Ab 1. August 2017 9/10-Regelung entschärft: Mehr Geld für viele Rentnerinnen

Von Waltraud Messmann | 20.02.2017, 20:00 Uhr

Viele Rentnerinnen werden bald mehr Geld in der Tasche haben. Möglich wird das durch eine Gesetzesänderung, die der Bundestag am Montag beschlossen hat. Danach wird die 9/10-Regelung für die Mitgliedschaft in der Pflichtversicherung durch die Anrechnung von Kindererziehungszeiten für die Frauen entschärft.

Vor drei Jahren hat die Bielefelderin Eva Koslowski den Kampf gegen die Ungleichbehandlung vieler Rentnerinnen durch die sogenannte 9/10-Regelung in der Krankenversicherung aufgenommen. Jetzt endlich kann sie einen Erfolg verzeichnen.

Denn durch eine Änderung des Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (HVG), die der Bundestag am Montag beschlossen hat, wird sich die Situation für viele bisher von der Regelung betroffene Rentnerinnen ab dem 1. August verbessern. Ihren Mitgliedszeiten in der gesetzlichen Krankenversicherung werden ab dann Kindererziehungszeiten von bis zu drei Jahren pro Kind hinzugefügt. Dies gilt für leibliche Kinder, Pflegekinder und Stiefkinder gleichermaßen. Die neue Anrechnung von Erziehungszeiten wird dazu führen, dass in Zukunft viel mehr Frauen bei Rentenantritt die 9/10-Regelung in der Pflichtversicherung erfüllen können.

Lesen Sie hier: Hohe Beiträge zur Krankenversicherung belasten viele Frauen

Kinder aufgezogen

Die 9/10-Regelung besagt, dass als Rentner in der Krankenversicherung nur der pflichtversichert wird, der in der zweiten Hälfte seines Erwerbslebens zu 9/10 Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen ist. Als Pflichtmitglieder unerwünscht waren dadurch auch sehr viele Frauen, die ihr Berufsleben jung begonnen haben, Kinder aufgezogen und später in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse zurückgekehrt sind. Viele von ihnen waren oder sind mit Beamten, Soldaten, Richtern oder auch Selbstständigen verheiratet und waren über ihre Männer in den Erziehungszeiten zeitweise privat versichert. Von ihrer oft niedrigen Rente müssen sie bisher auch noch die sehr viel höheren Beiträge für die freiwillige Krankenversicherung für Rentner zahlen. Durch die nun beschlossene Anrechnung von Kindererziehungszeiten können nun viele von ihnen auch als Rentnerin gesetzlich versichert bleiben und müssen nicht wechseln.

Weiterlesen: Fragen und Antworten zur 9/10-Regelung

Im Gespräch mit unserer Zeitung begrüßte Koslowski die Entscheidung: „Ja, es ist vollbracht“, sagte sie erleichtert. Allerdings schränkte sie ein: „Aber leider nur für einige.“ Sie habe schon viele Anrufe von Mitgliedern ihrer im Jahr 2015 gegründeten Initiative erhalten, die auch unter den neuen Bedingungen den Sprung in die Pflichtversicherung nicht machen könnten. „Ich denke, die Hälfte schafft es, die andere Hälfte muss weiterkämpfen“, meint Koslowski. Besonders froh sei sie, dass die Neuregelung nicht nur für die jungen Mütter gelte, sondern auch für die Älteren, die bereits in Rente seien.

Hohe Beiträge

Unklar sei noch, ob möglicherweise die Rentnerinnen, die bereits seit Jahren die hohen Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung zahlten und durch die Neuerung jetzt einen veränderten Status hätten, auf Rückzahlungen hoffen könnten. „Wir zahlen ja fast alle schon seit Längerem nur unter Vorbehalt“, betont Koslowski. Die entsprechende Klage eines Mitglieds der Initiative habe das Bundesverfassungsgericht bereits angenommen. „Wir hoffen natürlich, dass wir auch noch etwas zurückbekommen. Aber da muss man jetzt abwarten, wie das Gericht entscheidet“, betont die Bielefelderin. Außerdem lege bei der EU in Brüssel auch noch eine Petition der Initiative vor.

Koslowski geht davon aus, dass die von der Neuerung Betroffenen bereits jetzt Änderungsanträge bei den Krankenkassen stellen können. Auch wenn die Neuerung erst am 1. August in Kraft trete: „Die Kassen brauchen ja sicher eine gewisse Zeit, um das alles aufzuarbeiten“, meint sie.

Lesen Sie hier: Kämpferinnen gegen 9/10-Regelung legen Widerspruch ein

Ablehnung

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) hatte die Änderung ausdrücklich abgelehnt. „Das mit dem Änderungsantrag vorgesehene Vorhaben, im Wege einer grob generalisierenden Ausnahmeregelung bestimmte Zeiten ohne eine gesetzliche Krankenversicherung erstmals wie Zeiten in der GKV zu behandeln, kann aus ordnungspolitischen Gründen nicht unterstützt werden“, hieß es einem Gutachten des Spitzenverbandes zu den Änderungen.

TEASER-FOTO: