
Zwischen Atomium, Grand Place und Manneken Pis glänzt die belgische Hauptstadt Brüssel mit mehr als 1000 architektonischen Schätzen des Art déco und Art Nouveau.
Wer an Brüssel denkt, der denkt fast automatisch an den Grand Place, das Atomium, das Manneken Pis, die Comic-Kultur, die ungeahnte Biervielfalt oder an handgefertigte Pralinen. Doch die belgische Hauptstadt weiß noch mit einer weiteren besonderen Note zu begeistern: Die rund 1000 Gebäude im Stil von Art déco oder Art Nouveau lassen nämlich nicht nur die Herzen von Architekturliebhabern höher schlagen. Im Gegenteil. Einige der Stilikonen sind längst zu den namhaftesten Landmarken am Hauptsitz der Europäischen Union avanciert. Dazu zählt etwa das Hôtel Solvay, das als Weltkulturerbe nicht von ungefähr unter dem Schutz der Unesco steht.
Zwischen 1898 und 1900 wurde der Art-Nouveau-Prachtbau nach Plänen von Victor Horta für Armand Solvay, den Sohn des wohlhabenden belgischen Chemikers, Industriellen und Philanthropen Ernest Solvay, errichtet. Dabei gelang dem Jugendstil-Architekten der schwierige Spagat, einerseits den Reichtum der Eigentümer zur Schau zu stellen und andererseits gleichzeitig größtmögliche Funktionalität zu garantieren. So war das üppig gestaltete und überaus großzügig geschnittene Treppenhaus weit mehr als die Verbindungsachse zwischen den einzelnen Etagen. Mit Hilfe von Glasdächern und dem von oben einströmenden Licht trotzte Horta erfolgreich der eher geringen Breite der Brüsseler Stadthäuser jener Tage und sorgte dafür, dass das Innere stattlich und repräsentativ wirkte. Was auch wichtig war, denn das Hôtel Solvay wurde von den Besitzern lediglich im Winter bewohnt und ansonsten für sommerliche Empfänge genutzt. Und noch eine weitere Besonderheit weist das Hôtel Solvay auf: es war das erste Haus in Belgien mit elektrischem Licht. Allerdings war die Strahlkraft der einzelnen Lampen sehr, sehr schwach. Daher wurden Hunderte von Lampen überall im Haus angebracht.

Nicht minder faszinierend ist das nur einen Steinwurf entfernt liegende Hôtel Max Hallet, das allein schon wegen seiner Größe herausragt. Üblicherweise besaßen die Häuser zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Brüssel eine Fassadenlänge von maximal sieben Metern. Wobei die Mittelräume in der Regel fensterlos und entsprechend dunkel waren. Das Hôtel Max Hallet war mit einer Grundfläche von 15 mal 20 Metern für die damalige Zeit extrem groß konzipiert. Zu den besonderen Blickfängen zählt neben dem Tiffany-Glas in den Türen des Eingangsbereichs und den pflanzenartigen Ornamenten an den Wänden insbesondere der Wintergarten auf der Zwischenebene mit seinen halbrunden Fenstern. Gemeinsam mit dem Buntglas in der Decke sorgten jene selbst an trüben Tagen für ausreichend Licht. Um die Gäste bei Empfängen angemessen unterhalten zu können, schuf Horta oberhalb des Wintergartens eine Balustrade, hinter der Musiker Platz nehmen konnten, ohne gesehen zu werden.
Nicht minder faszinierend sind die Räumlichkeiten der ehemaligen Bank Brunner im heutigen EU-Viertel. Ursprünglich war das im Jahre 1860 errichtete Gebäude an der Rue de la loi 78 Wetstraat ein Privathaus. Der opulente Eingangsbereich war so angelegt, dass die Hausherren mit der Kutsche vorfahren und trockenen Fußes aussteigen konnten. Entsprechend besitzen die Türen ein Gardemaß von vier Metern Höhe. Die erste Etage diente als Empfangsebene. Genau 28, mit dickem rotem Teppich ausgelegte Stufen führten in der Belle Etage. Die Türrahmen wirken, als seien sie aus Marmor. Tatsächlich verdanken sie ihr Aussehen einer geschickten Spachteltechnik.

