Scout, McNeill oder Amigo? Entscheidet die Marke des Schulranzens über den Erfolg im Klassenzimmer? Unser Elternkolumnist, Besitzer eines Tornisters der zu Recht vergessenen Marke „Wum“, erinnert sich.
In der vergangenen Woche hat Corinna Berghahn ihren Verwandten den Ankauf von Schultüten verboten und ihren Ko-Kolumnisten dann gefragt: „Hattest Du einen coolen Schulranzen?“ Dies ist die Antwort von Daniel Benedict:
Liebe Corinna,
schön, dass Du nach Ranzen fragst. Momentan haben wir zwar noch gar keinen im Haushalt. Die einzige Tasche, an der ich mich täglich abschleppe, ist ein mit eingenässter Wechselwäsche, dem Einkauf fürs Abendessen und einem Playmobil-Dinosaurier überfüllter Rucksack. Was den hygienischen Grundzustand und die Überschreitung der zulässigen Achslast angeht, kommt das meinem einstigen Schulranzen immerhin schon sehr nahe.
Ich war überrascht, was für intensive Gefühle Deine Frage in mir auslöst. Meine dominante Erinnerung an den Schulranzen betrifft den Augenblick, in dem meine Eltern ihn mir überreicht haben. Ich sehe noch ganz genau vor mir, wie ich mit dem leeren Ranzen auf dem Rücken durchs Haus gesprungen bin, fröhlich den Jubelvers skandierend: Ich bin ein Schulkind, ich bin ein Schulkind. Obwohl die Einschulung noch Monate entfernt war. Was mich daran besonders rührt, ist die grundsätzliche Zuversicht gegenüber dem Älterwerden, die ich jetzt auch an meinen eigenen Kindern beobachte. Als Vorschüler war ich von der Gewissheit durchdrungen, dass mit den Jahren automatisch alles besser wird, auch ich selbst. Alter als Aufstieg. Schade, dass das irgendwann kippt. Meine Erwartungen an die Zukunft haben jedenfalls entschieden an Euphorie verloren; sogar meine eigentlich glückliche Vergangenheit nehme ich heute eher über die Versäumnisse wahr: Wieso habe ich auf ein Auslandsjahr verzichtet? Wieso habe ich Proust nicht gelesen, als noch Zeit dafür war? Und warum um Gottes willen habe ich mir als Kind Schlümpfe gewünscht und nicht den Darth Vader mit doppelt ausfahrbarem Lichtschwert, der heute 7000 Dollar wert ist?
Was ich an meiner Freude über die erste Schultasche auch bemerkenswert finde: die selige Ahnungslosigkeit, was die wahren Herausforderungen der Schule angeht. Meiner Erfahrung nach wissen Kinder schon in der Kita, dass Mathe irgendwann schrecklich sein wird. Von den sozialen Herausforderungen in einer Klasse mit 20 anderen Kindern hatte ich aber keinen Schimmer. Du fragst, ob ich einen Scout-Ranzen hatte, einen McNeill oder „einen uncoolen Amigo“. Tatsächlich war meine Tasche ein moosgrüner Wum, mit dem ich in der Nahrungskette hämischer Grundschüler an unterster Stelle stand. Es muss eine verstörende Erfahrung gewesen sein, dass der Ranzen, der mich so glücklich gemacht hatte, meinen sozialen Tod besiegelte. Trotzdem erinnere ich mich heute vor allem an das Glück der ersten Begegnung. Das macht Mut. Irgendwann werden meine Kinder auch mich so ernüchtert betrachten wie ich den alten Ranzen und all meine Mängel deutlicher sehen als ich selbst. Und doch bleibt dann vielleicht der Nachhall einer schönen Zeit – in der wir einander so bedingungslos umarmt haben, wie ich damals meinen lieben, bescheidenen, moosgrünen Wum.
Herzliche Grüße!
Dein Daniel
PS: Kannst Du noch Urlaub jenseits der Schulferien buchen oder zahlst auch Du Fantasiepreise für zwei Wochen Ostsee?
Das Buch zur Kolumne gibt es jetzt auch:
Daniel Benedict/Corinna Berghahn: „Vater, Mutter, Kind – 99 Elternbriefe aus dem Alltag.“ Das Buch kostet 19,99 Euro und ist erhältlich in den Geschäftsstellen Ihrer Tageszeitung, online unter noz.de/shop sowie telefonisch unter 05 41/310-10 44 (Mo.–Fr. 9–16 Uhr).