Gereimte Spruchweisheiten: Nichts eignet sich besser, um in Eltern-Kind-Konflikten das letzte Wort zu haben.
In der letzten Woche hat unsere Elternkolumnistin Corinna Berghahn kindliches Revierverhalten am Beispiel des Beleckens geschildert und ihren Brieffreund gefragt: „Welche Quatsch-Weisheiten kennst Du noch aus Deiner Jugend?“ Dies ist die Antwort von Daniel Benedict:
Liebe Corinna,
kleine Beichte vorab: Nichts stört mich an mir selbst mehr als mein Hang zur Eskalation. Wenn mich an der Ampel einer anhupt, poltere ich sofort los. Wenn müde Kinder laut werden, werde ich lauter. Das alles wäre akzeptabel, würde es mich innerlich nur erleichtern. Leider fühle ich mich hinterher immer noch schlechter. Insofern danke ich sehr herzlich für Deine Frage nach dummen Elternsprüchen. Sie sind, wie mir auffällt, die Lösung meines Problems.
Wenn ich als Kind nämlich Tobsuchtsanfälle hatte, zum Beispiel weil’s am Ende der Ferien kein Geld mehr für Kino und Pommes gab, dann hat mein Vater nicht gemotzt, sondern einfach gereimt: „Nichts kann der Mensch schlechter vertragen als eine Reihe von guten Tagen.“ Der Erfolg war spektakulär: Ich war auf 180 und ins Unrecht gesetzt, mein Vater hatte seine Rache und sich dabei nicht mal etwas vorzuwerfen! Das ist genau das, was ich mir bei Konflikten im Straßenverkehr wünsche: Dem anderen den Tag verderben und lächeln.
In der Rückschau fällt mir auf, dass Weisheiten dieser Art ausnahmslos vorangegangenen Generationen zugeschrieben werden. Vor den Spruch gehört immer die Formel: „Deine Großmutter hätte jetzt gesagt...“ Man zitiert nur, man sagt es nie selbst. Tief in sich drin ahnt wahrscheinlich jeder: Die Freundlichkeit solcher Ratschläge stammt nicht ohne Grund aus einer Zeit, in der man Kinder auch noch schlagen durfte. Viele Sinnsprüche sind überhaupt nur in diesem historischen Kontext begreiflich. „Übermut tut selten gut“ – wer das zu einem blutenden Kind sagt, ist nur zu faul für eine richtige Ohrfeige. Ich glaube nicht, dass ich das je in einer echten Krise gehört habe.
Woran ich mich erinnere, sind Klassiker wie dieser: „Narrenhände beschmieren Tisch und Wände.“ Tatsächlich habe ich als Grundschüler mal eine Straßenlaterne mit Edding bemalt, danach schwere Gewissenbisse gehabt und fest geglaubt, die Polizei wird mich per Schriftabgleich überführen. Lag es am Spruch? Eher nicht. Zur gleichen Zeit habe ich auch heimlich eine Zigarette gepafft und befürchtet, die Kinderärztin würde das Nikotin am Röntgenschirm entdecken. Und damals gab’s ganz sicher keine Reime gegen Raucher.
Ich habe noch mal meine Eltern zum Thema befragt; sie sprudeln vor genialen Belehrungen über: „Glück und Glas, wie leicht bricht das“ – sieben Silben, die selbst heftige Freude in Sekunden zerstören. Oder dies: „Am Abend sind die Faulen fleißig.“ Kannte ich nicht, trifft aber voll auf mich zu. Gerade dieser Spruch eignet sich wunderbar als Entschuldigung meiner Not. Ich bin ja überhaupt nur aus Müdigkeit zornig. Auch diesen Beitrag schreibe ich erst, als der Drucker schon Farbe auf die Walze schmiert: sehr spät nachts. In diesem Sinne: Wenn Vati schon beim Frühstück brüllt, hat er nur seine Pflicht erfüllt.
Herzliche Grüße!
Dein Daniel
PS: Hast Du vor dem Wickeln je um Erlaubnis gebeten?
Das Buch zur Kolumne gibt es auch: Daniel Benedict/Corinna Berghahn: „Vater, Mutter, Kind – 99 Elternbriefe aus dem Alltag.“ Das Buch kostet 19,99 Euro und ist in den Geschäftsstellen Ihrer Tageszeitung erhältlich.