Eine Kreuzfahrt durchs Ägäische Meer, wo es seit Jahrtausenden auf griechischer und türkischer Seite Abenteuer gab und weiterhin gibt. Am Bosporus wird zum Abschluss fein diniert.
Horst winkt seinem 74-jährigen Sohn Rainer nach, der gerade ein Beiboot bestiegen hat, das ihn für einen Ausflug nach Pérgamon an Land bringt. Der gestandene Mann selbst, der vor ein paar Wochen seinen 101. Geburtstag feierte, bleibt heute lieber an Bord des Kreuzfahrtschiffes Vasco da Gama, das in einiger Entfernung vom Hafen Dikilis in der türkischen Provinz Izmir Anker geworfen hat. „Super gut fühle ich mich mit meinem alten Sohn Rainer“, sagt er und schmunzelt. Auch die spielenden Kinder im „Kinderland“ und die Halbwüchsigen im Pool wollen gerade dort nicht raus.
Vegetation aus Olivenbäumen, Baumwolle, Tabak und Gewächshäusern
Die meisten der Kreuzfahrer verteilen sich derweil am Hafenkai auf die Busse, die sie für einen Tagesausflug nach Pérgamon bringen. Vorbei geht‘s am tiefblauen Mittelmeer, das hier zu Vorderasien gehört, und frischem Grün. Inmitten dieser Vegetation aus Olivenbäumen, Baumwolle, Tabak und vielen Gewächshäusern drehen sich neue Windräder. „Die alternativen Energien“, erklärt der örtliche Reiseführer Adnan Saklayici stolz, „sind bei uns stark gefragt, obwohl die Russen bis zum Jahr 2025 hier ein neues Kernkraftwerk bauen“. Während die grüne, hügelige Landschaft mit kleinen Dörfern am Busfenster vorbeizieht, wandern die Gedanken zurück nach Piräus zur Einschiffung, wo es nach einem herrlichen Sonnenuntergang zu einem Altstadtbummel in Richtung Mykonos ging. Wie bedeutungsvoll die Celsus-Bibliothek in Ephesos - die einstige öffentliche antike Bibliothek aus römischer Zeit war, beweist ihre Ernennung zum Unesco-Weltkulturerbe.
Abrupt endet die Tagträumerei, als der Bus in Pérgamon vor der Ruine der Roten Basilika stoppt, die auch Serapistempel oder Tempel der ägyptischen Götter genannt wird. Der römische Kaiser Hadrian hatte sie im 2. Jahrhundert erbauen lassen, um dem ägyptischen Gott Serapis zu huldigen. Der Tempel wurde genau über dem Bach Selinos erbaut, da vermutet wird, dass bei diesem Kult das Wasser eine wichtige Rolle gespielt hat. Innerhalb der heute verfallenen großen Halle wurde in der byzantinischen Epoche eine Kirche gebaut. Die roten Ziegelwände waren seinerzeit mit Marmor verkleidet. „Diese Marmorverkleidungen“, so erzählt es Adnan, „wurden von den hiesigen Bewohnern nach und nach für ihre Bauzwecke entwendet“. Von den riesigen Türmen auf beiden Seiten ist der nördliche heute zu einer Moschee umfunktioniert. Später gesteht der sachkundige Reiseleiter seinen verdutzten Zuhörern, dass der berühmte Pergamonaltar, der unter König Eumenes II. auf dem Burgberg in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts vor Christus erbaut worden ist, seiner Ansicht nach gut in Berlins Pergamonmuseum aufgehoben ist. „Bei uns wäre er nach und nach bei Nacht und Nebel für hiesige Bauzwecke abgebaut worden.“ Übrig geblieben ist heute das steilste hellenistische Theater Anatoliens, die größte Bibliothek Kleinasiens, das einst größte Gesundheitszentrum Anatoliens, der Heimatort des Pergaments und das erste Ausgrabungsmuseum der Türkei Klöster haben Konjunktur und erfreuen sich immer größerer Beliebtheit.

