Vater, Mutter, Kind: Elternkolumne „Scheiße sagt man nicht!“ – Gilt die Regel noch?

Von Daniel Benedict | 19.03.2018, 07:00 Uhr

Generationen von Kindern wuchsen mit dem Lehrsatz auf: „Scheiße sagt man nicht.“ Was ist aus Sicht der Sprachpadagogik von der Regel zu halten? Unser Elternkolumnist hakt nach.

In der vergangenen Woche hat unsere Kolumnistin Corinna Berghahn sich das Trauma Elternsprechtag von der Seele geschrieben und ihren Kollegen gefragt: „Was sind familienintern eure liebsten Schimpf- und Koseworte?“ Dies ist die Antwort von Daniel Benedict:

Liebe Corinna,

Scheiße sagt man nicht, hieß es früher immer. Ich habe das nie eingesehen. Jetzt, als Vater, bin ich klüger! Wenn meine Kinder einen ganz bestimmten Freund treffen, sagen sie – komischweise nur bei ihm – bis zum Abendbrot nichts außer Kacka und Scheiße und lachen sich schlapp. Es ist wie ein Polenböller im Windeleimer, nur langweiliger. Da greife auch ich ein und rufe: Flucht, Kinder, aber flucht besser! Euer Vater gibt sich mit diesem dünnen Wortschatz nicht zufrieden!

Grundsätzlich halte ich Schimpfwörter nämlich für förderwürdig. Man liest oft, dass Sprache sich stammesgeschichtlich mit dem Werkzeuggebrauch entwickelt hat: Wer als Neandertaler essen wollte, musste darüber reden, welcher Knüttel die Ur-Kuh am schnellsten erlegt. Ich denke, die Theorie stimmt nicht. Die Höhlenmenschen, mit denen ich zu tun habe, wären jederzeit bereit zu verhungern, wenn sie dabei nur wortreich über den herziehen können, der Schuld daran ist. Für mich ist der Ursprung der Sprache Beziehung; der Fluch gehört damit zur Herzensbildung. Zum Glück ist das Spektrum meiner Jungen breit. Das ist kein Eigenlob; viel nehmen sie ja aus der Kita mit. Kinder, die sich hier mit dem Finger in der Nase erwischen lassen, werden zum Beispiel als Popelinski angesprochen. Ein klarer Beweis für die verkannte Kreativität von Erzieherinnen. Hier mal ein paar aktuelle Schimpfwörter meiner beiden Kinder:


  • Du blöder Einkaufswagen,
  • Du frecher Propellermann,
  • Du Stinkertelefon,
  • Du Käsefußbrillenmann,
  • Du Kacköl,
  • Du Kissenkacks,
  • Du kaltes Herz,
  • Du Scheisamann,
  • Du blöder Schatz.

Die letzten drei mag ich am liebsten, das „kalte Herz“ für seine Poesie, den „Scheisamann“ wegen der lässigen Aussprache. Am „blöden Schatz“ gefällt mir die situative Präzision: Man hört irgendwie, dass die Wut langsam wieder verraucht. Ansonsten sehe ich, dass alles zum Schimpfwort taugt. Wichtig ist nur der Ton der Verachtung. Als Kind übersieht man das leicht. In der Schule hat uns Tim Burtons „Batman“ dazu inspiriert, eine Klassenkameradin namens Bettina über Wochen als Bat-Ina zu veralbern. Ich habe das für ein Wortspiel gehalten, bis eine Lehrerin das Mobbing beendet hat. Entschuldige, Bettina! Ich war dumm.

Zu den wenigen Verboten, die ich durchsetze, gehört das der Ausgrenzung. Der ultimative Kita-Fluch heißt derzeit: „Du bist nicht mehr mein Freund.“ Wenn ich das höre, werde ich sofort laut und erzwinge eine Versöhnung. Vor Schreck wollen sich die Kinder dann auch gleich mit mir vertragen. Einer der beiden entwaffnet mich, wenn ich rumschnauze, übrigens immer reflexhaft mit dem Satz: „Du bist lieb.“ Es wirkt sofort, wie die Beschwörungskraft der Worte ja überhaupt auch ihr Gutes hat. In zärtlichen Momenten zählt mein Kind minutenlang auf, was an mir schön ist: „Du hast eine schöne Nase“, sagt er. „Du hast schöne Beine und weiche Haut, du hast eine schöne Glatze.“ Ja, denke ich dann , er hat recht. Eigentlich ist sie schön.

Herzliche Grüße!

Dein Kackvogel

PS: Wer hat den besseren Impfstatus: Du oder Deine Kinder?

Das Buch zur Kolumne gibt es auch: Daniel Benedict/Corinna Berghahn: „Vater, Mutter, Kind – 99 Elternbriefe aus dem Alltag.“ Das Buch kostet 19,99 Euro und ist in den Geschäftsstellen Ihrer Tageszeitung erhältlich.

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