Abenteuer auf den Azoren Töchter der Vulkane, Bräute der Winde

Von Ekkehart Eichler | 19.08.2023, 06:00 Uhr

Nichts ist auf den Azoren so spannend wie das Wetter. Doch auch sonst gehört die portugiesische Inselgruppe im Atlantischen Ozean zu den schönsten Inseln der Welt.

Monströse Wolkengespenster wabern vorüber. Düstere Schimmelpilze verschatten sattgrüne Vulkankrater. Federleichte weiße Ufos setzen an zur Landung auf der Spitze des Pico. Weiße Schäfchen mutieren binnen Minuten zu schwarzen Widdern. Allesamt luftige Kunstwerke, die der „Große Koch“ in der Wetterküche Europas zusammenbrutzelt – aus Wasser, Wärme und Wind. Und dabei ein für alle Mal mit dem Irrglauben aufräumt, dass dort, wo das legendäre Azorenhoch gebraut wird, immer traumhaftes Wetter sein müsse. Auch im Sommer regnet es schon mal kräftig, und statistisch gibt es nur vier völlig wolkenfreie Tage im Jahr. 

São Miguel: das Herz des Archipels

Doch nicht allein deshalb sind die neun einsamen Schwestern im Atlantik jede Reise wert. Auch mit ihren vielen Meisterwerken aus dem Lehrbuch erdgeschichtlicher Bildender Kunst dürften sie Spitze sein. Auf der größten und in jeder Hinsicht wichtigsten Insel São Miguel etwa bezaubert Sete Cidades jeden Betrachter: ein Vulkankessel mit 14 Kilometern Umfang, auf dessen Grund gleich zwei Seen wie bildschöne Augen strahlen. Der Clou: Einer leuchtet blau und der andere grün. Mit einer Magie, die nicht nur Romantikern Tränen in die Augen treibt. Wir haben – siehe Wetterintro – allerdings Pech: Geisternebel vermasselt Blick und Farbenspiel auf ganzer Linie. Dafür strahlt – siehe Wetterintro – eine Stunde später am Kratersee von Furnas die Sonne wie gewünscht und präsentiert das ganze Tal in voller Pracht. Eine ähnlich schöne und grüne Kulisse wie Sete Cidades, doch in Furnas gibt es noch mehr – Vulkanismus zum Anfassen (bitte nur bildlich) nämlich, wo es aus rauchenden Dampfquellen und brodelnden Schlammlöchern nach reichlich Teufel stinkt. Selbst das Mittagsmahl Cozido kann man sich im heißen Boden köcheln lassen und anschließend im warmen Thermalsee des Terra-Nostra-Parks herrlich entspannen.

Faial: Flaggen, Frauen, Fabelwesen

Zentral gelegen und weltoffen – das ist der spezifische Reiz von Faial. Berühmt vor über hundert Jahren, als die transatlantischen Telefonkabelgesellschaften die Hauptstadt Horta zum Knotenpunkt zwischen Europa und Amerika erwählten, als erste übrigens die Deutschen im Jahre 1901. Geblieben davon sind vor allem prächtige Villen, die u.a. das beste Hotel der Insel, das Gymnasium und die Feuerwehr beherbergen .Weltbekannt ist das schmucke Städtchen vor allem durch seinen Yachthafen mit der verrücktesten Kaimauer der Welt. Dicht bei dicht eine Malerei neben der anderen: Logos und Comics. Farbenspiele, Flaggen, Fabelwesen. Und Frauen natürlich: Körper, Köpfe, Gesichter, Nixen … Hier gibt´s keine Vorschrift, wer was wie zu gestalten hat. Das einzige Muss ist die Verewigung an sich – so will es der Seefahrerglaube, um Unglück auf dem Meer abzuwenden.

Mehr Informationen:

Geographie: Hauptinsel und Tourismus-Zentrum ist São Miguel, die gemeinsam mit Santa Maria die Ostgruppe bildet. Die Zentralgruppe besteht aus Faial, Pico, Graciosa, Terceira und São Jorge, die Westgruppe weit draußen im Atlantik aus der Blumeninsel Flores und dem einsamen Zwerg Corvo.

Reisezeit: ideal von Frühjahr bis Herbst; im Winter feucht und stürmisch, allerdings auch fantastisch ruhig

Anreise: Von Europa aus nur per Flug. Der größte Airport Ponta Delgada (PDL) liegt auf der Hauptinsel São Miguel (Flugzeit ca. 5 Stunden). São Miguel, Faial, Pico und Terceira werden mehrfach am Tag von der portugiesischen TAP angeflogen (mit Umstieg in Lissabon oder Porto). Direktflüge gibt es von Frankfurt und Düsseldorf mit SATA International, der Fluglinie der Azoren. Zwischen den Inseln besteht regelmäßiger Flug- und Fährverkehr.

Pauschalangebote: Eine 15 Tage Rundreise „Azoren – Höhepunkte“ mit São Miguel, Terceira, Pico, Faial und São Jorge gibt es bei SKR Reisen ab 3.699 Euro (inklusive Flug).

Reiseliteratur: Sehr gründlich recherchiert und von hohem Nutzwert ist der Reiseführer „Azoren“ aus dem Michael Müller Verlag für 24,90 Euro.

