Urlauber aufgepasst: An Deutschlands Küsten fallen derzeit aggressive Möwen auf, die herumschreien und Sturzflüge auf Passanten machen. Ein Vogelkundler erklärt, was das für Ihr Fischbrötchen heißt.
Seit einigen Tagen ist lautes Geschrei in Flensburg zu hören. Anwohner berichten, dass sie angegriffen werden und versuchen, ihre Balkone mit Plastikkrähen zu verteidigen – offenbar ohne großen Erfolg. Die Möwen, die an der Küste eigentlich immer zu sehen sind, machen gerade mächtig Krawall. Warum ausgerechnet jetzt? Oder sind das einfach Zufälle?

Aggressive Möwen: Scheinangriffe
„Nein, das sind keine Zufälle“, sagt Bernd Koop von der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft für Schleswig-Holstein und Hamburg unserer Redaktion. „Allerdings täuschen die Möwen vor allem an. Das sind Scheinangriffe mit viel Geschrei.“
Der Grund für das aggressive Verhalten der Möwen sei ihre Brut. „Ihre Jungen werden jetzt gerade flügge“, sagt er. „Und da die Tiere nun schon so viel Zeit und Mühe in die Aufzucht ihrer Jungen investiert haben, wollen sie auf gar keinen Fall, dass jetzt noch etwas passiert. Deshalb verteidigen sie ihre Jungen gerade besonders doll.“

Für gewöhnlich legen die Möwen, in Schleswig-Holstein sind es vor allem die Sturmmöwen (Larus canus), ihre Eier in den letzten Apriltagen. Ende Mai schlüpfen die ersten Jungen. Nach fünf Tagen verlassen sie das Nest, „aber dann sind sie noch Fußgänger“ sagt der Vogelkundler. Nach etwa 30 Tagen sind sie dann flügge, beginnen also ihre ersten Flugstunden. „Und dafür ist jetzt Hochsaison.“
Natürliches Brutgebiet verlassen
Eigentlich sind Möwen Bodenbrüter, doch seit einigen Jahren beobachten Naturschutzorganisationen und auch Koop und seine Kollegen, dass Möwen auf Flachdächer ausweichen, da am Boden immer mehr Gefahren lauern. Sogenannte Boden-Prädatoren wie Katzen, Marder oder Hunde machen es den Vögeln schwer, dort in Ruhe zu brüten. Allerdings wird es auf Flachdächern im Sommer schnell sehr heiß. Fehlender Schatten und kaum Wasser reizen die Tiere außerdem.
Wie sollte man sich nun verhalten?
Was aber nun gegen die angriffslustigen Tiere tun? „Da hilft nur weitergehen und die Vögel in Ruhe lassen. In wenigen Tagen sind die Jungen so gut flugfähig, dass sie den Brutplatz tagsüber verlassen und die Angriffslust lässt schnell nach“, sagt Koop.
Wer auf Nummer sicher gehen will, kann einen Schirm aufspannen. „Möwen suchen sich immer den höchsten Punkt am Körper, um anzugreifen – also den Kopf. Aber wie gesagt, in der Regel täuschen die Tiere nur an und drehen dann wieder ab“, sagt der Vogel-Fan.
Möwen verscheuchen ist gar nicht so einfach
Auf keinen Fall sollte man versuchen, die Jungen zu suchen. Denn dann schalten die Elterntiere erst recht in den Verteidigungsmodus. „Wir müssen uns einfach in Toleranz üben“, sagt Koop. „Wir sind in Schleswig-Holstein, und Möwen gehören einfach zur Küste.“
Und auch den angebauten Abwehrmechanismen auf Balkonen oder in Gärten spricht Koop keinen allzu großen Erfolg zu. „Möwen sind sehr lernfähig. Die gucken sich das zwei, drei Tage an und dann wissen sie, dass da nichts passiert.“ Entweder man ist erfinderisch oder könne sich die Plastikvögel sparen. „Am Ende ist das Tüddelkram. Möwen durchschauen das schnell.“
Möwen, die Fischbrötchen und Pommes schnappen
Und auch bei der Problematik, die häufig an typischen Touristenorten zu beobachten ist, gebe es keine richtige Abwehrtechnik. Allzu gerne mopsen die Tiere da Pommes, Eis und Fischbrötchen. „Auch hier hat der Mensch das Problem gemacht. Die füttern die trotz Verbotsschilder. Dann muss man sich nicht wundern. Hatten sie einmal Erfolg, dann merken sie sich das“, sagt Koop.
Außerdem seien Möwen nicht nur Allesfresser, sie lernten auch voneinander. Eine Möwe braucht also nicht einmal ein eigenes Erfolgserlebnis, um zu wissen, dass Pommes, Eis und Fischbrötchen ganz besonders gut schmecken. Koops Tipp: „Einfach gut auf das Essen aufpassen.“