Sie haben teilweise Krieg, Not und Zwänge erlebt. Wie denken alte Menschen über die jetzige Krise? Und wo sparen sie? Wir haben nachgefragt.
Anneliese Brandt besitzt viel Energie. Auf die Idee, etwas davon zu sparen, kommt sie nicht. Wozu auch? Ist ja genug davon da. Nur nicht zu Hause sitzen und Däumchen drehen. Und wenn 21 Frauen in der Handarbeitsgruppe im Schweriner Nachbarschaftszentrum „Nebenan“ die Häkel- und Stricknadeln hochreißen, ist die 89-Jährige dabei.
„Jeden Tag duschen? Machen das Leute?“
Heute aber wachsen im Treff nicht nur warme Socken und Topflappen heran. Eine Frau von der Zeitung ist da. Die möchte übers Sparen reden und wissen, was Anneliese Brandt und die anderen darüber denken. Wie ältere Menschen, die selbst teilweise Krieg, Not und Zwänge erlebt haben, die jetzige Krisenzeit wahrnehmen – in der die Preise explodieren und immer mehr Spar-Tipps die Runde machen: Kühlschrank-Temperatur hochdrehen, Heizung neu einstellen, nicht jeden Tag duschen.
„Jeden Tag duschen? Machen das Leute?“, fragt Anneliese Brandt ungläubig. „Das ist total ungesund. Davon geht die Schutzschicht kaputt.“ Anneliese Brandt hat sich gefreut auf die Dame von der Zeitung. Sie will ihr erzählen, dass sie beim Häkeln immer an ihre Kindheit denken muss, an die warmen Socken, die sie für ihren Vater angefertigt hat, damit er nicht an den Füßen frieren musste. Spaß habe ihr das gemacht.
„Mit Sparen bin ich groß geworden“, sagt sie. „Wir sind aus Ostpreußen mit dem Pferdewagen nach Mecklenburg geflohen und haben dann ganz bescheiden gelebt. Abgetragene Sachen von den Nachbarn übergezogen. Wir hatten ja nicht viel.“
Lebensmittel werden nie weggeworfen
Heute könnte Anneliese Brandt, wenn sie denn wollte, auf Shoppingtour gehen. Sich dank der Witwenrente dies und das leisten. Will sie aber nicht. „Ich brauch nicht viel“, sagt sie. „Ich bin bei meinem Level geblieben. Aus den Hemden meines verstorbenen Mannes fertige ich mir Blusen, in dem ich ein paar Knöpfe rannähe. Ich werfe keine Lebensmittel weg und wenn ich einmal Nudeln koche, reicht das für die ganze Woche.“

Plötzlich stimmen andere Frauen am Tisch mit ein: „Wenn ich aus dem Zimmer gehe, mach ich das Licht aus. Ich guck im Einkaufsmarkt nach Angeboten. Mir hilft im Winter eine Strickjacke.“ „Lachen Sie mich nicht aus“, sagt Luise Ehrhardt. „Ich koche manchmal mit zwei Töpfen übereinander. Im unteren kommen zum Beispiel Kartoffeln rein. Dann setze ich einen Topf rauf, der haargenau wie ein Deckel passt und dort ist dann Gemüse drin. So hab ich das von meiner Mutter gelernt. Wir waren eine große Familie und mussten Geld sparen.“

Geschiedene mussten Gürtel enger schnallen
Irgendwie scheinen alle an diesem Tisch zu sparen. Und das nicht erst seit der aktuellen Krise. Die Bescheidenheit dieser Generation fällt auf. Doch einige von ihnen tun es nicht nur, weil sie das Sparen mit der „Muttermilch“ aufgesogen haben. Wer beispielsweise zu DDR-Zeit geschieden wurde, musste schon immer den Gürtel enger schnallen.
So auch die Frau mit der Doppeltopf-Kochmethode. Sie erzählt: „Der Scheidungsrichter sagte damals zu mir, für ihren Lebensunterhalt haben sie allein zu sorgen. Doch ich hatte nur ein ganz geringes Einkommen. Das Geld reichte nicht. Mit meinen Kindern konnte ich nie in den Urlaub fahren. Ich war mein Leben lang nur am Sparen. Und jetzt soll ich noch mehr sparen? Aber wo?“ Luise Ehrhardt macht ein ratloses Gesicht. Zu Hause hat die 88-Jährige alle Leuchten mit LED versehen, erzählt sie. Zum Glück zahle sie nicht so viel Miete für ihre Wohnung, in der sie seit 50 Jahren lebt.
