Zwei parallel durchgeführte Studien liefern Erkenntnisse über die Sprachentwicklung bei Kleinkindern während der Pandemie. Lockdowns haben dabei nicht unbedingt geschadet.
Aus 13 Ländern stammen die Forscherinnen und Forscher, die in einem Forschungsverbund die Auswirkungen des ersten Lockdowns auf die Kleinsten der Gesellschaft untersucht haben. Das internationale Team, bei dem maßgeblich Wissenschaftler aus Göttingen beteilig waren, sammelte Daten zu circa 2200 Säuglingen und Kleinkindern im Alter von acht Monaten bis drei Jahren. Man stellte sich die Frage: Wie wirkt sich der Lockdown auf den Spracherwerb und die Bildschirmzeit der Kinder aus?
Forscher befragten während und nach dem ersten Lockdown 2020
Um diese Frage zu beantworten, wurden die Eltern der Kinder kurz nach dem Beginn des Lockdowns Anfang März 2020 gebeten, einen Online-Fragebogen auszufüllen. Darin gaben sie verschiedenste Daten zu ihrem Kind an: Gefragt wurde nach dem Alter des Kindes, möglichem Kontakt zu anderen Sprachen, zur Anzahl der Geschwister und dem Stand, auf dem sich der Wortschatz eines Kindes derzeit befand.
Nach den Lockerungen der Corona-Maßnahmen kontaktierten die Forscherinnen und Forscher die Eltern erneut: Diesmal sollten die Eltern angeben, welche Aktivitäten sie mit ihren Kindern während des Lockdowns unternommen haben.
Außerdem wurde gefragt, wie lange die Kinder vor und während des Lockdowns Zugang zu Bildschirmen hatten. Schließlich wurde ein standardisierter Fragebogen zum Wortschatz der Kinder ausgefüllt. Darin wurde vor allem angegeben, wie viele Wörter ein Kind zu Beginn und am Ende des Lockdowns verstand oder sagte. Auf diese Weise konnte das Forscherteam verschiedene Dinge berechnen, zum Beispiel, wie die Anzahl der Wörter während des Lockdowns zugenommen hat.
Elterliches Vorlesen vergrößerte Wortschatz mehr
Die beiden parallel durchgeführten Studien bescherten den Forschenden viele Erkenntnisse zu Kindern und ihrer sprachlichen Entwicklung. Was zunächst wenig überraschen mag:
Kinder, denen während der Pandemie häufiger von ihren Eltern vorgelesen wurde, lernten mehr Wörter als Gleichaltrige, denen weniger häufig vorgelesen wurde. Gleichzeitig hat der Wortschatz von Kindern, die mehr Zugang zu Bildschirmen hatten weniger profitiert als der Wortschatz ihrer Altersgenossen, die weniger Zeit vor den Geräten verbrachten.
Mehr Bildschirmzeit denn je
Die Studie zur Bildschirmzeit zeigt außerdem: Kinder verbrachten während des Lockdowns mehr Zeit vor Bildschirmen als je zuvor. Dazu verlängerte sich die gewährte Bildschirmzeit, je mehr sich auch der Lockdown verlängerte. In Familien mit geringer Schulbildung wiesen die Kinder dabei durchschnittlich höhere Bildschirmzeiten auf. Soweit die Eltern angaben, selbst viel Zeit vor dem Bildschirm zu verbringen, färbte das in der Regel auf ihre Kinder ab: Auch sie verbrachten mehr Zeit vor den Geräten.
Corona-Maßnahmen ursächlich für höhere Bildschirmzeit
Die Autorinnen und Autoren der Studie führen die erhöhte Bildschirmzeit unter anderem auf die Corona-Maßnahmen zurück. Denn die staatlichen Eingriffe bedeuteten eine starke Beschränkung vieler kindlicher Aktivitäten: So war die Entscheidung, das eigene Kind länger vor dem Bildschirm zu lassen, eine verständliche Lösung, wie Prof. Dr. Nivedita Mani von der Universität Göttingen in einer Pressemitteilung des Informationsdienst Wissenschaft berichtet.
Daher sei es für die Forscher auch nachvollziehbar, dass selbst kleine Kinder, die keiner Online-Schulpflicht unterlagen, mehr Zeit vor dem Bildschirm verbrachten.
Trotz allem: Lockdown hat dem Wortschatz der Kinder nicht geschadet
Insgesamt belegt die Studie jedoch auch, dass die Kinder trotz der erhöhten Bildschirmzeit insgesamt mehr Wörter lernten als vor der Pandemie. In ihrem Fazit spekulieren die Forscher darüber: Möglicherweise sei dies auf andere Aktivitäten zurückzuführen, die Eltern während des Lockdowns mit ihren Kindern unternommen haben.
Außerdem vermuten die Wissenschaftler, dass vielen Eltern die Sprachentwicklung ihres Kindes mehr bewusst war oder dass während des Lockdowns eine besonders intensive Interaktion zwischen Eltern und Kind den Wortschatz weiterentwickelt hat. Allerdings könnten diese und andere Bedingungen auch gleichzeitig vorgelegen haben.