Schulstart 2022 So teuer ist die Erstausstattung für die Einschulung – was Eltern tun können

Von Inga Gercke | 11.08.2022, 16:04 Uhr | Update am 17.08.2022

Wenn ein Kind in die Schule kommt, bedeutet das für die Eltern vor allem eines: hohe Ausgaben. Mit welchen Kosten Eltern rechnen müssen und was eine Psychologin empfiehlt.

Viele Tausend Kinder werden in Norddeutschland in den kommenden Wochen eingeschult – und sie alle brauchen einen Schulranzen. Der muss farblich zum Federmäppchen und Sportbeutel passen, ergonomisch geformte Rückenpolster, Brust- und Hüftgurte haben sowie atmungsaktiv und wasserabweisend sein. Die Königsklasse wird dann in Form eines integrierten Kühlfachs erreicht.

Erstausstattung ist ein Millionengeschäft

Billig ist so ein Einkauf nicht. Das Konsumforschungsunternehmen GfK hatte zuletzt 2013 in einer Studie herausgefunden, dass Eltern im Schnitt für die Erstausstattung ihrer Kinder 238 Euro ausgeben – aktuellere Zahlen gibt es nicht. Dass es sich bei der Erstausstattung um ein Millionengeschäft handelt, zeigen die Umsatzzahlen der Steinmann Gruppe, zu der Marken wie 4You oder Scout gehören. Im Jahr 2019 verzeichnete das Unternehmen einen Gesamtumsatz von 8,7 Millionen Euro – allein in Deutschland.

Einmal abgesehen von der Schultüte, die ja bekanntlich auch immer größer wird, hört das Geldausgeben nach dem Ranzenkauf nicht auf: Beiträge zur Klassenkasse, Hefte, Tuschkasten, neue Sportschuhe, ein neuer Atlas, Duden und und und – alles muss bezahlt werden.

Chancenungleichheit ab Klasse 1

Gerade Kinder aus einkommensschwachen Familien hätten hier oft das Nachsehen, kritisiert Irene Johns, Vorsitzende des Kinderschutzbundes in Schleswig-Holstein, diese hohen Ausgaben. „Man muss sich einfach mal klarmachen, was der Schulstart wirklich kostet”, sagt sie. Johns sieht hier eine grundlegende Chancenungleichheit vom ersten Schultag an, die „nicht hinnehmbar ist”.

1000 Euro pro Kind und Schuljahr

2016, also noch bevor Tablets und Co. in der Schule genutzt wurden, zeigte eine Studie des Kieler Leibniz-Instituts, dass sich die durchschnittlichen Kosten für Eltern mit allem drum und dran auf knapp 1000 Euro pro Kind und Schuljahr belaufen.

Finanzielle Unterstützung: 156 Euro durch das Bildungspaket

Eltern, die Arbeitslosengeld II oder einen Kinderzuschlag erhalten, haben im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets die Möglichkeit, Zuschüsse für Schulmaterialien zu beantragen. Der Betrag variiert von Jahr zu Jahr. Das Statistische Bundesamt gibt an, dass 2020 und 2021 jeweils rund 22.000 Personen in Deutschland entsprechende Leistungen erhalten haben. Für 2022 können 156 Euro geltend gemacht werden, heißt es aus dem Sozialministerium in Kiel. Doch das reiche nicht, so Johns.

Kinder lügen aus Schamgefühl

Der Kinderschutzbund warnt indes vor zu viel Druck auf die Kinder. Der komme automatisch, wenn sich Eltern Materialien wie Buntstifte, Zirkel oder Taschenrechner schlicht nicht leisten könnten. „Das Dilemma ist: Kinder sind gegenüber ihren Eltern sehr loyal und lassen sich lieber vom Lehrer als nicht verlässlich einstufen, als offen mit dem Geldmangel umzugehen. Aber wie soll ein Kind oder Jugendlicher sich auf Rechtschreibung oder Matheformeln konzentrieren, wenn er oder sie verheimlichen muss, dass kein Geld für die nächste Lektüre oder einen Taschenrechner übrig ist?”, so Johns.

Wie gehen Kinder mit diesem Druck um?

Hinzu käme, dass der Übergang vom Kindergarten zur Schule eine sehr aufregende Phase sei, so Dr. Antonia Misch, die an der Uni Kiel im Bereich der Entwicklungspsychologie und der klinischen Psychologie des Kindes- und Jugendalters arbeitet. „Neben Freude und Neugier auf den neuen Lebensabschnitt kann dieser Umbruch auch Angst und Sorge hervorrufen, vor allem wenn das Kind noch nicht viele der anderen Kinder in der neuen Klasse kennt.”

Das könne die Motivation verstärken, von Anfang an einen guten Eindruck bei den neuen Klassenkameraden zu erwecken – „zum Beispiel durch einen schönen neuen Schulranzen oder andere tolle Dinge, die man stolz den anderen Kindern präsentieren kann.“ Allerdings könne das natürlich auch nach hinten losgehen, denn unter Umständen kann eine tolle Ausstattung bei anderen Kindern natürlich auch Neid hervorrufen, denn Kinder hätten auch in diesem jungen Alter schon ein Verständnis von Besitz und Status.

Das können Eltern und Lehrer gegen den Druck tun

Eltern und Lehrer sollten ganz bewusst darauf verzichten, die Aufmerksamkeit auf Äußerlichkeiten wie Schulranzen, Kleidung oder Materialien zu lenken. Besser wäre die Vermittlung von Werten, wie zum Beispiel einen guten Klassenzusammenhalt, Fairness, einen respektvollen Umgang miteinander oder Fehlertoleranz, so Misch.

Schuluniform eine Lösung?

Eine einheitliche Schulkleidung inklusive Ranzen, wie es beispielsweise in Ländern wie England oder Australien Usus ist, könnte gegebenenfalls den Druck nehmen. „Das ist natürlich auch eine gute Möglichkeit, dieses Problem generell zu vermeiden und gleichzeitig über die gemeinsamen Äußerlichkeiten das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken”, so Antonia Misch.

Kinderschutzbund fordert kostenfreie Materialien 

Um eine Chancengleichheit in der Schule herzustellen, fordert der Kinderschutzbund eine „tatsächliche“ Lernmittelfreiheit. „Alle für den Schulalltag notwendigen Materialien müssen kostenfrei zur Verfügung gestellt werden! Das umfasst Verbrauchsmaterialien wie Hefte und Stifte, genau wie Workbooks, Atlas und Lektüren. Und heute auch digitale Lernmittel”, sagt Johns.

Mehr Informationen:

Lernmittelfreiheit bedeutet, dass Materialien wie Bücher Schülern kostenlos bereitgestellt werden. Allerdings, wie in fast allen Bildungsfragen, ist auch die Lernmittelfreiheit in den Bundesländern ganz unterschiedlich geregelt. In Schleswig-Holstein sind das laut Schulgesetzbuch:
- Schulbücher
- Gegenstände, die ausschließlich im Unterricht eingesetzt werden und in der Schule verbleiben
- zur Unfallverhütung vorgeschriebene Schutzkleidung.

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