Ungewöhnlich war, dass das Gebäude über einen eigens konzipierten Speiselift verfügte. Doppelte Fensterreihen hielten schon vor gut 160 Jahren den Lärm der Welt draußen und fungierten als eine Art Schalldämpfer aus Glas, Holz und eingesperrter Luft. Statt Bildern zierten teure, handgefertigte Teppiche als Symbol des Reichtums die Wände. Bereits im Jahre 1899 wurde der von außen eher unscheinbare Komplex in eine Bank umgewandelt. Während die Beratungsräume mit Mahagoni ausstaffiert wurden, beeindruckt die Geschäftshalle des einstigen Geldinstituts durch einen Marmortresen, bronzene Gitter und eine ungewöhnliche Glaskuppel.
Ganz anders präsentiert sich das Van Buuren Haus, das als so etwas wie die alte, elegante Dame unter den Brüsseler Prachthäusern gilt. Das Haus wurde 1924 bis 1928 im Stil der Amsterdamer Schule als Wohnsitz des Bankiers und Kunstmäzens David van Buuren und seiner Frau erbaut. Seit 1975 beherbergt es ein Museum, dessen Besonderheit darin besteht, dass das Gebäude noch exakt so eingerichtet ist, wie zu Lebzeiten der van Buurens. Die beeindruckende Inneneinrichtung in Art-déco-Stil besteht aus Wandteppichen, seltenen Möbeln und filigraner Glaskunst sowie einer umfangreichen Kunstsammlung mit Gemälden und Skulpturen vom 15. bis ins 20. Jahrhundert.
Ansehen: Museum van Buuren: Avenue Léo Errera 41, 1180 Uccle, Brüssel.
Hôtel Solvay: Avenue Louise 224, 1050 Brüssel.
Hôtel Max Hallet: Avenue Louise 346, 1050 Ixelles, Brüssel.
Öffentliche Art-nouveau- und Art-déco Gebäude: Musée Horta, 25, Rue Américaine.
Musée des Beaux Arts (Bozar), 23, Rue Ravenstein.
Banad Festival: Jährlich öffnen sich im Rahmen des Banad Festival an ausgewählten Wochenenden die Türen zu ansonsten der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Art-déco- und Art-Nouveau-Gebäuden.
Essen & Trinken: Victor Bozar Café, 23 Rue Ravenstein, 1000 Brüssel. Gehobene belgische Küche in einem Art-déco-Restaurant. Café Leffe, Place de Grand Sablon 46, 1000 Brüssel. Beliebte Kneipe mit kleiner Karte.
Informationen: Visit Brussels
Pflanzenliebhaber werden sich unterdessen am Art-déco-Garten des Hauses „Van Buuren“ erfreuen. Besondere Blickfänge sind dort der geometrisch angelegte Rosengarten, der verträumte wie liebevoll angelegte Jardin du Coeur mit seinen herzförmigen Hecken sowie ein gepflanztes Labyrinth, von dessen Achsen immer wieder der Blick auf das rötliche Haus fällt.
Schade nur, dass die Aussicht durch einen hässlichen Gebäudekomplex, der sich direkt an das Museum „Van Buuren“ anschließt und dieses weit überragt, getrübt wird. Aber solche Bausünden markieren nun mal die andere Seite der Brüsseler Architektur. Denn in Belgiens Hauptstadt fielen insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren zahllose Gebäude aus der Zeit von Art déco oder Art Nouveau der Abrissbirne zum Opfer und wurden durch gesichtslose Betonklötze ersetzt. Und so bleibt Brüssel auch für Architekturliebhaber eine Stadt der Kontraste.