Nein, erfunden hat Volvo den Kombi nicht. Die praktische Verlängerung der Limousine mit Extra-Gepäckfach, die lange Jahrzehnte beliebt bei Familien, Vertretern oder Gewerbetreibenden war, wurde nicht in Schweden das erste Mal gebaut (sondern in den USA), doch in den 50er-Jahren stieg Volvo zum echten Kombi-Experten auf. Dank des Volvo-Museums standen drei Klassiker für einen Roadtrip durch Südschweden rund um die Firmenzentrale in Göteborg zur Verfügung: Ein Duett PV 445 (gebaut von 1953 bis 1958), ein 960 (gebaut von 1990 bis 1996) und ein 850 T-5R, der 1994 als Sportkombi rund 4600-mal in drei unterschiedlichen Farben gebaut wurde. Als Vergleichsmodell hielt ein aktueller Volvo V90 T8 als Plug-in-Hybridmodell her.
Date mit Duett
Vor den Toren des Werkes von Volvo in Göteborg-Torslanda öffnen sich zunächst die Türen des Duett PV 445 – der dunkelblaue, 1957 gebaute Kombi führt in eine komplett andere Zeit des Autofahrens zurück. Das Cockpit: ausgesprochen karg. Elfenbeinfarbenes Blech, das während der Fahrt heiß wird, nur wenige Knöpfe, der Lenkradkranz gefühlt so dünn wie Zahnstocher. Ein Drei-Punkt-Gurt ist hier nicht vorhanden (der wurde erst 1959 im Nachfolger erstmals eingesetzt), auch Kopfstützen fehlen. Die 60 Pferde unter der Motorhaube werden über einen langen Schaltknüppel mit gerade mal drei Gängen (nicht synchronisiert) voltigiert – was nach kurzer Eingewöhnungszeit erstaunlich gut und frei von lautstarken „Grüßen aus dem Getriebe“ funktioniert.

Auf dem Weg nach Smögen, einer beliebten Insel vor der Westküste Schwedens, gibt sich der Duett auf der Straße ausgesprochen kommod. Das Fahrwerk bügelt souverän zahllose schlechte Stellen auf den Straßen weg. In Sachen Fahrstabilität neigt er zwar zu manchem kurzen Ausscherer nach rechts oder links, doch zum allergrößten Teil der Strecke gibt er sich genügsam. Nur spontane Bremsvorgänge mit Nachdruck, die mag der PV445 nicht: Kurz vor einem Kreisverkehr sorgte eine beherzte Vollbremsung dafür, dass der Kombi ein ganzes Stück nach rechts ausscherte und so beinahe von der Straße abgekommen wäre.
Mehr als Tempo 100 fühlt sich nicht gut an, zudem sollte bei Sonneneinwirkung das Fahrerfenster durchgehend geöffnet sein – der Innenraum heizt sich mangels Klimaanlage und dank großer Fensterflächen enorm auf. Und selbst bei wolkenverhangenem Himmel und Regen heizt der Motor dank kaum vorhandener Dämmung den Innenraum zügig auf.

Dafür glänzt der Duett mit bequemen Sitzen, einem geradezu gigantischen Platzangebot sowie einem mit Holzbohlen ausgeschlagenem Kofferraum. Man kann sich vorstellen, wie Tausende schwedische Familien in den 50er- und 60er-Jahren mit drei bis vier Kindern auf der Rücksitzbank und vollgeladenem Kofferraum in die Ferien aufgebrochen sind.
Angekommen auf Smögen, fallen zunächst die zahlreichen, typisch skandinavisch wirkenden Holzhäuser in unterschiedlicher Farbgebung auf – kein Wunder, dass dieser Ort nicht nur zu Mittsommer ein beliebter Touristen-Hotspot ist.
Ein Kombi für den Chef
Der Duett zollt seinem Alter Tribut und muss fortan geschont werden – und die Lönneberga- und Pippi-Langstrumpf-Romantik weicht einem kapitalistischen Wirtschaftsmagnat-Ambiente: Der Volvo 960 (Baujahr 1991) mit seinem Drei-Liter-Sechszylinderbenziner und 204 PS wurde einst vom Volvo-Boss Pehr G. Gyllenhammar gefahren.

