E-Auto im Praxis-Test Alltagstauglich? Vom Glanz und Elend des Elektroauto-Fahrens 

Von Marion Trimborn | 22.11.2022, 05:30 Uhr 45 Leserkommentare

Wer einmal Elektroauto fährt, will es nicht mehr hergeben - oder? Unsere Autorin ist seit drei Monaten von einem Verbrenner auf ein E-Auto umgestiegen. Im Alltag bietet der Wagen von VW viel Glanz, aber auch viel Elend. Ein Erfahrungsbericht – mit praktischen Tipps. 

Eigentlich sind mein Mann und ich überzeugte Dieselfahrer. Mein Mann hat mit seinem Passat 1.9 TDI über 1 Million Kilometer zurückgelegt, darüber hat sogar der NDR berichtet. VW hat uns zu diesem Rekord gratuliert, eine schöne Geste. Mein Mann hängt sehr an seinem Passat, aber allmählich, so meinte er, bräuchten wir doch mal ein neues Auto. Aber wenn schon, dann sollte es etwas technologisch Neues sein. Also ordern wir einen VW ID5, vorsichtshalber aber erst mal nur im Leasing. 

VW unterstützt uns dabei, wir bekommen den Wagen schneller als der normale Käufer. Seit knapp drei Monaten sind wir nun also mit die ersten, die dieses Auto fahren können. Dafür bekommt der Millionen-Passat einen Platz im örtlichen Autohaus und wird dort vom Publikum wohlwollend bestaunt.

Die erste Probefahrt des VW ID5 mit Hindernissen

Was macht man mit einem neuen Auto? Natürlich – eine lange Probefahrt. Also auf nach München, wo wir beruflich zu tun haben, und weiter bis in die Alpen. Also rein ins Abenteuer – und gleich erleben wir Glanz und Elend der E-Mobilität auf der Autobahn-Langstrecke im Dauertest. 

Fangen wir doch gleich mit dem Elend an. Von zuhause bis nach München sind es 670 km, das geht nicht in eins durch, unterwegs ist mindestens einmal oder sogar zweimal Nachladen notwendig – eigentlich kein Problem, steht im Internet. Theoretisch kann das Auto rund 300 km Fahrstrecke in 29 Minuten nachladen, das ist ja nicht länger als die kleine Zwischendurch-Kaffeepause, die wir vorher auch gemacht haben, denken wir uns. Nur - wo ist sie, die nächste Ladesäule unterwegs im Frankenland? 

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Die VW-Navi versagt 

Die VW-Navigation schickt uns nach einem Autobahnstau erst mal dran vorbei, wir glauben ihr mehr als der App und brauchen mehr als eine halbe Stunde Zeit, um die Schnellladestation in einem Industriegebiet endlich zu finden. Die nächste Ladestation auf dem Weg nach München ist schlicht kaputt und gibt nach ein paar Minuten Laden den Dienst auf. „Ich will sofort wieder meinen Diesel wiederhaben“ schimpft mein Mann. „Warum tun wir uns das hier an? Was soll der ganze E-Auto-Hype? So ein Schwachsinn…“ 

Elektroauto fahren kann so schön sein…

Aber: Das (fast) geräuschlose Dahingleiten auf der Autobahn ist sagenhaft. Es ist leiser als das Fahren auf Schienen, selbst in den neuesten ICEs ist es lauter. Dazu die grandiose Beschleunigung, bei der ein Tippen auf das Gaspedal reicht, um in kürzester Zeit die 100 km/h Grenze zu erreichen, hier sind Dieselpiloten chancenlos. Dazu kein Schalten (ein E Auto hat kein Getriebe) und ein vollkommen geräuschloser Motor. Das ist einfach großartig. 

Der Fahrassistent des ID5 ist prima

Auf der Autobahn ist es mittlerweile Abend geworden. Jetzt fängt es an, in Strömen zu regnen, auch das noch. Die ganze Autobahn ist voller Gischt, dazu das grelle Licht der Scheinwerfer – Langstreckenfahrer wissen, jetzt wird es anstrengend. Also: sämtliche Elektronik inklusive Fahrassistenten an. Tatsächlich scheint der ID in einer solchen Situation besser sehen zu können, als wir, er hält eisern die Spur. Na klar, er hat ja auch etwas, was Menschen nicht haben, nämlich Radarsensoren. Ein enormer Sicherheitsgewinn, wir fühlen uns wohl.

Außerdem kann der ID5 auf der Autobahn gefühlt bereits autonom fahren, er hält den Abstand zum Vordermann, er bremst ab, wenn ein Tempolimit beginnt und beschleunigt wieder, wenn es vorbei ist. Warum muss man dann eigentlich noch alle 30 Sekunden das Lenkrad anfassen? Das ist lästig…

Unser ID weckt Neugier. Rot metallic mit schwarzem Panoramadach – das kommt gut. Selbst im verwöhnten Münchner Grünwald drehen sich die Leute nach dem Auto um, anders als bei den dort üblichen Porsches und Ferraris. Das hätten wir nicht erwartet. Andererseits: E-Autos scheinen eingefleischte Verbrenner-Fahrer auch zu provozieren. Nach einem Überholmanöver zeigt uns auf der Autobahn ein Porsche-Fahrer den Mittelfinger. Später schneidet uns ein Audi-Fahrer und setzt sich provozierend direkt vor uns. Wir rätseln noch lange Zeit, warum.

