Auf der Suche nach dem Phänomen der „Männertrauer“ Warum Männer in ihrer Trauer etwas anderes brauchen als Frauen

Von Thomas Achenbach | 25.09.2019, 20:30 Uhr

Gibt es eigentlich so etwas wie die „typische Männertrauer“? Und wenn ja, wo sind die Unterschiede zur Trauer einer Frau? Der NOZ-Redakteuer Thomas Achenbach hat durch seine Erfahrungen als nebenberuflicher Trauerbegleiter darüber ein Buch schreiben dürfen. "Männer trauern anders - was ihnen hilft und guttut" ist Im März im Patmosverlag erschienen. Für unsere Serie zum Thema "Männer und Frauen" hat er ein paar wesentliche Thesen zusammengefasst.

Was ist das eingentlich, die „typische Männertrauer“? Und wie ist sie? Auf der Suche nach Antworten findet sich zunächst wenig Verlässliches. Denn erstens ist das Spektrum der Männertrauer ein bislang weitestgehend unerforschtes Terrain – die sehr wenigen Studien, die es gibt, stammen ausschließlich aus dem englischsprachigen Raum und sind nicht sonderlich repräsentativ, weil die Zahl der befragten Teilnehmer so gering ist. Und zweitens stehen wir – wie bei vielen Thesen rund um das „starke Geschlecht“ – auch in Sachen Trauer immer gefährlich nahe an der Grenze zum Klischee. Was wir aber befragen können, sind Efahrungswerte.

Auf der Fachmesse: 75 Prozent Frauen

Trauer, Tod und Sterben sind weibliche Themen. Dazu bedarf es keiner wissenschaftlichen Untersuchung, es genügt ein Blick in die Veröffentlichungen der Hospiz- und Palliativbewegung oder in die lokale Zeitung vor Ort. Der neueste Ehrenamtskurs des örtlichen Hospizvereins: Nur Frauen. Ein Kurs für Trauerbegleiter: Zwei Männer, zehn Frauen. Die Besucher auf der Fachmesse „Leben und Tod“, die jährlich im Mai in Bremen stattfindet: Zu 75 Prozent weiblich.

Auch Männergefühle gehen tief

In Trauergruppen für Männer und bei der Einzelbegleitung zeigt sich indes immer wieder: Ja, die Trauer von Männern geht genauso tief wie die der Frauen. Aber es öffnen sich nicht alle Männer so gerne und so leicht, was ihre Emotionen angeht – und wenn, dann am ehesten unter Gleichgesinnten.

Von der Trauer der Frauen habe er sich bedrängt gefühlt. So hat ein Teilnehmer einer Männergruppe rückblickend seine Erfahrungen mit gemischtgeschlechtlichen Trauerrunden einmal geschildert. Als es dann auch noch darum ging, gemeinsam Kerzen zu basteln, war er raus. Und so lässt sich als vorsichtige These formulieren: Wenn Männer Aktivitäten brauchen, dann doch eher körperliche. Und: Männer brauchen Männer, damit sie sich anders zeigen können.

Trauer ist ein meist unterschätztes Gefühl

Das könnte an der Überforderung liegen, die die Trauer mit sich bringt. Wer in diesem Strudel an Emotionalität noch nicht dringesteckt hat, verkennt oft, wie lebensverändernd und einschneidend und vor allem langfristig das ist. Es ist enorm viel – und vor allem, vieles auf einmal –, was da über einen hereinbrechen kann: Zorn genauso wie Verzweiflung, Hilflosigkeit genauso wie ein inneres Aufbäumen, Ohnmacht genauso wie Angst.

Im Fernsehen gibt es fast nur harte Kerle

Männer haben den Umgang mit ihren Gefühlen nicht immer gelernt. Das hängt meist mit dem gesellschaftlich erwarteten Idealbild zusammen, auch wenn es sich zunehmend um eine generationale Frage handelt. Jüngere Männer finden heute leichter Zugang zum Innenleben als die Nachfolger der Kriegsgeneration. Und doch finden wir in Filmen und TV–Serien noch immer den vermeintlich harten Mann, der seine Schmerzen ganz tapfer runterschlucken kann und ungebrochen weiter seinen Weg geht.

Kinder verlernen das Hinfühlen

Auch bei Kindern impfen wir dieses Idealbild allzu schnell ein. Stürzt der Nachwuchs mit seinem Laufrad oder Fahrrad, eilen ganz viele Eltern dorthin mit einem vorschnellen „Ist doch gar nicht so schlimm“ und „Tut doch gar nicht weh“ auf den Lipppen. Anstatt zu sagen: „Ja, das glaube ich Dir, dass das jetzt echt weh tut“ (das, übrigens, wäre schon eine Art Vorstufe zu einer professionellen Begleitung). So verlernen Jungs früh, bei ihren Gefühlen hinzuhorchen. Wenn Männer dann später ihr Innenleben ergründen wollen, brauchen sie Raum für sich – und Zugang dazu. Sie müssen sich in ihre persönlichen Schutzzonen hineinbegeben. Da geht es zunächst um das Begreifen und Analysieren. Die Erfahrungen zeigen zudem:

Oftmals haben vor allem Männer ihre Schwierigkeiten mit dem klassisschen „therapeutischen Setting“, also dem Einander-gegenüber-Sitzen mit der Möglichkeit, sich in die Augen zu sehen. Das kann schnell als unangehm erlebt werden. Besser kann es sein, sich nebeneinander zu positionieren. Beim Gehen, beim Autofahren, in Situationen, in denen ein sich einstellendes Schweigen als nicht so erdrückend erlebt wird. Denn manchmal lässt sich nur schweigen, wenn es um solche Erfahrungen geht.

Männer sprechen genauso viel wie Frauen

In der Wissenschaft finden sich zudem Hinweise darauf, dass Männer in ihrer Kommunikation anders ticken als Frauen. So hat der amerikanische Forscher Matthias Mehl vor ein paar Jahren herausgefunden: Beide Geschlechter reden jeden Tag gleich viel, rund 16 000 Wörter. Aber: Männer wählen andere Inhalte. Dazu hat die Kommunikationswissenschaftlerin Deborah Tannen geforscht und festgestellt: Männer reden über Hierarchien oder Berufliches, Sport oder Leistungen. Frauen reden über Netzwerke, Soziales und Freundschaften.

Männer wählen Chiffren für ihre Kommunikation

Genauso wichtig ist es, die Codes zu entschlüsseln, mit denen Männer ihr Innenleben vermitteln. „Männer sagen nicht, dass sie traurig oder mutlos sind, das ist die Sprache der Frauen“, wird der Facharzt für Psychiatrie und Psychosomatik Michael Hettich in der Ärzte-Zeitung zitiert, „Männer mit Depressionen sagen eher, dass sie zum Beispiel unter Druck stehen.“

Der vielleicht prominenteste bekennende Trauernde ist der Literat Julian Barnes. In seinem Buch „Lebensstufen“ beschreibt er seinen Trauerprozess so: „Man hört sich nicht mehr leben“.

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