Irgendwann hören Kinder auf, Babys zu sein. Warum hören sie nicht auch irgendwann auf rumzuschreien? Gedanken über das Gebrüll als Grundton der geglückten Familienkommunikation.
In der vergangenen Woche hat Corinna Berghahn über die wahren Erfolgserlebnisse im Familiendasein nachgedacht und ihren Kollegen gefragt: „Wen brüllen eure Kinder mehr an: Euch oder sich gegenseitig?“ Das ist die Antwort von Daniel Benedict:
Liebe Corinna,
entschuldige, wenn ich etwas fahrig schreibe. Es ist hier sehr laut. Alle brüllen. Die Kinder, weil sie zu wenig geschlafen haben. Oder – eins passt immer – vielleicht auch zu viel: Das geht auf den Kreislauf. Vielleicht heulen die Kinder auch nur, weil sie die Schokolade suchen, die sie selbst gerade gegessen haben. Einen guten Grund gibt es immer. Ich selbst brülle nur, weil es mir hier zu laut wird. Wer wen am meisten anblafft, kann ich nicht sagen. Oft schreien wir auch einfach nur so. Wer braucht für seine Wut Adressaten, wenn der ganze Kosmos falsch eingerichtet ist?
Familien verbreiten ja generell viel Lärm. Das ist mir schon zu Uni-Zeiten aufgefallen. Dass die Nachbarn von unten gerade einen schönen Samstagsausflug vorbereiteten, hörte man immer schon vorher am Türenknallen. Bis alles eingepackt und angezogen war, stieg der Pegel exponentiell an, damit pünktlich zur Abfahrt hasserfülltes Schweigen eintrat. Ich habe das auf den schlechten Charakter der Nachbarn geschoben, die ich für vulgäre Menschen hielt. Dass ich genauso werde, sobald ich Kinder habe, hätte ich vollkommen abwegig gefunden. Ebenso gut hätte man mir sagen können, dass ich mir als Familienvater Ponchos aus Teppichenresten nähe und scheußliche Folk-Songs plärre, nur weil die Kelly Family es auch so gemacht hat.
Heute weiß ich: Geschrei ist der Grundton erfüllter Eltern-Kind-Erlebnisse; das habe ich gerade erst wieder auf einer Reise zu meiner Mutter erlebt. Ich war allein mit den Jungs unterwegs, nur um mir zu beweisen, dass ich das schaffe. Natürlich wurde der Trip ein voller Erfolg: Wir waren im Puppentheater, die Kinder durften Spielzeug einkaufen, und meine Mutter hat täglich mindestens drei Lieblingsgerichte gekocht. Vor Aufregung sind die Jungs jeden Morgen zwei Stunden früher aufgewacht – kurz nachdem ich selbst aus der Spätvorstellung im Kino zurückkam. (Ich musste ausnutzen, dass jemand zum Aufpassen da war.) Geschlafen haben wir an diesem Wochenende fast gar nicht. Kein Wunder, wenn man da dünnhäutig wird und noch ein bisschen lauter rumbrüllt als sonst.
Mein Vater hatte früher ein Sprichwort für diese Situation: Nichts kann der Mensch schlechter vertragen als eine Reihe von guten Tagen. Es gibt ein englisches Pendant, das ich noch besser finde. Die Lehrerin einer Austauschklasse hat es mal gesagt, als ihr in der Bahn die Wurstscheiben um die Ohren schossen: „Don’t have too much fun.“ Wie wahr. Als junger Vater habe ich nie verstanden, wieso meine Babys jetzt schon wieder weinen. Warum ich heute selbst so oft schreie, weiß ich: Ich muss glücklich sein.
Herzliche Grüße!
Dein Daniel
PS: Was packst Du Deinen Kindern denn Schönes in ihre Adventskalender?
Das Buch zur Kolumne gibt es jetzt auch: Daniel Benedict/Corinna Berghahn: „Vater, Mutter, Kind – 99 Elternbriefe aus dem Alltag.“ Das Buch kostet 19,99 Euro und ist erhältlich in den Geschäftsstellen Ihrer Tageszeitung, online unter noz.de/shop sowie telefonisch unter 05 41/310-10 44.