Der Kombi wirkt elegant, bietet im Vergleich zu heutigen Fahrzeugen immer noch große Fensterflächen und eine tiefe Schulterlinie. Wie in einer Sänfte trägt der letzte heckgetriebene Kombi seine Insassen über die schwedischen Landstraßen und Schotterpisten, auf denen immer wieder einsame Seen angesteuert werden auf dem Weg zurück nach Göteborg.
Der Innenraum ist ein Kind der 80er-Jahre: Zahllose Schalter und Knöpfe, ein klobiger Automatikwählhebel für die Vier-Stufen-Automatik, dazu gibt es Annehmlichkeiten wie Autoradio, Digitaluhr, Sitzheizung vorne, selbst ein Tempomat befindet sich am Lenkrad, und die Sitze können elektrisch verstellt werden – für den obersten Volvo-Mitarbeiter musste es eben das Beste sein.

Das zeigt sich ohnehin auf den ersten Blick in den Innenraum: Wie alle Fahrzeuge, die Gyllenhammar selber fuhr, ist auch dieser 960 mit rotem Leder ausgeschlagen – eine recht exklusive Geschmacksrichtung. Auch alle Teppiche sind im auffälligen Rotton gehalten, selbst der Kofferraum ist mit rotem Geschmeide ausgeschlagen – große Umzüge dürfte Gyllenhammar, der rekordverdächtige 24 Jahre Volvo-CEO war, damit freilich nicht veranstaltet haben, auch wenn rein größenmäßig so allerhand ins Gepäckabteil passt.
Es lebe der Sport
Der nächste Wechsel des Fahrzeugs steht an: Nach dem CEO-Kombi 960 geht es mit dem sportlichen 850 T-5R weiter. Der 240 PS starke Fünfzylinder und die limitierte Bauzeit von gerade einmal einem Modelljahr machten aus dem T-5R schnell ein gesuchtes Sammlerobjekt – erst recht in der auffälligen gelben Lackierung. Auch rund um das Volvo-Werk zeugen fast 30 Jahre nach der Produktion zahlreiche gereckte Daumen und interessierte Blicke vom Status dieses Fahrzeugs.

Einen derart starken Sportkombi war man zu der damaligen Zeit nicht gewohnt; auch heute geht der 850 beherzt zur Sache, ist viel zu schnell am schwedischen Landstraßentempolimit und darüber hinaus – glücklicherweise werden die zahlreichen Radarkontrollen rechtzeitig angekündigt, und nach wenigen Kilometern hat der Fahrer die Contenance zurück, sodass Tempo-100-Cruisen über schöne Landstraßen entlang von Wäldern und Seen in Richtung der Insel Öckerö angesagt ist.
Trotz der sportlichen Ausrichtung und des tendenziell straffen Fahrwerks ist der T-5R keinesfalls ein rollender Orthopädie-Zulieferer. Im Vergleich mit heutigen PS-starken Modellen bietet der schnelle Schwede jederzeit reichlich Reserven in Sachen Komfort, selbst wenn der „Sport“-Knopf neben dem Automatikwählhebel gedrückt wird, wird es nicht unangenehm.
Teilelektrische Gegenwart
„Unangenehm“ ist natürlich auch maximal weit entfernt für die letzten Kilometer dieses Trips, die mit einem aktuellen V90 PHEV absolviert werden. Im Vergleich zu seinen Kombi-Vorgängern bietet der große Schwede natürlich jeden erdenklichen Fahrkomfort, dehnt sich allerdings auch auf annähernd fünf Meter Länge aus – was aber in den engen Gassen auf Öckerö kein großes Problem darstellt, da die 360-Grad-Rundumkamera das Geschehen rund um das Fahrzeug detailliert auf dem großen Bildschirm abbildet.

Rund 70 Kilometer weit reicht die elektrische Puste, ehe der V90 seinen 310-PS-Vierzylinderbenziner ans Arbeiten schickt. Da zwischendurch immer wieder mal per Rekuperation etwas Energie zurück in die Batterie fließt, werden kurze Passagen auch danach rein elektrisch ermöglicht.
Vier Kombis aus drei automobilen Epochen, keiner wie der andere, jeder mit seinem ganz individuellen Reiz. Welcher der Favorit ist? Das lässt sich kaum seriös beantworten. Der Duett besticht mit seiner wie für eine altmodische schwedische Landpartie gemachten Pausbäckigkeit, der 960 erfreut den Fahrer durch überbordenden Komfort und der 850 mit sportlicher Dynamik („It drives like hell“ – „Der geht wie Hölle“, verspricht das Volvo-Museum absolut angemessen), und der V90 ist als Kind der Neuzeit ein elektrifizierter Luxus-Kombi. Nicht nur in der schwedischen Heimat: Mit jedem dieser Autos hat man auf der Straße Spaß – und mit jedem verkauftem SUV trauert man der Zeit der Kombis mehr hinterher...