Vater, Mutter, Kind: Elternkolumne Ist Freundschaft im Kita-Alter dasselbe wie bei Erwachsenen?

Von Daniel Benedict | 06.11.2017, 17:40 Uhr

Freundschaft im Kindergartenalter: Ist das dasselbe, was Erwachsene darunter verstehen? Oder funktionieren Bindungen bei Vierjährigen noch anders?

In der vergangenen Woche hat unsere Elternkolumnistin den Nutzwert der eigenen Kinder bei der Hausarbeit definiert – und ihren Kollegen gefragt: „Haben Deine Kinder schon Freunde?“ Dies ist die Antwort von Daniel Benedict:

Liebe Corinna,

beim Thema Freundschaft spüre ich immer den ewigen Widerspruch zwischen gelebter Praxis und romantischem Ideal, der leider auch meinen Alltag als charmanter Witze-Erzähler, Soufflékoch und Enthüllungsjournalist prägt. Wenn Kinder andere Kinder besuchen, bedeutet Freundschaft ja zunächst einmal den Zugriff auf Spielsachen von Leuten, mit denen man sich ansonsten nicht weiter beschäftigen muss.

Die Schlüsselwerke der Kinder- und Jugendliteratur zeichnen natürlich ein anderes Bild. Mama Muh und Krähe, Karius und Baktus, die drei Fragezeichen – sie alle erleben die Steigerung ihres Selbst im Zusammenhalt gegen miese Autoritäten. Und je älter ich werde, desto deutlicher wird mein Eindruck: Damit bin ich gemeint. Ein humorloser Bauer, der seiner Kuh das Baumhaus verbietet? Die dräuende Zahnbürste? An wen sollen Kinder da denken, wenn nicht an mich, den elenden Willkürherrscher? Die flüsternde Mumie von Justus Jonas? Ein Blick in mein schlafloses Auge reicht, um das Bild zu begreifen.

Die gesamte Traditionslinie von Romeo und Julia bis zu Ronja Räubertochter macht den Widerstand der Eltern sogar zur Bedingung von Freundschaft. Meiner Erfahrung nach ist es in Wahrheit andersrum: Kinder, deren Eltern ich nicht mag, könnten meine Söhne nie besuchen – ich muss ja immer mit. Zu den unheimlichen, von Kindern unbegriffenen Wahrheiten ihres Daseins gehört auch diese: Am Anfang haben sie wenig Chancen auf Kontakte außerhalb der sozialen Blase. Dreijährige mit öden Eltern haben aller Wahrscheinlichkeit nach Freunde mit langweiligen Genen.

In der Kita werden die Karten allerdings neu gemischt. Eben entdecke ich im Familienkalender den Eintrag: Geburtstagsparty bei Elias. Elias? Mein Sohn hat dieses Kind noch nie erwähnt. Trotzdem lädt es ihn ein. Ist die Freundschaft einseitig? Heimlich? Wurde mein Sohn nur versehentlich eingeladen? Ich erinnere mich nur zu gut, wie grausam er selbst vor seinem vierten Geburtstag die Gästeliste immer neu aufgesetzt hat. Sein Treuebegriff weicht von meinem stark ab. Zum Ausgleich ist er viel offener. Während ich mir panisch ausmale, welche quälenden Gespräche ich bald mit Elias’ unbekannten Eltern führe, hat mein Kind schon sieben neue Freundschaften geschlossen. Im Biergarten war der Junge vom Nebentisch für eine Stunde sein Freund – weil er eine Lego-Figur besaß! Genau wie er selbst! In der Mensa hat der Koch ihm ein Hanuta geschenkt – freundlich! Und erst heute Morgen hat er seinem kleinen Bruder beim Frühstück einen Liebesschwur abgerungen. („Bist du mein Freund?“ – „Ja.“ – „Kriege ich dein Schokoladenbrot?“) Na, bitte. Die Welt ist voller Freunde.

Herzliche Grüße

Dein Daniel

PS: Was war das letzte Erfolgserlebnis Deiner Kinder?

Das Buch zur Kolumne gibt es jetzt auch: Daniel Benedict/Corinna Berghahn: „Vater, Mutter, Kind – 99 Elternbriefe aus dem Alltag.“ Das Buch kostet 19,99 Euro und ist erhältlich in den Geschäftsstellen Ihrer Tageszeitung, online unter noz.de/shop sowie telefonisch unter 05 41/310-10 44.

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