Sie sind schlimmer als Rabenmütter und der Gipfel des Egoismus: Frauen, die keine Kinder wollen. Ein Essay über eines der letzten Tabus unserer Gesellschaft.
„Kinder sind ein Segen Gottes“, schreibt William Shakespeare, der weise britische Dichter, der so oft recht hat. Wer also Nein sagt zu Kindern, sagt Nein zum Segen von ganz oben. Welch ein Frevel, welche Arroganz. Tatsächlich scheint hier ein letztes Tabu unserer ach so aufgeklärten, toleranten Welt zu liegen. In der ist heutzutage alles in Ordnung: Männer, die Frauen lieben, Frauen, die Männer lieben, Frauen, die Frauen lieben, Männer, die Männer lieben, Frauen, die lieber Männer wären, Männer, die lieber Frauen wären, und alles, was sonst noch lebt und liebt. Alles geht, alles darf. Firmen von heute suchen nach Mitarbeitern, die „weiblich, männlich, divers“ sind. Die Gesellschaft, so scheint es, hat die regenbogenfarbene Vielfalt nicht nur akzeptiert, sie fordert sie ein. „Und das ist auch gut so“, wie ein berühmter homosexueller ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin einmal sehr richtig sagte.
Kinder immer noch Frauensache
Und so gibt es ganz selbstverständlich Patchwork-Familien, wilde oder gleichgeschlechtliche Ehen, in denen Kinder aufwachsen, sowie zahlreiche Kreativlösungen je nach Lebenslage und Trennungsrate. Von den insgesamt knapp 13 Millionen Kindern unter 18 Jahren im Land leben 18 Prozent bei nur einem Elternteil. Muss man betonen, dass neun von zehn Alleinerziehenden Frauen sind? Eher nicht. Bei aller moderner Mann-Werdung, die wir in der Kindererziehung derzeit miterleben dürfen: Immer noch sind Kinder – vom Bekommen bis zum Sich-drum-kümmern – mehrheitlich Frauensache. Zwar beantragen mehr Männer Elternzeit, doch immer noch dauert diese bei ihnen im Schnitt drei Monate, bei Frauen dagegen fast ein Jahr. Auch die absoluten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 1,4 Millionen Frauen beantragten 2018 den finanziellen Zuschuss, aber nur 433.000 Männer, das ist weniger als ein Drittel. Kinder und Frauen, Frauen und Kinder, sie gehören zusammen.
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Irgendwer muss doch die Welt retten
Dass es überhaupt in Deutschland wieder mehr Kinder gibt, ist natürlich gut. Irgendwer muss doch die Welt retten und die Eisbären vor dem Aussterben. Von der Rentenkasse, ganz zu schweigen. Die Kinder von heute sind übermorgen die Finanziers der Alten. So betrachtet, verweigern Frauen, die keine Kinder wollen, mutwillig ihren Beitrag zur Weltrettung und zur Stabilisierung der löchrigen sozialen Netze. „Dead End“ – „totes Ende“, steht auf Sackgassen-Schildern im englischsprachigen Raum. Frauen, die keine Kinder wollen, sind die „Dead Ends“ der Gesellschaft.
Spätestens hier tauchen Fragen auf: Sind diese Frauen überhaupt richtige Frauen? Was stimmt mit ihnen nicht, dass sie sich ihrem gottgewollten Daseinszweck verweigern? Wie kommen sie dazu, sich gegen das Kinderkriegen zu entscheiden? Schauen wir uns das Phänomen also näher an:
Die Gründe, weshalb Frauen keine Kinder bekommen, sind vielfältig: Mal fehlt der Partner, mal der rechte Zeitpunkt, mal gibt es biologische Probleme. Während zwei Drittel der kinderlosen Frauen in Deutschland sich durchaus vorstellen können oder sogar wünschen, einmal Mutter zu sein, ist bei dem restlichen Drittel klar: Sie möchten nicht. Die Gründe dafür sind ebenfalls vielschichtig. „Ich will diese Rolle einfach nicht. Ich will nicht leben wie meine eigene Mutter“, formuliert es Verena Brunschweiger, Gymnasiallehrerin aus Regensburg und Autorin des Aufreger-Buches: „Kinderfrei statt kinderlos“ in einem Interview auf utopia.de im Mai dieses Jahres. Brunschweiger hatte eine hitzige Debatte um das Thema gewollte Kinderlosigkeit ausgelöst, die sie in ihrem Buch jedoch vor allem mit dem ökologischen Fußabdruck des Nachwuchses, der zu groß sei, begründet. Keine Kinder als Beitrag zum Umweltschutz? Vermutlich gibt es eher wenige Frauen, die das unterschreiben.
