Elefsina, Timisoara, Veszprém Drei Neue für Europa

Von Hans-Werner Rodrian | 28.02.2023, 06:00 Uhr

Im Jahr 2023 gehen erneut drei Städte als Europäische Kulturhauptstädte an den Start. Welche ist die attraktivste?

Das war Künstlerpech: Die Kulturhauptstädte der vergangenen drei Jahre hatten nicht viel von diesem Ehrentitel, weil wegen der Coronapandemie etliches nicht möglich war und die Besucher sich zurückhielten. Hoffentlich geht es den Titelträgern des kommenden Jahres besser. Es werden wie 2022 wieder drei sein: das griechische Elefsina, das rumänische Timisoara und dazu das ungarische Veszprém, das - ein Novum - mit dem benachbarten Balaton als Region auftritt. Was gibt es bei den Dreien zu sehen? Wir sind schon mal vorausgereist.

Elefsina: Griechenlands Aschenputtel 

Eine triste Industriebrache wird Europas Kulturhauptstadt: Wie im Märchen vom Aschenputtel soll Elefsina (das altgriechische Eleusis) zur strahlenden Prinzessin werden. Bislang kennt man den Industrievorort 30 Kilometer westlich von Athen aus zwei Gründen: wegen der großen Vergangenheit und des heutigen Schiffsfriedhofs. Im Golf von Salamis, wo 480 vor Christus in der ersten entscheidenden Seeschlacht der Geschichte die Griechen die Perser schlugen, verrotten heute Dutzende halbversunkene Schiffe - manche seit Jahrzehnten. Am Stadtrand mit bestem Seeblick lassen sie sich von den Ruinen von Eleusis aus besichtigen. Knapp 2000 Jahre lang, bis 362 n. Chr., wurde dort der Mysterienkult zu Ehren der Göttin Demeter gepflegt. Die Teilnehmer mussten ewiges Schweigen geloben, deshalb weiß man kaum Details. Die Priesterinnen verkündeten wohl Heilsvisionen, es wurden Feuer entfacht und rituelle Gesänge inszeniert. Obwohl heute nur noch ein paar antike Säulen stehen, die mit den Fabrikschloten der benachbarten Zementfabrik kontrastieren, lässt die Stätte doch noch das Geheimnisvolle in den Ritualen erahnen. Im heutigen Kulturleben der Stadt ragt vor allem das seit mehr als 40 Jahren bestehende Festival „Aischylia“ heraus. Und nun also Europa: „Euphoria“, Euphorie, ist der Titel des Kulturjahrs. „Wir formen den Übergang“, heißt das Motto. Tatsächlich geht es darum, verlassene Grünanlagen wieder aufzuwerten und mit Theater, Konzerten sowie Festivals in die Gassen der Wohngebiete zu gehen und dort neue Lebensfreude zu starten. Der ganze Ort soll mitmachen und sich selbst mit Kunst von Street-Art bis zur griechischen Tragödie am Schopf aus dem Sumpf ziehen.

Timisoara: Tarzans Heimat

Wenn Transsilvanien die Heimat Draculas ist, dann kann Timisoara - deutsch: Temeswar - mit Tarzan auftrumpfen: Der berühmteste Sohn von Rumäniens drittgrößter Stadt ist Tarzan-Darsteller Johnny Weissmüller, er erblickte im Ortsteil Szabadfalu das Licht der Welt. „Klein-Wien“ wird der Ort nahe dem rumänisch-serbisch-ungarischen Dreiländereck oft genannt. Im 18. Jahrhundert von den Habsburgern gegründet, hört man in Timisoara heute noch viel Deutsch mit Wiener Dialekt. Viele sprechen auch aus einem anderen Grund Deutsch: Dies war einmal die Hauptstadt des Banat und damit die Heimat der Donauschwaben. Die Österreicher haben prächtige Jugendstilbauten hinterlassen, die Renovierung der edlen Fassaden ist in vollem Gang. Einst war die Stadt Motor des Fortschritts: 1884 erstrahlte in Temeswar die erste elektrische Straßenbeleuchtung Europas. Die Altstadt nördlich der Bega lässt sich gut zu Fuß entdecken. Sie ist in Ringstraßen gegliedert wie Wien und Budapest, aber natürlich deutlich kleiner. Ein ausgedehnter Spaziergang führt ins östlich gelegene Fabrikviertel, wo die Mehrzahl der Kulturaktivitäten stattfinden wird. Abends herrscht dort (außerhalb von Corona-Zeiten) Party-Atmosphäre. Freiluftmusik, oft „neue“ Volksmusik, klingt in lauen Sommernächten durch die Straßenlokale. Das Kulturhauptstadt-Projekt hat sich vorgenommen, die ganze Region einzubinden und die jüngere Vergangenheit aufzuarbeiten. Schon heute kann sich der Besucher mit der Ära Ceausescu zum Beispiel im „Museum des kommunistischen Konsumenten“ auseinandersetzen: Im Untergeschoss des Underground-Theaters Au?leu ist eine typische Wohnung der Zeit vor 1990 eingerichtet. Und jeder darf im Kinderzimmer mit den linientreuen Aradeanca-Puppen aus der sozialistischen Epoche spielen. 

Veszprém: Kulturstadt mit Strandanschluss

Die hübsche Kleinstadt Veszprém ist malerisch auf fünf Hügeln erbaut. Trotz des aufwändig restaurierten Zentrums dürfte das deutsch Weißbrünn genannte Veszprém deutlich weniger Menschen bekannt sein als sein Umland. Der Balaton - deutsch Plattensee - ist schließlich Ungarns Urlaubsbadewanne Nummer eins und auch bei Deutschen sehr beliebt. So werden viele Besucher im kommenden Jahr Strand- und Kultururlaub miteinander verbinden. Ein Muss-Ausflug führt zudem zur Porzellanmanufaktur Herend, die mit Meissen und Royal Coepnhagen zu den bedeutendsten weltweit zählt. Veszprém, die tausend Jahre alte „Stadt der Königinnen“ gehörte im Frühmittelalter zu den Großen Drei Ungarns, was noch heute gut bei einem Spaziergang zu erkennen ist. Durch das Heldentor betritt man das mauergesäumte Burgviertel auf seinem schmalen Dolomitfelsen. Der Aussichtspunkt bietet einen weiten Blick auf die Höhenzüge des Balkonygebirges. Ein kleines Museum oberhalb der Tordurchfahrt informiert über die Geschichte des Burgviertels. Zwischen dem Bischofspalast und dem Propstpalais versteckt sich das bedeutendste Baudenkmal: die Gisela-Kapelle. Der kleine Kirchenraum besitzt ein schönes Kreuzrippengewölbe mit bemerkenswerten Schlusssteinen. Die aus der Entstehungszeit der Kapelle um 1230 stammenden Fresken an der Nordwand zeigen sechs „schwebende“ Apostel. Jeden zweiten Sonntag findet auf dem Hauptplatz von Veszprém ein Bauern- und Handwerkermarkt statt. Und nicht verpassen sollte man die Konditorei Koko, die gerade die Goldmedaille beim Culinary World Cup in Luxemburg gewonnen hat. Die Eröffnungsfeier in Veszprém ist am 21. und 22. Januar geplant. So richtig los geht es aber erst im Frühjahr und Sommer 2023. Ein Höhepunkt wird das Musikfestival vom 12. bis 16. Juli sein. 

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