Dürfen Kinder im Winter auch mal frieren? Angesichts so leicht zu verbummelnder Kleidungsstücke wie Handschuhen stellt unser Elternkolumnist sich ein paar eiskalte Fragen.
In der vergangenen Woche hat unsere Kolumnistin Corinna Berghahn eine wohlabgewogene Hatespeech gegen Pippi Langstrumpf formuliert und ihren Kollegen gefragt: „Sind die Hände Deiner Kinder auch schon weggefroren, weil sie alle drei Sekunden ihre Handschuhe vergessen?“ Dies ist die Antwort von Daniel Benedict:
Liebe Corinna,
angesichts zweistelliger Minusgrade hast Du jedes Recht, Dich nach der Wintergarderobe meiner Kinder zu erkundigen. Ich darf dich beruhigen: Unsere Ausstattung ist komplett. Und bei der täglichen Frage der Jungen, warum sie keine Sandalen anziehen dürfen, bleibe ich neuerdings so hart wie das Eis auf dem Landwehrkanal. Bis zum Gefrierpunkt habe ich meinem Zweijährigen allerdings tatsächlich erlaubt, ohne Fäustlinge rauszugehen. Er hatte eiskalte Finger und ein umso wärmeres Herz. Wir beide lieben nämlich nichts so sehr wie den romantischen Automatismus, mit dem seine Hände in meiner verschwinden, wenn ich ihm beim Radeln den Arm hinstrecke.
Wenn ich Handschuhe verbummele, dann nur meine eigenen. Im letzten Jahr hatte ich mir ein teures Paar aus schönem weichen Leder gekauft. Und dann noch eins, als das erste verschwunden war. Jetzt sind beide unauffindbar; aber ich habe mich aber sehr gut arrangiert: Wenn ich die dick eingepackten Kinder morgens abgebe, bitte ich die Tagesmutter einfach, meine Hände kurz mit dem Enteiser vom Lenker zu lösen. Neue Handschuhe kaufen werde ich mir jedenfalls nicht. Ich hab ja welche. Außerdem hoffe ich, aus Schaden klug zu werden. Die erzieherischen Maßstäbe, die ich an meine Kinder anlege, gelten schließlich auch für mich.
Für meine Frau gelten sie leider nicht: Was mir die Handschuhe, sind meinem großen Sohn seine Lego-Männchen. Montags, also am Spielzeugtag der Kita, verlässt er stets mit zwei Figuren das Haus – und kommt mit einer wieder. Oder mit keiner. Oder mit einem Mann ohne Kopf und – noch schlimmer – dem zweiten ohne Waffe. Ich kann das nicht ertragen. Schon wegen der erniedrigenden Folgen: Mal filze ich, zittern aus Angst vor Entdeckung, das Kindergarten-Fach von Sevim. (Der ist jeder Lego-Raub zuzutrauen.) Mal erteile ich Suchaufträge an Erzieherinnen, die ich noch beim Rausgehen darüber lachen höre. Seit Wochen fordere ich Hausarrest für die Lego-Männchen. Meine Frau zieht aber nicht mit und sorgt bei jedem Verlust sofort für Ersatz. Neulich habe ich immerhin durchgesetzt, dass mein Sohn dafür an seine Spardose muss. Auch das selbst bezahlte Männchen war nach dem nächsten Spielzeugtag weg.
Das Suchen an sich hat ja eine sehr existenzielle Dimension. Ich erinnere mich, dass ich ohne Kinder immer gedacht habe, das Eigentliche im Leben kommt noch. Im Grunde müsste das jetzt noch viel schlimmer sein: Vom Abstillen bis zum ersten bleibenden Zahn ist das Familienleben ein Parcours der Meilensteine. Es kommt wirklich immer noch was. Trotzdem fühlt es sich anders an. Mit der kalten Kinderhand in meiner scheine ich am Ende also doch mal etwas Profundes gefunden zu haben. Wen kümmern da Handschuhe?
Herzliche Grüße!
Dein Daniel
PS: Warst Du eigentlich schon mal auf einem Elternsprechtag?
Das Buch zur Kolumne gibt es auch: Daniel Benedict/Corinna Berghahn: „Vater, Mutter, Kind – 99 Elternbriefe aus dem Alltag.“ Das Buch kostet 19,99 Euro und ist in den Geschäftsstellen Ihrer Tageszeitung erhältlich.