Kreuzfahrt Eine Landratte auf See

Von Jessica Weiser | 21.06.2022, 11:49 Uhr

Kreuzfahrten waren bisher nichts für unsere Autorin. Nun hat sie sich doch an Board gewagt und mit der Costa Venezia das östliche Mittelmeer erkundet.

Bosporus-Brücke, Fernsehturm und die neue, imposante Çamlica-Moschee links, Topkapi-Palast und die Altstadt mit ihren unzähligen Minaretten rechts und dazwischen das satte Blau des Bosporus. Istanbul, die türkische Millionenmetropole, liegt mir zu Füßen, als ich auf den Balkon meiner Kabine auf Deck 14 trete. Möwen ziehen kreischend auf Augenhöhe ihre Kreise, während unter mir kleine Ausflugsboote und Fähren vorbeigleiten. Obwohl ich mir ganz sicher war, dass Kreuzfahrten nichts für mich sind, zaubert dieser Moment ein erstes zufriedenes Lächeln auf mein Gesicht.

Diese Postkartenidylle ist ein gelungener Einstand und entschädigt gleichzeitig für den höllischen Verkehr, der dafür gesorgt hat, dass der Bus vom Flughafen mit ordentlich Verspätung am Galataport und an der Costa Venezia eintrifft. Aber halb so wild, auslaufen wird das Schiff an diesem Abend ohnehin nicht. Das gehört zum neuen Konzept der italienischen Reederei Costa Crociere: Zweitägige Aufenthalte in Istanbul und Kusadai sowie besondere Ausflugsangebote sollen Kreuzfahrtfans und Neukunden begeistern. So sind zum Beispiel mehrtägige Ausflüge nach Kappadokien und zu den Thermalquellen von Pamukkale buchbar. Zukünftig sollen auch noch nächtliche Konzerte im antiken römischen Amphitheater von Ephesos das Angebot ergänzen.

„Jeder Hafen hat seinen Reiz“
 Giulio Valestra
Kapitän der Costa Venezia

Ein neuer Heimathafen für die Costa Venezia

Dass es diese Reise gibt, ist ein Resultat der Corona-Pandemie. Eigentlich sollte die Anfang 2019 in Dienst gestellte Costa Venezia den asiatischen Markt erobern. Doch Covid machte Costa einen Strich durch die Rechnung, und so bekam die Venezia einen neuen Heimathafen: den Galataport in Istanbul, der zentral am Zusammenfluss von Goldenem Horn und Bosporus liegt. Von hier aus wird die „wundervolle Lady“, wie Kapitän Giulio Valestra „sein“ Schiff liebevoll nennt, künftig in See stechen. „Die Routen sind dabei so geplant, dass die Passagiere eine tolle Reise erleben, aber gleichzeitig der Treibstoffverbrauch so gering wie möglich gehalten wird“, erklärt der 49-Jährige. Und so geht es in den nächsten acht Tagen nach Kreta und Rhodos sowie in die türkische Küstenstadt Kusadasi. Auf Letztere freut sich Valestra sehr: „Als ich vor 30 Jahren das erste Mal zur See gefahren bin, haben wir Kusadasi angesteuert“, erinnert sich der Valestra. Einen Lieblingshafen hat er auf der Route trotzdem nicht. „Jeder Hafen hat seinen Reiz“, sagt er diplomatisch.

Aber lässt sich dieser Reiz erleben, wenn man nur wenig Zeit hat? An jedem dieser Orte könnte ich einen ganzen Urlaub verbringen. Bleibt da Zeit für Land, Leute und Entspannung? Ich bin skeptisch, doch tatsächlich stellt sich Letztere – so klischeehaft es klingt – das erste Mal beim Auspacken des Koffers ein. Ich bin angekommen und muss mir eine Woche lang um nichts Gedanken machen. Außer vielleicht darum, mir den Weg zum Restaurant, das sich auf Deck 3 des 324 Meter langen Schiffes befindet, zu merken. Kapitän Valestra und die 1200 Crewmitglieder kümmern sich um den Rest. Und wie sieht es beim Thema Land und Leute aus?

Istanbul im Schnelldurchlauf

Nachdem in den vergangenen zwei Jahren Landgänge ausfallen mussten oder nur in sogenannten Bubbles stattfanden, hat man nun wieder alle Möglichkeiten. Entweder macht man sich auf eigene Faust auf den Weg, oder aber man bucht einen geführten Landausflug. Das erweist sich für mich aus zwei Gründen als gute Idee. Zum einen muss ich mir keine Gedanken um die Zeit machen, und zum anderen lerne ich von den Guides innerhalb kürzester Zeit noch eine ganze Menge.

So treffe ich auf Anil Çiftçi, der seit 38 Jahren Touristen durch Istanbul begleitet. Weil die Zeit knapp ist, nutzt er die Busfahrt zur Sultan-Ahmed-Moschee, besser bekannt als Blaue Moschee, für einen kurzen Einblick in die bewegte Geschichte der Metropole. „Istanbul kann sich damit rühmen, die Hauptstadt gleich dreier Weltreiche gewesen zu sein“, erklärt Anil in perfektem Deutsch. Sowohl die Byzantiner und Römer als auch die Osmanen ließen sich hier, an der Nahtstelle zwischen Europa und Asien, nieder und hinterließen ihre Spuren. „Nach offiziellen Angaben leben heute rund 16 Millionen Menschen in der Stadt“, sagt Anil und zuckt mit den Schultern. „Wie viele es wirklich sind, vermag niemand zu sagen.“

Nach der Blauen Moschee schlendern wir vorbei am Deutschen Brunnen, einem Geschenk von Kaiser Wilhelm II. an Sultan Abdülhamid II., zum Topkapi-Palast – dem ehemaligen Wohn- und Regierungssitz der Sultane. Per Boot geht es danach über den Bosporus zum Mittagessen in den Çiragan-Palast, einen ehemaligen Sultanspalast, der heute ein Luxushotel beherbergt. Dann ein kurzer Blick in den Gewürzbasar und anschließend steht das wohl berühmteste Bauwerk Istanbuls auf dem Programm: Die Hagia Sophia wurde ab 532 n. Chr. als Kirche erbaut und war über Jahrhunderte die größte Kathedrale der Welt. Nach der Eroberung Istanbuls 1453 wurde sie in eine Moschee umgewandelt. Von 1935 bis 2020 diente sie als Museum und ist nun wieder eine Moschee.

