Fernsehen gilt gemeinhin als sehr unweihnachtliche Beschäftigung. Trotzdem wird am Fest so viel geflimmert wie selten. Zu Recht!
In der vergangenen Woche hat Corinna Berghahn sich über das Einsetzen der Pubertät im Kleinkindalter gewundert – und ihren Kollegen gefragt: „Schaust Du mit Deinen Kindern schon Weihnachtsfilme? Und wenn ja: Welche?“ Das ist die Antwort von Daniel Benedict:
Liebe Corinna!
Bist du auch schon so festlich gestimmt? Wir selbst lesen seit dem Spätsommer nur noch die Weihnachtsabenteuer von Mama Muh, Pettersson, Karlchen und sämtlichen Lindgren-Helden. Mit jedem Buch wächst meine Überzeugung: Zwischen der Praxis des weihnachtlichen Medienkonsums und seiner Wertschätzung herrscht ein großes Missverhältnis. In unserer Ausgabe von Sven Nordqvists „Geheimnis der Weihnachtswichtel“ steckt beispielsweise eine schöne DVD mit dem Trickfilm zum Buch; trotzdem kommt in sämtlichen Geschichten unserer Festtagsliteratur kein einziger Fernseher vor.
Man sieht ausschließlich Dinge, die vor 100 Jahren schon unter dem Tannenbaum lagen. Die mediale Idee von Weihnachten besteht in einem geschönten 19. Jahrhundert, aus dem die Medien sich selbst komplett rausfantasieren. Darin liegt ein starker Widerspruch zur Alltagserfahrung, in der Fest und Fernsehen eins sind. Die Sender hauen ja nicht grundlos ihre teuersten Blockbuster an den Feiertagen raus.
Auch meine besinnlichsten Erinnerungen an die Heiligabende der 70er gelten dem ARD-Kinderprogramm „Warten aufs Christkind“. Warum auf harten Kirchbänken warten, wenn’s auch im Fernsehsessel geht? Später habe ich oft DVDs verschenkt, um das Festtagsprogramm diskret nach meinem Geschmack zu gestalten. Und bis heute peitsche ich meine Adventsstimmung systematisch mit elektronischen Medien auf: mit den Weihnachtsalben von Bing Crosby, Elvis, James Last und Johnny Cash zum Beispiel. (Wobei Cash, mal nebenbei, für meinen Geschmack zu viel Pferd und zu wenig Rentier verarbeitet.) Mein digitaler Findus-Adventskalender mit 24 PC-Spielen ist leider verloren. Dafür hat Netflix vier oder fünf Märchenfilme im Katalog, die das ganze Spektrum der DEFA-Ästhetik abdecken – vom Aschenbrödel-Realismus mit seinen prächtigen Fischmehl-Schneelandschaften bis hin zur Abstraktion der Frau-Holle-Dekors.
Und schon jetzt fiebere ich der Zeit entgegen, in der meine Kinder alt genug sind, um sämtliche Verfilmungen von Dickens Weihnachtsgeschichte in einer einzigen Adventszeit zu sichten: Dagobert als Scrooge, Bill Murray als Scrooge und – in der Muppet-Fassung – dann auch noch Michael Caine.
Wenn ich die Liste so betrachte, muss ich zugeben: Der frischeste Weihnachtsfilm in meinem Programm ist ein Vierteljahrhundert alt. Offenbar ist auch mein Weihnachtsbild gefährlich nostalgisch. Aber was soll’s! Immerhin schwelge ich in eigenen Kindheitserinnerungen und nicht in denen meiner Oma.
Herzliche Grüße!
Dein Daniel
PS: Macht Ihr noch bunte Teller oder stellt ihr auch einfach ein Paket Zucker mit zwei Löffeln unter den Baum?
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Das Buch zur Kolumne gibt es jetzt auch: Daniel Benedict/Corinna Berghahn: „Vater, Mutter, Kind – 99 Elternbriefe aus dem Alltag.“ Das Buch kostet 19,99 Euro und ist in den Geschäftsstellen Ihrer Tageszeitung erhältlich.