Starker Haarwuchs, Akne und Übergewicht PCOS bei Frauen: "Ohne Rasur habe ich einen Vollbart"

Von Luise Schendel | 03.06.2019, 12:26 Uhr

Fast jede fünfte Frau leidet unter Symptomen des Polyzystischen Ovarial-Syndroms (PCOS). Auch in Deutschland sind viele Frauen betroffen.

„Ich habe sehr unter den Haaren gelitten. Fühlte mich nie richtig weiblich. Und als wäre das alles noch nicht genug, wurde ich auch noch wegen meines Übergewichts gehänselt.“ Maria Roland studiert in Rostock. Sie wollte sich nach der anstrengenden Schulzeit etwas Gutes tun, wie sie sagt. Endlich frei sein, noch einmal ganz von vorne anfangen. Die Mobber hinter sich lassen und endlich so akzeptiert werden, wie sie ist. Mit den ganzen festen und dunklen Stoppeln, die sich auf ihrem Körper ausbreiten. Und die bei allem Rasieren nicht weichen wollen. Seit sie 16 Jahre alt war, stand sie, wie heute noch, jeden Morgen vor dem Spiegel. Rasiert sich mit gezielten Bewegungen.

Wie ein "Alien"

Schon lange hat sich die 25-Jährige nicht dabei geschnitten. „Alles eine Frage der Übung und der Geduld“, winkt Maria ab. Und kichert, als sie unter vorgehaltener Hand flüstert: "Ohne Rasur habe ich einen Vollbart." Wie sie dort sitzt, in dem kleinen Café, mit einem Blumenkleid und langer Strickjacke, den Lidstrich exakt gezogen, mit geschminkten Lippen in auffälligem Rot, erscheint sie wie eine ganz normale Frau. Und ist es auch. Eine Frau mit Besonderheit. Dennoch fühlt sie sich oft wie ein "Alien", wie sie selbst sagt.

Maria leidet unter dem Polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS). An ihren Eierstöcken haben sich große Zysten gebildet, die die Funktionen der weiblichen Fortpflanzungsorgane empfindlich einschränken, zur Unfruchtbarkeit führen können. Die Überproduktion an männlichen Hormonen ist bei dem Krankheitsbild weit verbreitet und führt letztendlich zu einem breit gefächerten Erscheinungsbild des Syndroms. Von Bluthochdruck über eine Insulinresistenz (kann zu Diabetes und Übergewicht führen) bis hin zu Haarausfall, der mit dünner werdendem Haupthaar und Geheimratsecken einhergeht.

Zahlreiche Symptome bei PCOS

Auf YouTube berichten zahlreiche Frauen über ihre Erfahrungen mit den Symptomen. Darunter auch die blonde Ela Loop. Auch sie leidet unter Übergewicht und verstärktem Haarwuchs. Sie glaubt: "Das ist wirklich die beschissenste Krankheit, die es gibt." Als viele Freundinnen und Bekannte aus ihrem Umfeld schwanger geworden seien, und sie bereits wusste, dass es für sie kaum möglich ist, war sie am Tiefpunkt angekommen. "Das Problem ist, das PCO-Syndrom kriegen wir nicht mehr weg. Außer, die Wissenschaftler erfinden irgendwann ein Mittel dagegen. Man muss damit leben."

Auch die Antibaby-Pille, die mit ihrer antiandrogynen Wirkung die Symptome auffangen kann, aber mit anderen Risiken wie Übelkeit, Gewichtszunahme und Depressionen einhergeht, war nie eine Option für die junge Frau. "Ich verzichte gerne auf die Pillle. Ich habe so oft mitbekommen, dass Frauen dadurch dick geworden sind. Und es liegt bei mir einfach am Gewicht."

Auch auf dem Bildnachrichtendienst Instagram zeigen Frauen die Auswirkungen der Erkrankung. Dort finden sich auch Frauen wie Miranda Nodine. Sie will mit Fotos von ihrem Körper auf die Auswirkungen des Hormonüberschusses hinweisen. Und fühlt sich, nach langen Jahren des Mitsichhaderns mittlerweile wohl. Zu einem Bild, das sie, übersät mit dichten, rotblonden Haaren an Bauch und Oberschenkeln zeigt, schreibt sie: "Ich liebe mein behaartes Selbst jeden Tag mehr. Wenn du behaart bist, bist du nicht allein und nicht eklig. Liebe die Haut, in der du steckst. Ich habe aufgehört, meinen Körper zu rasieren, weil ich nicht am Leben bin, damit andere sich wohl fühlen."

Doch nicht jede Betroffene klagt über dieselben Ausprägungsformen des PCOS. Die häufigsten Probleme bringt eine zu seltene oder ausbleibende Menstruation mit sich. Auch Maria ist davon betroffen. Ein paar Mal im Jahr bekommt die junge Frau ihre Regelblutung. Zu unregelmäßig. Mit einem Kinderwunsch hat sie sich, als das Syndrom von ihrer Frauenärztin diagnostiziert wird, noch gar nicht befasst. Als sie hört, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit unfruchtbar ist, bricht dennoch eine Welt für sie zusammen.

Außerhalb der Vorstellungskraft

Vielleicht gebe es später noch eine Möglichkeit, über Hormonspritzen einen Eisprung zu stimulieren, hieß es damals. Doch eine Garantie könne nicht gegeben werden. „Für einen Moment stand alles still. Ich hatte mich ja nie vorher mit dem Kinderkriegen auseinandergesetzt und jetzt sollte alles vorbei sein, bevor es überhaupt im Bereich des Denkbaren gewesen wäre? Ich war ja erst 18 und wollte mich selbst verwirklichen. Mit allen Möglichkeiten, die andere in meinem Alter auch hatten. Und dann das. Das war so vollkommen außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass ich, zuhause angekommen, erstmal geheult habe. Es ging nicht mal um etwas Konkretes, es war nur die Option, die plötzlich wegbrach. Und irgendwie gehörte die Möglichkeit einer Schwangerschaft immer unterschwellig für mich dazu.“

Grundsätzlich, so Dr. Dr. Urs Lichtenauer vom Schweriner Helios-Klinikum, gebe es mehrere Möglichkeiten, auf die Symptome des PCO-Syndroms einzuwirken. "Metabolische Störungen wie die sogenannte Insulinresistenz spielen bei der Entstehung des PCO-Syndroms häufig eine wichtige Rolle - nicht nur bei übergewichtigen Betroffenen", weiß der Endokrinologe. "Maßnahmen zur Lebensstilintervention mit Gewichtsabnahme und regelmäßiger Bewegung sind daher wichtige Basismaßnahmen." Es gehe grundsätzlich darum, zu ergründen, welche Symptome und Wünsche für die Betroffene im Vordergrund stünden. Daran würde sich dann eine medikamentöse Behandlung ausrichten. So könnten mit einem Diabetesmedikament die metabolischen Probleme und Zyklusunregelmäßigkeiten angegangen und mit „antiandrogenen“ Medikamenten gegen die oft als störend empfundene "Vermännlichung" vorgegangen werden. Bei einem unerfüllten Kinderwunsch hingegen sei es wichtig, dass neben der Endokrinologie auch die Frauenheilkunde frühestmöglich zu Rate gezogen würde. „Die Therapieerfolge stellen sich häufig erst langsam ein und verlangen einen langen Atem vom Patienten und vom behandelnden Arzt“, betont der Mediziner.

Schminke statt Akne

Wie Maria ergeht es, je nach Auslegung der Diagnosekriterien, fast jeder zehnten Frau. Nur zwei von vier PCOS-Symptomen müssen nach den so genannten Rotterdam-Kriterien erfüllt sein. Dazu zählen neben Zyklusstörungen auch vermehrte männliche Sexualhormone, die sogenannte Hyperandrogenemie (eine hormonelle Störung) und Zysten an den Eierstöcken (Ovarien). Doch das sieht man den Betroffenen oft nicht an. Manchmal sind sie sehr müde, aber wer ist das nicht? Sie haben ein paar Pfunde mehr auf den Rippen als andere Gleichaltrige? Das könnte auch von ungesunden Ernährungsgewohnheiten kommen. Sie tragen sehr viel Make Up? Wahrscheinlich finden diese Frauen stark betonte Augen und Lippen einfach schön. Oder sie wollen die starke Akne verstecken, die nicht selten mit dem hohen Anteil männlicher Hormone im Körper einhergehen.

Ein paar besonders starke Ausprägungen zeigen Beiträge von Betroffenen in den Sozialen Medien. So demonstrieren zum Beispiel junge Frauen unter den Schlagworten "pcoslife", "pcoscommunity", "pcossupport" und "pcosjourney" ihren Umgang mit schwerer Akne, und ihren Wunsch nach einem Leben ohne die Erkrankung. Aber auch den Versuch, sich so zu akzeptieren, wie sie sind.

"Es gibt kein besseres Du als das Du, das du bist", glaubt eine junge Instagram-Nutzerin namens Madison und postet dazu ein Bild mit rot geflecktem Gesicht. Einige Teile der Akne hat sie darauf bereits mit einem Pickeltupfer bearbeitet.

Eine andere, die Berlinerin Melina Jonas, erzählt von ihren Bedenken, mit Bartstoppeln auf die Straße zu gehen. Sie schreibt: "Es war seltsam heute so raus zu gehen. Es hat sehr viel Überwindung gekostet. Niemand hat mich darauf angesprochen oder komisch geguckt. Ich bin gespannt, ob sich das die nächsten Tage ändern wird. Es wird mehr sein als jetzt...aber ich werde trotzdem ich sein und das ist alles was zählt."

„Der Bart, das war für mich immer ein Zeichen für Männlichkeit. Wenn ich mich übers Wochenende nicht rasiert hatte, war sofort ein Schatten da.“ Der anfänglich leichte Flaum, der sich damals bereits bildete, als andere Mädchen sich für Lipgloss und Jungs interessierten, wuchs sich nach Monaten zu einem ernsthaften Problem für die schüchterne Maria aus. Noch heute möchte sie nicht mit ihrem Syndrom in die Öffentlichkeit treten. Ein Gespräch? Nur, wenn keiner zuhört. Ein Foto? Undenkbar im Moment. „Ich wollte mich nur noch verstecken und eigentlich ist das heute auch noch so. Ich wollte einfach unsichtbar sein. Aber das war in der Klasse, in der ich war, und wo es so viele perfekte Mädchen gab, gar nicht möglich.“

Stoppelige Haut

Heute liegt diese Zeit weit hinter ihr. Sie hat sich irgendwie arrangiert. Mit dem Damenbart und den dichten Haaren auf dem Bauch und den Armen. Auch sie werden mehrmals wöchentlich abrasiert. Ihre Haut fühlt sich fast immer stoppelig an. Dafür schämt sie sich immer noch ein bisschen, Neuanfang hin oder her. Einfach stehen lassen, kommt für sie nicht in Frage. Wachsen lassen schon gar nicht. "Dafür brauche ich bestimmt noch Jahre", sagt sie und schmunzelt, wenn sie an ihr Vorbild Harnaam Kaur denkt - eine junge Frau, die ihr Leben als bärtige Frau in den Mittelpunkt ihrer Instagram-Storys rückt.

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