Man kann sich kaum sattsehen an der monumentalen Kuppel und der prächtigen Dekoration. Anil könnte noch so viel mehr zu diesem Bauwerk und zur Stadt erzählen, doch viel Zeit bleibt nicht. Geschichte, Genuss, Kultur und Religion im Schnelldurchlauf. Und das im wahrsten Sinne des Wortes – denn viele Wege müssen zu Fuß zurückgelegt werden. Und trotzdem war es ein spannender Tag, an dessen Ende viele Namen, Orte und besondere Momente im Gedächtnis bleiben. Unter anderem auch die Delfine, die sich wie auf Bestellung im Bosporus gezeigt haben.

Mehr Informationen:

Die Costa Venezia ist auf zwei Routen ab Istanbul unterwegs. Beide können auch zu einer 15-tägigen Reise kombiniert werden. Angelaufen werden Istanbul, Bodrum, Izmir und Kusadasi sowie Athen, Rhodos, Kreta und Mykonos. Die Preise beginnen aktuell bei 949 Euro pro Person in einer Innenkabine – inklusive Flug mit Turkish Airlines und All-inclusive-Paket. Im Winter 2022/23 werden von Istanbul aus außerdem zwölftägige Kreuzfahrten angeboten – nach Ägypten, Israel und Zypern. An Bord kommt man mit Englisch gut zurecht. Es gibt zudem eine deutschsprachige Bordbetreuung. Infos und Buchungen unter Costa Kreuzfahrten oder im Reisebüro. 

Zeit zum Genießen

Entspannter sind die Halbtagestouren. So geht es auf Rhodos mit Anna Vrakopoulou vormittags zur Akropolis von Lindos. Die Touristenführerin, die einen Teil ihrer Kindheit in Garmisch-Partenkirchen verbracht hat, ist ein wandelndes Geschichtsbuch und weist auch auf kleine Details hin, an denen man ohne Führung vermutlich einfach vorbeigelaufen wäre. Anschließend bleibt noch genügend Zeit, um die antike Stadtmauer und die zahlreichen kleinen Gassen von Rhodos-Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Kultur, ein wenig Bummeln, ein Käffchen am Hafen – diese Mischung sorgt dafür, dass man am Ende des Tages nicht das Gefühl hat, etwas verpasst zu haben. Auch Baris Tabak, der uns einen Tag später durch Ephesos nahe Kusadasi führt, kennt viele Geschichten – unter anderem über antike Latrinen, versteckte Wegweiser zum Bordell und mehrere Tausend Jahre alte Graffiti. Trotzdem bleibt auch in Kusadasi selbst wieder genügend Zeit – schon allein weil das Schiff hier über Nacht liegt. Da bietet es sich an, für das Abendessen gleich an Land zu bleiben.

Durchschnittlich 20000 Schritte zeigt mir mein Schrittzähler nach den Landgängen an. Wer hätte das gedacht? Da kommen die beiden Seetage im Laufe der Reise wie gerufen. Die von mir befürchtete Langeweile – ein weiteres Kreuzfahrt-Klischee – bleibt aus. Nach dem Frühstück ein Abstecher ins Fitnessstudio auf Deck 12 – Meerblick und moderne Geräte inklusive, dann laden die Liegen auf Deck 15 zum Faulenzen ein. Ich bin an diesen Tagen mit wenig zufrieden, dabei hat die Venezia in Sachen Unterhaltung weitaus mehr zu bieten. Wasserrutschen, Kletterpark, Minigolf, Fußballplatz, zahlreiche Shops, Massagen und Beautyanwendungen – da bekommt man so einen Tag auf See locker rum. Dazu kommen noch 13 Restaurants und sieben Bars. Schnell habe ich meine Lieblingsplätzchen gefunden. Gesellige Treffen sind an der Aperol Bar auf Deck 15 sicher, zum Sonnenuntergang geht es in die Bar Delle Stelle auf Deck 5, und nach dem Abendessen auf Deck 3 locken die Piazza San Marco mit Bar und Livemusik oder das Theater mit tollen Shows.

Der Abschied fällt schwer

Am letzten Abend geht es durch die Dardanellen, die Meerenge zwischen der Ägäis und Marmarameer, zurück nach Istanbul. Ein Cocktail auf Deck 5 muss noch einmal sein, dazu das leise Brummen der Schiffsmotoren, das Plätschern der Wellen – da wird selbst eine Landratte sentimental. Als wir am Galataport festmachen, ist es noch dunkel. Die Lichter der Stadt spiegeln sich im Wasser.

Ein letztes Mal genieße ich den Blick von meinem Balkon. Dann heißt es: „Auf Wiedersehen, Costa Venezia.“ Ich gebe zu, ich bin neidisch auf die Passagiere, die auch den zweiten Teil der Reise gebucht haben und an Bord bleiben. Und das, obwohl ich doch nie eine Kreuzfahrt machen wollte.

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