region“ sollen die Sehenswürdigkeiten nun noch besser herausgestellt werden. Die Mission: Veszprém als Musterbeispiel für „Newtourism“ zu präsentieren. Sprich: Vom Großprojekt sollen alle nachhaltig profitieren, Bewohner wie Besucher. Porga Gyula, seit 2010 Veszpréms Bürgermeister, formuliert das so: „Das Kulturhauptstadtjahr wird dann erfolgreich sein, wenn jeder Einheimische das Gefühl hat, dass es zu ihm gehört.“
Gefühlt sind sie dabei auf einem guten Weg, allein was Engagement und Emsigkeit anbelangt. Auch wenn einiges noch im Entstehen ist, stehen schon enorm viele Projekte und Veranstaltungen. Los geht es am 21. Januar mit einem Paukenschlag. Neben Dutzenden Ausstellungseröffnungen, Sonderführungen und Konzerten verspricht die Produktion „Shine Veszprém“ ein Knaller zu werden. Im wahrsten Sinn. Die kostenlose Show, zu der Zehntausende erwartet werden, verbindet Musik, Tanz, Lichtspektakel und eine großflächige Gebäudeprojektion und endet mit einem nächtelangen Straßenball. Tags darauf geht es mit Theaterpremieren weiter. Im Fokus des „Tags der ungarischen Kultur“ steht dann der 200. Jahrestag von Ferenc Kölcseys „Hymne“ - dem Gedicht, das die Grundlage des Textes der Nationalhymne bildet.
Auch anderen Ungarn wird groß gedacht, etwa dem Dichter Sándor Petöfi sowie dem in Vergessenheit geratenen Universalgelehrten Faustus Verancsics, Beiname „Leonardo da Vinci Ungarns“. Ihm wird ein digitales Denkmal gesetzt. Überhaupt gibt es eine Reihe von digitalen Kulturprojekten, allen voran „Cultnet“, das Künstler und kreative Winzer verbindet. Noch wichtiger aber sind Präsenz-Events, etwa das Holtszezon-Festival für zeitgenössische Literatur Ende Februar und im Herbst das Film-, ferner das Jazz- sowie das Wein- & Gourmet-Festival. Im Mai werben die Gizella-Tage mit Kunstproduktionen der Partnerstädte. Überhaupt der Austausch: An Pfingsten werden 4000 junge europäische Musiker eingeladen, danach Architekturstudenten in die verlassene Mine in Zahalálap.
Veszprém, eine der ältesten und bedeutendsten Städte des Landes und touristisch bislang unterschätzt, begeistert auch ohne Events: Allein das Barockjuwel Erzbischofspalais und die 1000 Jahre alte Basilika sorgen für geballte Pracht im Burgviertel, „wo jeder Stein eine Geschichte über die Stadt erzählt“, so Rita Wahab. Wem man, rein geschichtlich, ständig begegnet, ist die bayerische Prinzessin und spätere Königin Gisela, die wie viele Nachfolgerinnen in Veszprém gekrönt wurde - daher der Beiname „Stadt der Königinnen“. „Mehr Natur verspricht ein reizvoller Wanderweg entlang des Séd-Baches“, empfiehlt die Kabinettsleiterin: „Eine friedliche grüne Insel im Herzen der Stadt.“ Alles mittelalterlich, alles ruhig? Mitnichten. Schließlich leben in Veszprém mehr als 10000 Studierende, was sich im Stadtbild angenehm bemerkbar macht. Junge Leute trifft man durchaus auch außerhalb der Stadt, etwa im Káli-Becken, noch so ein Tipp von Wahab. „Dort finden sich schöne Weinberge, gemütliche Restaurants und tolle Aussichtspunkte mit Blick auf den Plattensee.“
Kulturhauptstadtprogramm: www.veszprembalaton2023.hu/de
Infos: www.veszpreminfo.hu/de
Anreise: Per Auto geht es am schnellsten über Wien und Györ (Vignetten-/Mautpflicht). Von München sind es knapp sieben Stunden. Die Bahn bietet Direktverbindungen von München nach Györ, weiter per Bus, insgesamt etwa acht Stunden von München. Ähnlich lange dauert es per Zug über Budapest und nach Veszprém.
Und im Winter? Dann ist ohnehin die beste Zeit für Wellness - etwa im berühmten Kurort Hévíz mit dem weltgrößten biologisch aktiven Thermalsee. In der kalten Jahreszeit hat auch das Bakony-Gebirge besonderen Reiz, Stichwort Schneeschuhwandern, Langlaufen und Skifahren in der Skiarena Vibe Park. Viel los ist auch auf dem Plattensee, der aufgrund seiner geringen Durchschnittstiefe von 3,25 Metern regelmäßig wochenlang zufriert. Gut für Eiskarneval, Schlittschuhlaufen und Eissegeln. Das geht, vom nicht weit entfernten Neusiedler See mal abgesehen, in Mitteleuropa eigentlich nirgends so gut.