Vater, Mutter, Kind: Elternkolumne Erziehung: Brüderlich und gleich? Von wegen!

Von Daniel Benedict | 15.01.2017, 07:06 Uhr

Kann man Geschwisterkinder gerecht erziehen? Ein Plädoyer für die Ungleichheit. (Weil sie sowieso unvermeidbar ist.)

In der letzten Woche hat Corinna Berghahn einen tiefen Einblick in die Spielkiste ihrer Kinder gewährt und unseren Elternkolumnisten gefragt: „:Hand aufs Herz: Behandelst Du Deine beiden Kinder gleich?“ Dies ist die Antwort von Daniel Benedict:

Liebe Corinna!

In der Küche meiner Oma standen zwei Waagen. Eine grobe für die Zutaten ihres Käsekuchens. Und eine Briefwaage, mit der sie mir und meinen Geschwistern beweisen musste, dass unsere Tortenstücke alle präzis dasselbe wiegen. Erfahrungen wie diese haben dazu beigetragen, dass ich Gleichheit und Brüderlichkeit lange für das verfassungsmäßige Recht aller Geschwisterkinder hielt. (Zwei Drittel der französischen Revolutionslosung. Fehlte nur noch die Freiheit, aber wer fragt nach der, wenn es Kuchen gibt?)

Nichts stachelte meinen Gerechtigkeitssinn mehr an als Geschichten, in denen es um Privilegien von Erstgeborenen geht. Jetzt sagst Du, das liegt nur an meiner eigenen Rolle als drittes und letztes Kind meiner Eltern. Ich bin aber sicher: Hätte ich damals schon gewusst, dass in moldawischen Dörfern der jüngste Sohn den Familienbesitz erbt – und bei einigen Naturvölkern sogar die letztgeborene Tochter! –, dann hätte es mich genauso empört. Dass der bloße Zeitpunkt der Geburt irgendeinen Unterschied machen soll, habe ich für vollkommenen Irrsinn gehalten.

Erziehung: Die Reihenfolge macht einen Unterschied

Inzwischen weiß ich: Die Reihenfolge ist alles andere als eine abstrakte Kategorie. Und das wegen ganz banaler Tatsachen. Erste Banalität: Wenn ein neues Kind kommt, ist das andere schon da. Als mein erster Sohn ein Baby war, habe ich stundenlange Spaziergänge mit ihm gemacht – damit meine Freundin zuhause nachschlafen konnte. Statt mit dem zweiten Kind dieselben Touren zu unternehmen, habe ich zwei Jahre später noch mehr Ausflüge mit dem ersten gemacht – damit meine Freundin das Neugeborene endlich in Ruhe stillen kann. Zweite Banalität: Bei Geschwisterkindern haben Eltern alles schon einmal erlebt. Als mein Erstgeborener mir zum allerersten Mal sein Essen in den Schoß gekippt hat, war das ein Meilenstein der frühkindlichen Entwicklung, den ich abfotografiert und mit allen Verwandten geteilt habe. Wenn sein kleiner Bruder kleckert, bejammere ich nur noch mein Schicksal als Putzkraft der eigenen Kinder.

Sprich mit mir! Erwartungsdruck beim Zweitgeborenen

Gleichheit ist unmöglich, und das galt auch schon für Omas Kuchen. Wenn jeder seine 180 Gramm auf dem Teller hatte, haben wir uns eben um die Sahne gestritten. Kommen kleine Geschwister schlechter weg? Als hochzufriedenes Nesthäkchen, das ich bis heute geblieben bin, kann ich es nicht glauben. Zumal ja alles zwei Seiten hat. Neulich habe ich mein kleines Kind streng ermahnt, mir endlich zu sagen, wieso es weint. Dann fiel mir ein: Er spricht ja noch gar nicht. Ist das nun eine schlimme Überforderung? Oder Ansporn zum Spracherwerb? Wer kann das schon wissen.

Herzliche Grüße!

Dein Daniel

PS: Machst Du auch immer beim Füttern den Mund auf?

Vater, Mutter, Kind: Über die Elternkolumne

Impfen oder nicht impfen? Was tun, wenn die Tochter sich eine Kuh wünscht? Wie erträgt man Kinderschlager? Eltern stehen täglich vor harten Gewissensfragen. Unsere Kolumnisten kennen das: Corinna Berghahn, vor einem knappen Jahr wieder Mutter geworden, hat ihrer fünfjährigen Tochter schon den Adventskalender geplündert. Daniel Benedict, Vater eines Zweijährigen und eines Kleinkindes, intrigiert bei den Großeltern, damit seine Söhnen weniger Geschenke kriegen. Im wöchentlichen Briefwechsel schütten sie auf www.noz.de/elternkolumne einander das Herz aus.

TEASER-FOTO: