Vom Palmenstrand ins Waisenheim terre des hommes sieht Freiwilligendienste im Urlaub „außerordentlich kritisch“

Von Waltraud Messmann | 04.03.2019, 08:00 Uhr

Die Nachfrage nach Urlaubs-Angeboten, bei denen „Helfen“ und „Reisen“ kombiniert werden, steigt. Die Projekte, in denen die Touristen oft nur für wenige Tage mitwirken, liegen häufig im ökologischen und sozialen Bereich. Doch manche Angebote sind äußerst umstritten.

Jedes Jahr arbeiten etwa 25.000 Menschen aus Deutschland in ihrem Urlaub für wenige Wochen ehrenamtlich in Kinderheimen, Tierschutzprojekten oder anderen Einrichtungen im Ausland - mit steigender Tendenz. Vor allem der sogenannte Waisenhaus- Tourismus stößt aber auf Kritik.

Kurzzeitige Freiwilligenarbeit – Volunteering oder Voluntourism genannt – ist ein profitabler Geschäftsbereich für touristische Anbieter. Denn im Gegensatz zur Mitarbeit in Hilfsorganisationen wie zum Beispiel Ärzte ohne Grenzen oder bei einem freiwilligen sozialen Jahr muss die Teilnahme an solchen Projekten bezahlt werden. Von den großen Reiseveranstaltern hat unter anderen STA Travel viele Angebote zur Freiwilligenarbeit im Ausland im Programm. Die Tui bietet ähnliche Projekte über den britischen Veranstalter i-to-i an. Bei manchen Projekten müssen sich die Teilnehmer ihre Unterkunft und Verpflegung selbst organisieren. Andere Veranstalter bieten ein Rundum-sorglos-Paket an.

Menschenrechtsorganisationen besorgt

Menschenrechtsorganisationen erfüllt die Entwicklung mit Sorge. Eine von der Kinderschutzorganisation ECPAT Deutschland, Brot für die Welt und dem Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung herausgegebene Studie zeigt: Bei vielen Anbietern stehen nicht die Bedürfnisse und Interessen der Menschen in den Entwicklungsländern an erster Stelle, sondern die der zahlenden Kundschaft. Viele Projekt seien nicht nachhaltig, wie es zum Beispiel die Hilfe zur Selbsthilfe sei. Und Antje Monshausen, Leiterin der Fachstelle Tourism Watch bei Brot für die Welt, kritisiert: „Dort entsteht ein Bild von hilfsbedürftigen Menschen, die dankbar sein müssen für das, was ein Reisender ihnen gibt. Da werden Menschen degradiert zu Hilfsempfängern, auch entwürdigt.“

Besonders beliebt bei Touristen ist der Einsatz in Waisen- und Kinderheimen. Urlauber verbringen eine Stunde oder zwei mit den Kindern. Volunteers, freiwillige Helfer aus dem Ausland, bleiben dort auch ein paar Wochen. Experten sehen allein in dem ständigen Wechsel der Bezugspersonen aber eine starke Belastung der Kinder.

Versprechen auf Schulbildung

Bei Recherchen von Kinderschutzorganisationen in Ländern wie Kambodscha, Uganda oder Nepal hat sich zudem gezeigt, dass die Kinder in vielen Heimen oft keine Waisen sind. Die Eltern haben sie abgegeben, weil ihnen versprochen wurde, dass sie dort eine Schulbildung erhalten oder genügend zu essen. In Kambodscha hat eine vom Kinderhilfswerk Unicef und dem Sozialministerium des Landes durchgeführte Erhebung ergeben, dass sich die Zahl der Einrichtungen zwischen 2015 und 2017 nahezu verdoppelt hat.

Zu einem erschreckenden Ergebnis kam auch die Kriminalexpertin Anita Dodds, die im Februar 2018 Strafverfolger aus Süd- und Südostasien befragte, um herauszufinden, wie die Polizei mit dem Kinderschutz im Freiwilligentourismus umgeht. In zehn von elf Ländern, aus denen Antworten vorliegen, berichtete die Polizei von Fällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder durch Freiwillige.

Albert Recknagel, Vorstandssprecher des Osnabrücker Kinderhilfswerks terre des hommes (tdh), sieht die Verbindung von Urlaub und Hilfe in sozialen Projekten am Urlaubsort grundsätzlich „außerordentlich kritisch“. Im Gespräch mit unserer Zeitung betont Recknagel: „Für Touristen, die dort helfen und dadurch ihrem Urlaub einen speziellen „Kick“ geben oder „Land und Leute genauer kennenlernen“ wollen, gibt es in unseren Projekten keine Verwendung.“

Um den Schutz der Kinder zu gewährleisten, schlössen die Standards und Richtlinien der Organisation die Mitarbeit von unbekannten Fremden sogar aus. In den tdh- Projekten arbeiteten stattdessen einheimische Lehrerinnen, Gesundheitsfachkräfte und Betreuerinnen für die Kinder, die für diese Tätigkeiten qualifiziert seien.

Veranstalter entwickeln Problembewusstsein

„Es käme ja auch niemand auf die Idee, in Deutschland bei einem Waisenheim zu klingeln und zu fragen, ob man hier ein paar Tage mithelfen könne“, betont der tdh-Sprecher. Reisenden, die die soziale Realität eines Landes jenseits der Tourismus-Hochburgen kennenlernen möchten, empfiehlt er, sich bei Institutionen wie Tourism Watch über kultursensiblen und nachhaltigen Tourismus zu informieren.

Auch die Veranstalter der Freiwilligenreisen entwickeln zunehmend ein Problembewusstsein: Als erste große Voluntourismus-Anbieter verzichten Projects Abroad und World Challenge seit Ende 2017 auf Waisenhausprojekte. Das Fachportal Freiwilligenarbeit.de in Rheda-Wiedenbrück lud vor zwei Wochen drei Anbieter zu einem Round-Table-Gespräch ein.

Dabei bezeichnete Steffen Mayer von “Rainbow Garden Village” besonders Kurzzeiteinsätze von weniger als vier Wochen im sozialen Bereich, wo enge persönliche Bindungen entstehen, als nicht sinnvoll. „Dagegen lassen ausgewählte Projekte wie beispielsweise ein Hilfseinsatz bei der Ernte oder eine Datenerhebung im Naturschutz auch kürzeres Volunteering zu“, meinte er. Und Daniel Kaul von der Freiwilligenorganisation „Natucate“ stellte klar: „Durch einen einzigen und nur wenige Wochen umfassenden Projekteinsatz kann niemand die Welt retten. „Von dieser Vorstellung sollten sich alle freiwilligen Helfer lösen.“

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