Weitere Infos: Portugiesisches Fremdenverkehrsamt und Fremdenverkehrsamt Azoren

So erfährt man zum Beispiel, dass ein gewisser Hamish schon dreimal in Horta vor Anker gelegen hat. Auf seinem Bild sind ein lachender und ein weinender Clown zu sehen mit dem passenden Spruch: „Ich bin glücklich, hier zu sein und traurig, wenn ich wieder gehen muss.“ Mit einer Wolkenkratzer-Skyline grüßen Mark und Chloé aus New York, das Wesen auf dem Bild der Jungs aus Miami ist eine wilde Mischung aus Krokodil, Känguru und Frosch. Als blaue Eidechse surft eine Franzosen-Crew übers Meer, Manu und Michel haben einen Poseidon im Rettungsring gemalt, der ein Segelschiff durch stürmische Wogen zieht. Abends dann treffen sich Weltenbummler und Freizeitkapitäne in der berühmtesten aller Kneipen zwischen Europa und Amerika – in Peters „Café Sport“, wo Gin Tonic und Seglerlatein in Strömen fließen bis zum nächsten Morgen.

Faial zum Dritten ist Urgewalt-Panorama. 1957 vergrößerten gewaltige Vulkanausbrüche die Insel um reichlich zwei Quadratkilometer und schufen eine grandiose Trostlosigkeits- und Endzeitszenerie: bis zu den Giebeln verschüttete Häuserruinen, ein ausgebranntes Leuchtturmskelett, ein paar hartnäckige Gräser und alles bedeckt von rötlichschwarzbrauner Vulkanasche. Kein Wunder, dass das „Junge Land“ auch schon mal als Filmkulisse für ein Science-Fiction-Spektakel herhalten musste. Heute ist der sanierte Achteck-Leuchtturm übrigens das Wahrzeichen des Besucherzentrums von Capelinhos.

Pico: Im Schatten des Vulkans

Das Beste an Faial freilich, behaupten Spötter, sei der Blick auf die Nachbarschwester Pico. Nur sechs Kilometer Wasser trennen Faial vom 2.351 Meter hohen Kegelvulkan, dem Namensgeber der Insel. Ein ziemlich scheuer Bursche, denn tagsüber versteckt er sich gern in den Wolken, die durch Wärme und Feuchtigkeit entstehen. An seinen Flanken erstrecken sich bizarre Lavafelder wie die Hundekopfformation Cachorro, die zugleich Baustoff liefert für hiesige rustikale Eigenheime. Hier gedeiht auch der beste Wein der Azoren, dessen einzigartiger Anbau zwischen schützenden und wärmenden Lavasteinmauern 2006 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

Bis 1983 war Pico auch das Synonym für die Jagd auf Pottwale. Traditionell ausschließlich betrieben per Muskelkraft und Handharpune, was schon mal 24 Stunden pro Tier dauern konnte. Wie mühsam und aufwendig die Meeressäuger auf diese Weise seinerzeit gefangen und anschließend fast vollständig verwertet wurden, darüber kann man sich in zwei stillgelegten Fabriken und dem kleinen Walfangmuseum in Lajes do Pico ein gutes Bild machen. Seit dem Walfangverbot jedenfalls rückt man den Riesen nur mehr zwecks Beobachtung auf die Pelle, und vor allem die vom inzwischen verstorbenen Franzosen Serge Viallelle begründeten whale- watching-Touren werden von Wissenschaftlern, Fotografen und Touristen bis heute hoch geschätzt.

Terceira: Heilig-Geist-Kapellen und Stierkampf am Strick

Wieder eine ganz andere Inselfarbe, wieder mit jeder Menge Eigenheiten – so zeigt sich Terceira. Ca. 60 reizvoll-naiv bemalte Heilig-Geist-Kapellen, die wie lustige Zuckerkuchen aussehen, sind ebenso nur auf der drittgrößten Azoreninsel zu finden wie Stierkampf am Strick: ein Volksfest auf einer abgesperrten publikumsgesäumten Straße, auf der mehrere Männer einen Stier an sehr langer Leine führen. Dutzende Mutige, meist junge Herrschaften, laufen vor dem Gehörnten her, und dieser jagt sie zum Gaudi der Massen um Straßenecken und durch Häuserfenster, auf Mauern und Laternenmasten. Der angenehme Nebeneffekt – das Tier überlebt immer.

Auch Terceiras Hauptstadt Angra do Heroísmo ist ein Kapitel für sich. Elf Sekunden Erdbeben genügten am Neujahrstag 1980, um fast die gesamte Stadt in Schutt und Trümmer zu legen. Danach begann ein mit fast beispiellosem Idealismus und finanziellem Aufwand betriebenes Wiederaufbauwerk unter Hoheit der UNESCO, die Angra zum Weltkulturgut erhob und sich um die historisch exakte Restaurierung von Adelspalästen, Kirchen, Museen, ganzer Straßen- und Gassenzüge kümmerte. Wer Angra heute besucht, wird sich verneigen vor diesen Aufbauleistungen und ein höchst sympathisches und ungemein charmantes Städtchen zu Gesicht bekommen.

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