Die Reichweite: Ladestationen bleiben Mangelware

Abends in München kommt die Ernüchterung. Wir brauchen eine Ladestation für die Nacht. Denn wer immer nur schnell lädt, zerstört die Akkus eines E-Autos. Zwischendurch ist deshalb ein langsames Laden der Batterien über Nacht unbedingt notwendig. Die Ladestationen-App zeigt, dass es in der Nähe viele Ladepunkte gibt. Also kann das ja kein Problem sein. Wir fangen an, die Ladestationen in der Nähe abzufahren und staunen. 

In München ist die Parkplatz-Not gigantisch, viele Ladestation sind deshalb verbotswidrig mit Verbrenner-Autos zugeparkt, also keine Chance. Auf anderen stehen Hybrid-Autos, die für das Laden ihrer Mini-Akkus längstens eine Stunde brauchen - aber die Fahrer lassen die Wagen einfach die ganze Nacht über dort stehen. Das ist möglich, weil man nach 21 Uhr keine Blockiergebühren für das Stehen an der Ladesäule mehr zahlen muss. So ein Mist. 

Schließlich finden wir an der Falkenstraße 32 in etwa eineinhalb Kilometern Entfernung doch noch eine Ladestation und latschen missmutig zum Hotel. Wir haben wieder etwas gelernt: Laternenparkplatz und E-Auto – das geht einfach nicht. 

Es kann so schön sein

Die Rückfahrt haben wir besser vorbereitet und uns gezielt Ladestationen an der Autobahn rausgesucht. Wir laden im Frankenland an einer Aral-Station mit niegelnagelneuen Schnellladesäulen – hervorragend. Ich bin mit meinem Gang zur Toilette und einem Cappuccino noch nicht fertig, da ruft mein Mann schon: „Los, weiterfahren, der Akku ist voll“. Das Ganze hat nur etwas mehr als 20 Minuten gedauert. Die Sonne scheint, das E-Auto glänzt in jeder Hinsicht.

Fachsimpeln an der Ladestation

Bei einem zweiten kurzen Ladestopp in der Nähe von Kassel treffen wir einen anderen ID5, am Steuer sitzt ein VW-Mitarbeiter mit direktem Kontakt zur Strategieabteilung. „Der Elektromotor wird sich durchsetzen,“ sagt er. „Der E-Motor hat einfach zu viele Vorteile, enorme Leistung, keinen Wartungsaufwand und höhere Effizienz.” Aber er sagt auch: „Welche Akkutechnologien es sein werden, Lithium-Akkus, andere Akkus oder eben doch Wasserstoff und Brennstoffzellen – das weiß im Augenblick kein Mensch“. 

Es dürfte auch vom Preis abhängen. Denn E-Autos sind noch unfassbar teuer. Unser ID5 schlägt inklusive aller Extras mit 61 000 Euro Kaufpreis zu Buche. Hauptgrund dafür ist der enorm gestiegene Preis für Lithium, also den Grundstoff für die derzeitigen Akkus, der sich innerhalb von zwei Jahren mehr als verzehnfacht hat. Welcher normale Mensch kann das bezahlen? Wenn man einen größeren Mercedes, BMW oder auch Porsche nimmt, können es gerne auch mal 120 000 Euro sein. Ob das auf die Dauer gut geht? Ich habe da so meine Zweifel. Was die auf den Markt drängenden chinesischen Hersteller wie MG mit ihren preiswerteren E-Autos leisten können, muss sich erst noch zeigen.

Was man braucht, damit ein E-Auto Spaß macht

Soll man also jetzt ein E-Auto fahren? Wenn man eine eigene Lademöglichkeit zuhause hat und auf einem Trip nicht mehr als 300 Kilometer fahren muss, würde ich uneingeschränkt Ja sagen. Der Fahrkomfort ist überwältigend und der laufende Betrieb kostet weniger. Als Beispiel: Auf unserer gesamten München-Reise mit etwa 1 600 Kilometern Strecke haben wir für lediglich rund 90 Euro Strom nachgetankt. Selbst mit einem guten Diesel wäre es mindestens das Doppelte der Summe gewesen. 

Dazu keine Wartung, kein Ölwechsel, keine neuen Einspritzdüsen, Dieselpumpen, Turbolader oder Bremsbeläge – nichts, der nächste Inspektionstermin ist erst in 650 Tagen. Wer aber häufig lange Strecken unter Zeitdruck fahren muss und auf öffentliche Ladestationen angewiesen ist - nein, bitte weiter Diesel fahren, kein E-Auto, sonst wird es tatsächlich zum Elend. 

Das Fazit: Leasing ist besser

Und noch etwas: Kaufen Sie kein E-Auto, auf keinen Fall, leasen Sie es. Beim Kauf machen Sie sich von einer Akku-Technik abhängig, die in vier Jahren vermutlich schon wieder überholt ist. Dazu müssen Sie eine exorbitant hohe Geldsumme auf den Tisch legen. Beim Leasing dagegen bleiben Sie flexibel und können jederzeit umsteigen, sobald die Technik den nächsten Sprung macht. Wenn Sie aber einmal ein E-Auto gefahren haben, werden Sie es nicht mehr hergeben wollen, das verspreche ich Ihnen. Das Fahren macht einfach zu viel Spaß. 

45 Kommentare
Michael Mittelhaus
Was die Autorin selbst nicht erwähnt: Der ID5 ist ein SUV! Und da diese Wagenklasse bis zu 20% mehr Energie verbraucht, als ein gleiches Modell ohne »Schrankwandaufbau«, hat sie sich also einen guten Teil des Reichweitenproblems selbst zuzuschreiben.