Brunschweigers Einlassung zur Mutterrolle indes ist beachtenswert. Viele Frauen sehen sich selbst tatsächlich nicht in der Mutterrolle, wollen ihre Weiblichkeit nicht auf das Vorhandensein der Gebärmutter reduziert sehen, verspüren keinen Drang, schwanger zu werden. Sie fühlen sich sehr wohl als Frau, auch als Partnerin, nicht aber als Mutter in spe. Ein höchst intimes Empfinden, das Respekt verdient.
Flehende Blicke: Wann werde ich Oma?
Mit ihrem Nein zum Kind konterkarieren diese Frauen in der Regel die Erwartungshaltung ihres Umfelds. Von der eigenen Mutter, die regelmäßig mit flehendem Blick fragt, wann sie denn wohl Großmutter werde, bis hin zu Nachbarn, Kollegen, Verwandten und sogar Freunden, die jede Wölbung des Bauches mit hochgezogenen Augenbrauen und einem hoffnungsfrohen „Naaa, ist es soweit?“ kommentieren.
Noch deutlicher wird der Druck, wenn um die Frau, die keine Kinder will, immer mehr Kinder auf die Welt kommen. Als gute Tante zum feierlichen Babybegießen angetreten, bekommt man das Kind denn auch gleich in den Arm gedrückt: „Kannst ja schon mal üben.“ Auch mehr oder minder übergriffige Anspielungen auf biologische Uhren, die tickten, sind keine Seltenheit. Und wenn eine Frau dann zugibt, zwar Kinder zu mögen (und diesen süßen Sabberfratz natürlich besonders), sie aber dennoch keine bekommen wolle und werde, kann sie sicher sein, dass das Gespräch im Raum abrupt abbricht. „Was? Keine Kinder?“, tönt der entsetzte Chor. „Irgendwann wirst du das bereuen“, orakeln die frischgebackenen Eltern und nehmen sicherheitshalber ihr Kind wieder an sich.
Sehr bewusste Entscheidung
Bereuen? Kaum. Keine Kinder zu wollen, ist in der Regel eine sehr bewusste Entscheidung, schließlich kommt keine Frau um das Thema herum. An jeder Weggabel, sei es privat oder in der Karriere, spielt das potenzielle Kinderkriegen eine Rolle, bei jeder Partnerschaft ebenso. Und je öfter die Frau nachdenkt und für sich feststellt: „Kinder, nein danke“, desto klarer wird dieses Nein.
Untermauert wird es auch, etwa durch schnöde Abschreckung: Statistiken, die das Risiko von Kindern für die Beziehung der Eltern beleuchten, Berichte über den Schlafentzug junger Mütter und dessen negative Folgen oder über umherschwirrende Helikoptereltern, die in ständiger Hysterie leben. Viele Mütter sind gestresst, kämpfen mit ihrer Figur, haben nie Zeit und geben sich selbst auf. Bei manchen scheint im Wortschatz kein „ich“ mehr zu existieren, sondern nur noch „wir“, weil sich alles nur noch um das Kind dreht. Und die Karriere ist auch oft genug dahin, ebenso die Beziehung. Und dass das Kind, für das die Mutter so viel in Kauf nimmt, am Ende die Einsamkeit im Alter lindert, ist längst nicht ausgemacht.
Gutscheine aus dem Babyladen
Währenddessen geht die Frau, die keine Kinder will, Vollzeit arbeiten ohne Pause, füttert die Rentenkasse, zahlt als Single mehr als andere in die Pflegeversicherung ein, schimpft über die Lohnsteuerklasse 1, genießt ihre Freiheiten, geht shoppen, ins Kino, ins Theater, in den Club, in den Urlaub, in den Verein und kauft in regelmäßigen Abständen sogar Gutscheine im Babyladen – für die Sprösslinge der Freundinnen. Und freut sich nach dem Babyloben darauf, das Kind guten Gewissens wieder in die Arme seiner Mutter legen zu können.
Sind diese Frauen richtige Frauen? Natürlich. Sie nehmen sich nur die Freiheit, Nein zu sagen zu einem Leben als Mutter. Und dazu haben sie jedes Recht.