So machen sich die Gäste des Kreuzfahrtschiffes von der Hafenstadt Volos auf den Weg zu einem Tagesausflug zu einer der beliebtesten Klosterlandschaften, die sich im nordgriechischen Thessalien befindet: den eindrucksvollen Meteora-Klöstern, die ein Highlight der Reise sind. Mit im Bus sitzt Horst, der zwar - im Gegensatz zu seinem Sohn Rainer - nicht über die vielen Treppen zu den Klöstern hinaufsteigen kann, jedoch die einmaligen „schwebenden“ Klöster unbedingt sehen möchte. Sie thronen unvermittelt in der Thessalischen Ebene über dem kleinen Städtchen Kalambaka auf bis zu 400 Meter hohen Felstürmen. Dort oben hatten sich im 12. Jahrhundert gottesfürchtige Eremiten in Höhlen zurückgezogen und ein winziges Kirchlein gebaut, um Gott näher zu sein. Später, im 14. bis 16. Jahrhundert, errichteten Mönche in der Blüte der byzantinischen Epoche in manchmal 80-jähriger Bauzeit 24 griechisch-orthodoxe Klosteranlagen, von denen heute noch sechs existieren, aber nicht alle zu besichtigen sind. Jetzt, nach dem Frühlingsregen bringt die Sonne Farbe ins Land. So lohnt sich nach der Besichtigung des Mönchsklosters Varlaam mit acht Mönchen und dem Nonnenkloster Roussanou mit 17 Nonnen ein Spaziergang vorbei an weiß und lila blühenden Obst- und Judasbäumen, vielfarbigen Anemonen und prachtvollen Orchideen. Weit geht der Blick auf die einzigartigen und nahezu bizarr geformten Sandsteinfelsen, die mit den „Wolkenkratzern des Mittelalters“ in den Himmel ragen. Heute sind sie über Treppen zugänglich, in früheren Zeiten haben sich die Mönche in Netze eingepackt und über handbetriebene Seilwinden zum Beispiel beim Kloster Varlaam 72 Meter hochziehen lassen.
Auf den Spuren von Hollywoodgrößen unterwegs
Tag für Tag ein neues Ziel. So wandeln die Gäste auf der griechischen Insel Skiathos - die zur Inselgruppe der Nördlichen Sporaden gehört - und Horst erfährt erstaunt, dass die Beatles in den 1960er-Jahren hier weilten und vergeblich versucht haben, die Insel zu erwerben. Die Besucher wandeln auch auf den Spuren von Hollywoodgrößen: Hier wurden 2008 einige Szenen für das Abba-Kino-Kultmusical mit Meryl Streep und Pierce Brosnan in den Hauptrollen gedreht. Nach einem Besuch der malerischen Altstadtgassen geht‘s hoch hinauf zum Berg Pilio, wo auf halber Höhe das Kloster Evangelistria versteckt liegt. Dort wurde die erste griechische Fahne gewebt und Priester Joseph hält gerade eine Messe auf Altgriechisch ab. Später, zurück am Hafen, führt ein Spaziergang zu einem der schönsten Strände der Region. Es geht vorbei an sattem Grün und Olivenbäumen, während das Auge von lila, gelben und roten Blumen, die im Frühlingswind tanzen, verwöhnt wird. Zurück auf dem Schiff lösen die Matrosen die Leinen, und die Vasco da Gama nimmt Kurs in Richtung Istanbul. Unterbrochen wird die Fahrt von mehreren Zwischenstopps auf griechischer und türkischer Seite, wo die Tagesausflügler Thessaloniki sowie die archäologischen Stätten von Philippi und Troja erkunden.
Kulturelle Höhepunkte, Erholung und Genuss in der Metropole Istanbul
Im Gegensatz zu den großen Kreuzfahrtschiffen, wo Animation, Wasserrutschen oder Kart-Bahnen für ständige Unterhaltung sorgen, ist die Atmosphäre auf der Vasco da Gama ruhig und entspannt. Das Schiff hat eine überschaubare Gästezahl von maximal 1.000 Passagieren. Diese genießen eine Seefahrt mit Bordprogramm, Unterhaltung mit Shows, abwechslungsreicher Live-Musik und landeskundlichen Vorträgen. Zum Abschluss der elftägigen Reise finden die Gäste noch einmal Inspiration, Erholung, Genuss sowie kulturelle Höhepunkte in der vibrierenden Metropole Istanbul mit ihren weltberühmten Moscheen. Horst und Sohn Rainer bleiben jedoch der Vasco da Gama für weitere zehn Tage bis Marseille treu. Für den rüstigen Vater ist es die siebte und für seinen „alten“ Sohn Rainer die 17. Schiffsreise auf der Vasco da Gama. Eine Handvoll Gäste lassen sich im Restaurant „mikla“ in Istanbul im Stadtteil Beyoglu, das gerade als eines der ersten Restaurants in der Türkei überhaupt mit einem Michelin-Stern geadelt worden ist, kulinarisch von Chefkoch Adem Bogatepe und seinem Team verwöhnen. Im 18. Stockwerk dinieren sie über der pulsierenden Stadt auf Augenhöhe mit der Skyline am Bosporus, während die untergehende Sonne die Hagia Sophia und die Sultan-Ahmed-Moschee inmitten des Häusermeers in rotes Abendlich taucht.