Vater, Mutter, Kind: Elternkolumne TV für Kinder? Nur wenn‘s der Gesundheit dient

Von Daniel Benedict | 25.09.2017, 12:10 Uhr

Dürfen kleine Kinder schon fernsehen? Wie viel Kinder-TV ist zuviel? Und wie gefährlich ist das mediale Vorbild der Lego-Ninjas für zwei- und vierjährige Kinder?

In der vergangenen Woche hat Corinna Berghahn sich zu Läusen bekannt – und ihren Brieffreund gefragt: „Dürfen Deine Kinder glotzen, damit ihr mal etwas Ruhe habt?“ Dies ist Daniel Benedicts Antwort:

Liebe Corinna,

bei der U8 hat die Ärztin uns gefragt, ob und wie lange das Kind schon fernsieht. Eine üble Gewissensfolter, aber ich hatte mir was zurechtgelegt: „Nur wenn es medizinisch indiziert ist.“ Unsere Kinder dürfen nämlich auf dem Telefon Cartoons gucken, damit sie sich die Zähne putzen lassen. Mundhygiene ist lebensverlängernd, das schlägt für mich alle Bedenken.

Die habe ich natürlich auch; schon weil partielle Zugeständnisse das Einfallstor für Verhandlungen sind: Wir putzen auf dem Wickeltisch, die verstehen die Regel also absichtlich falsch, etwa so: Hier ist Fernsehen immer erlaubt. Wir mussten einen Kompromiss schließen; bei allen notwendigen Wickeltisch-Vorgängen dürfen sie gucken (Ankleiden, Grundreinigung, Windelwechsel) – das aber nicht den ganzen Tag, nur weil sie nicht mehr vom Tisch runterkommen.

Fernsehen schadet ja weniger, wenn man gemeinsam guckt. Tatsächlich liebt mein zweijähriges Kind in der Maus-App die Spots am meisten, zu denen ich mal feurige Off-Kommentare improvisiert habe. Das Problem dabei: Ich selbst bevorzuge ein nostalgisch gefärbtes Retro-Programm, das meine Kinder entweder überfordert („Dick und Doof“, „Neues aus Uhlenbusch“) oder einfach nicht interessiert. In meiner Lieblingsfolge von „Löwenzahn“ radelt Peter Lustig – unter vollständigem Verzicht auf Pointen oder auch nur Schnitte – minutenlang durch die Welt meiner Kindheit. Herrlich. Im Idealfall entdecken meine Söhne aber auch Serien, die ich damals fahrlässig verpasst habe. Jetzt erst bin ich zur „Maus auf dem Mars“ gekommen, ein 70er-Jahre-Cartoon mit großartigem Sci-Fi-Soundtrack. (Beim Wickeln kriege ich nur die Tonspur mit. In diesem Fall reichte selbst das für die Anschaffung eines Fan-Shirts. Für mich. Es gibt keine Kindergrößen. )

Wie alle Eltern fernsehender Kinder mache ich mir Vorwürfe – schon wegen des widerwärtigen Optimismus, mit dem die Synchronsprecher bei Conni und Bobo Siebenschläfer alle Schattenseiten des Daseins weglügen. Und natürlich ist die dumme Jovialität, mit der die Ninjago-Buddies das Leben als Abfolge von Kämpfen feiern, gerade für Jungs ein mieses Vorbild. Das alles kann nicht ohne Folgen bleiben. Viel gründlicher als ihre Fernsehhelden gucken die Kinder allerdings mich an. Ich zucke immer wieder zusammen, wenn ich den stummen, ernsten Blick bemerke, mit dem sie mich manchmal betrachten. Wie man Enttäuschungen wegsteckt, wie man Wut kontrolliert, welchen Menschen man vertraut und ob man Angst vor neuen Aufgaben haben muss – das alles sehen sie bei mir. Sogar wenn sie sich wehtun, gucken sie noch vor dem Weinen mich an und prüfen, ob ich panisch oder gelassen bin. Ihr wahres Fenster zur Welt sind wir. Das finde ich noch unheimlicher als TV-induziertes ADHS. Ich weiß ja auch nicht, wie man es im Leben richtig macht.

Ein herzliches „Ninja, Go!“

Dein Daniel

PS: Hast Du auch manchmal das Gefühl, dass Dein kleines Kind zu kurz kommt, weil es seine Wünsche schlechter artikuliert als das große?

Das Buch zur Kolumne gibt es jetzt auch: Daniel Benedict/Corinna Berghahn: „Vater, Mutter, Kind – 99 Elternbriefe aus dem Alltag.“ Das Buch kostet 19,99 Euro und ist erhältlich in den Geschäftsstellen Ihrer Tageszeitung, online unter noz.de/shop sowie telefonisch unter 05 41/310-10 44.

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