Jedes Kind kann schlafen lernen, sagt die Expertin Annette Kast-Zahn. Hat sie recht?
In der letzten Woche hat Corinna Berghahn eine Kampfschrift gegen die schrecklichsten Einschlafbücher aller Zeiten verfasst – und ihren Kollegen Daniel Benedict gefragt: „Habt Ihr Eure Kinder beim Einschlafen weinen lassen?“ Dies ist seine Antwort:
Liebe Corinna!
Bevor ich auf deine Frage nach dem Schlaftraining antworte, habe ich noch mal den entsprechenden Wikipedia-Eintrag gelesen. Es stimmt also tatsächlich: Dass die Kinder schreien, gehört bei den gängigen Methoden dazu. Bei uns nicht. Keins meiner Kinder habe ich je beim Einschlafen schreien lassen. Wir heulen lieber morgens – ich wegen der Uhrzeit und die Kinder, weil ich mich vor ihnen immer noch eine ganze Weile unter dem Kissen verstecke. Als wirklich mal einer beim Zubettbringen geweint hat, war es die Mutter. Da hatte unser Kleinkind ihr eine randvolle Aluflasche auf die Lippe fallen lassen.
Seit dreieinhalb Jahren liegt bei uns Abend für Abend ein Elternteil neben dem Kind – solange bis einer einschläft. Im besten Fall bin ich es selbst. Vermutlich ist es das Zeichen einer pathologischen Überbehütung – aber ich weiß nicht mal, ob meine Kinder schreien würden, wenn sie allein schlafen müssten. Ich werde es auch nie erfahren. Sie sind inzwischen so alt, dass sie einfach hinterherlaufen, wenn ich das Zimmer verlasse. Schlaftraining scheint sich an kleinere, weniger mobile Kinder zu richten und abgetrennte Kinderzimmer vorauszusetzen. Als Co-Sleeper, die mit den Kindern das Bett teilen, fallen wir durchs Raster. Was ich angesichts des Fachvokabulars auch als Entlastung empfinde: Die üblichen Schulen heißen modified oder graduated extinction – ein Wort, das ich bislang nur vom Artensterben kannte. Und angesichts der Stresshormone, die anhaltendes Kindergebrüll bei mir freisetzt, finde ich das nicht mal zu drastisch formuliert. (Mehr zum Thema: Ein Bett für Vier – Bekenntnis zum Co-Sleeping)
Hierzulande schreien, glaube ich, vor allem geferberte Kinder. Ferbern heißt die Methode, die Annette Kast-Zahn in Deutschland populär gemacht hat – und zwar so gründlich, dass man nur das Wort „Jedes“ eintippen muss, damit Google den Titel ihres Buchs automatisch vervollständigt „ Kind kann schlafen lernen“. Ihr Trick besteht darin, Kinder im Bett einfach brüllen zu lassen und dabei in immer ausgedehnteren Intervallen nach dem Rechten zu sehen. Viele junge Eltern, lese ich bei Wikipedia, müssen beim Einschlafen erstmals „entscheiden, ob sie bewusst erziehen wollen“. Das klingt für mich ein bisschen zurechtweisend. Aber vielleicht will ich auch wirklich lieber intuitiv erziehen. Meine Kinder schreien lassen, geht mir gegen den Strich – auch wenn ich beim Shampoonieren und Zähneputzen kein Pardon kenne. Also lege ich mich weiter mit ihnen zusammen ins Bett. Ich gebe allerdings zu, dass allabendliche „Lurchi“-Lektüren und die Einschlaf-Gymnastik, die mein Kleinkind am liebsten auf meinem Gesicht absolviert, an meinen Nerven zerren. Es hat aber auch Vorteile, vor allem wenn man den Kleinen ins Bett bringt. Dann nämlich darf man von außen auf keinen Fall gestört werden. Und wenn man einfach nicht zugibt, wie schnell er eingeschlafen ist, kann man neben ihm in aller Ruhe Netflix gucken.
Herzlich Grüße!
Dein Daniel
PS Wohnen Barbies in Eurem Mädchen-Haushalt?
Vater, Mutter, Kind: Über die Elternkolumne
Impfen oder nicht impfen? Was tun, wenn die Tochter sich eine Kuh wünscht? Wie erträgt man Kinderschlager? Eltern stehen täglich vor harten Gewissensfragen. Unsere Kolumnisten kennen das: Corinna Berghahn, vor einem knappen Jahr wieder Mutter geworden, hat ihrer fünfjährigen Tochter schon den Adventskalender geplündert. Daniel Benedict, Vater eines Zweijährigen und eines Kleinkindes, intrigiert bei den Großeltern, damit seine Söhnen weniger Geschenke kriegen. Im wöchentlichen Briefwechsel schütten sie auf www.noz.de/elternkolumne einander das Herz aus.