Im Einsatz für nicht frierende Rentner
Zum Thema Sparen will auch Bernd Rosenheinrich, Chef des Landesseniorenbeirats MV, etwas sagen. Er fände die Diskussion, die Heizung runterzudrehen, „unterirdisch“, erklärt er am Telefon. „Dass ein älterer Mensch, der sich den ganzen Tag in der Wohnung aufhält und sich nur wenig bewegt, nicht bei 19 Grad leben kann, dürfte doch bekannt sein.“
Karin Lechner, die Chefin vom Seniorenbeirat Nordwestmecklenburg kämpft derweil darum, dass auch Rentner die 300-Euro-Energiepauschale erhalten, die bisher nur für erwerbstätige Bürger vorgesehen ist. „Wir setzten vom Verband alles in Bewegung, doch wir kommen nicht durch mit unseren Protesten“, sagt sie. „Eigentlich müssten wir Senioren auf die Straße gehen. Die Jugend macht das nicht für uns, das müssen wir schon selber tun. Es gibt viele alte Menschen, die höhere Mietnebenkosten nicht mehr stemmen können. Erst recht nicht, wenn zum Beispiel ein Partner zu Hause und der andere im Pflegeheim wohnt.“
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Dass es für Senioren keine Energiepauschale geben wird, hat sich Doris Fährmann schon gedacht. Sie gehört zu den Frauen, die sich einmal die Woche zum Häkeln und Stricken treffen. „Ich hab gleich zu meiner Freundin gesagt, wir werden sowieso nichts kriegen. Immerhin haben wir in diesem Jahr eine Rentenerhöhung von 6,12 Prozent bekommen. Davon haben wir jeden Monat was. Die 300 Euro gibt es dagegen nur einmal und Steuern gehen auch noch von ab.“ Doris Fährmann ist froh über die Rentenerhöhung. „Man merkt beim Einkaufen schon, dass man mehr Geld ausgibt.“
Niedrige Löhne, niedrige Renten
„Kein Wunder“, sagt Bernd Rosenheinrich vom Landesseniorenbeirat, „dass bei den Lebensmittel-Tafeln in MV der Anteil der Senioren steigt. „Wir haben hier im Land mit die niedrigsten Löhne. Niedrige Löhne, niedrige Renten.“
Eigene Vermögen, Erbschaften und private Altersvorsorge standen und stehen vielen älteren Ostdeutschen ohnehin kaum zur Verfügung. Und das Heer derjenigen, die sich nach der Wende 1989 im Alter von 40 oder 50 Jahren neu orientieren musste, ist groß. Viele hingen über Jahre in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) fest oder fanden sich nach Umschulungen in Jobs wieder, in denen sie nur wenig verdienten.
Eine von ihnen sitzt heute ganz hinten am Tisch der Handarbeitsgruppe. Sie möchte ihren Namen nicht nennen. „Ich habe als Biologin gearbeitet“, erzählt sie. „Als mein Betrieb abgewickelt wurde, machte ich eine Umschulung, doch mit Mitte 40 war es schwer, Fuß zu fassen. Daraufhin habe ich in Baden-Württemberg Senioren in ihrem Zuhause gepflegt, so wie es heute überwiegend die Polinnen machen. Rund um die Uhr. Teilweise hab ich in Abstellkammern gewohnt. Vier Wochen am Stück musste ich pflegen, Essen kochen und putzen. Teilweise durfte ich das Haus nicht eine Stunde verlassen.“
Es macht Sinn, schon Kindern Sparsamkeit beizubringen
Das kümmerliche Einkommen, das die Schwerinerin bekam, wirkt sich bis heute auf ihre Rente aus. „So bin ich in die Schiene gerutscht und muss Wohngeld beantragen“, sagt sie. „Doch ich will nicht klagen. Ich mache das Beste draus. Spare viel, ja. Doch hin und wieder gönn ich mir auch mal was, das Spaß macht. Ein neues Heft mit Strick-Anleitungen oder ein bisschen Wolle.“
Anneliese Brandt, die 89-Jährige mit der vielen Energie, stimmt ihr zu. „Sparsam zu leben fällt uns nicht schwer. Und es schadet nicht, es zu lernen und es im Elternhaus den Kindern mit auf den Weg zu geben. Wir waren damals acht Geschwister zu Hause. Und obwohl wir nicht viel hatten, haben alle ihr Leben gemeistert.“