Knigge für den Zug Von Schnarchern und Smoking-Pflicht: Etikette auf Bahnreisen

Von dpa | 16.07.2019, 17:14 Uhr

Nervige Musik, dicke Luft, störendes Gepäck: Bahnreisen bieten jede Menge Stolperfallen - und was in Deutschland okay ist, geht im Ausland vielleicht gar nicht. Ein kleiner Knigge für den Zug.

Bahnreisen sind komfortabel, umweltfreundlich und bieten Entschleunigung. Doch in Zügen verbringen Fremde auf einem engen Raum viel Zeit miteinander - was keinesfalls immer vergnüglich ist. Darf man einen Schnarcher wecken? Gehören Socken auf den Sitz? Und wohin spucken eigentlich die Chinesen? Neun Regeln, die das Unterwegssein in Zügen für alle angenehmer machen.

Anfassen erlaubt

Wie fast überall gilt auch im Zug: Der erste Eindruck zählt. „Wer ein Abteil betritt, sollte freundlich grüßen und damit eine angenehme Atmosphäre schaffen", sagt die stellvertretende Vorsitzende der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, Linda Kaiser. „Man wird ja auf engem Raum viel Zeit miteinander verbringen." Ein wenig Hilfsbereitschaft kann da nicht schaden - ob beim Verstauen des Gepäcks oder mit einem mitgebrachten Wasser aus dem Bordrestaurant.

Mancherorts darf man den Mitreisenden sogar im Wortsinn unter die Arme greifen: „In China werden Kinder von einem Familienmitglied zum anderen gereicht", erzählt David Scheibler, der auf seinem Zugreiseblog von Bahnfahrten in aller Welt berichtet. Die Chinesen versuchen so, schneller zu ihren Plätzen zu kommen.

Handtuch im Gepäck

Wer im Hotel seine Poolliege mit dem Handtuch reserviert, macht sich schnell unbeliebt. Im Zug allerdings ist das Handtuch ausdrücklich erlaubt. „Der Worst Case in der Bahn sind Füße auf dem Sitz", sagt Kaiser. „Mit Schuhen sowieso, aber es will auch niemand auf den Sockenfusseln oder dem Fußschweiß des Mitfahrers sitzen." Mit einem Handtuch als Unterlage kann man dagegen ungeniert die Beine ausstrecken. Alternativ tut es auch ein Kleidungsstück.

Keine Quasselstrippen sein

Endlos lange Telefonate im Zug nerven nicht nur die Mitreisenden. „Man hat auch eine Verantwortung gegenüber seinem Gesprächspartner", betont Kaiser. Denn im Zweifelsfall hört der ganze Waggon mit. Statt den Streit aus der letzten Nacht in der Bahn fortzusetzen oder die Details eines Geschäftsabschlusses breitzutreten, sollte man persönliche oder pikante Gespräche lieber verschieben. Oder es wie die Franzosen machen: „Da gehen die Leute zum Telefonieren immer in die Wagenzwischenräume, wo niemand etwas mitbekommt", weiß Scheibler.

Ruhe bewahren

Jede Menge Aufkleber an Fenstern und Wänden weisen im Zug drauf hin, dass man mit seiner Musik nicht gleich das ganze Abteil beschallen sollte. Aber auch andere Geräusche können den Mitreisenden gehörig auf den Senkel gehen: „Es gibt nichts Schlimmeres, als drei Stunden lang zuhören zu müssen, wie jemand auf die Tasten seines Laptops haut", sagt Kaiser. Also: Tastentöne ausschalten, sanft tippen - und den Computer so ausrichten, dass der Sitznachbar nicht mitlesen kann.

Geruchsarm schlemmen

Wenn der kleine Hunger kommt, sind Speisen und Getränke, die möglichst wenig duften, ratsam. „Kaffee ist vielleicht noch ganz angenehm, aber der Döner oder auch Mandarinen riechen natürlich sehr stark", sagt Knigge-Expertin Kaiser. Ebenfalls unangenehm: „Chips, die laute Kaugeräusche verursachen."

Wer seinem unbändigen Appetit auf Rollmops mit Zwiebeln trotzdem nachgibt, hält es am besten gleich so wie die Bahnreisenden in Zentralasien: „Da ist es üblich, dass man sein Essen bei den Nachtfahrten mit den anderen teilt", erzählt Scheibler. „Bei Interrail-Fahrten gibt es das übrigens auch, in den Nachtzügen ist man eben eine eigene kleine Gemeinschaft."

Toleranz für Schnarcher

Apropos Nacht: Irgendwann wird der Kopf schwer, und lautes Schnarchen dringt durchs ganze Abteil. Das muss sich nun wirklich niemand gefallen lassen. Oder doch? „Man kann sich nicht mit einem Sixpack Red Bull ausstatten, nur um nicht einzuschlafen", gibt Kaiser Entwarnung für alle geräuschvollen Schläfer. „Wen es stört, der wird Sie anstupsen. In einer Zwangsgemeinschaft muss man manche Dinge aber auch einfach ertragen oder sich Ohrstöpsel mitbringen."

Klettern nur, wenn nötig

Zwar ist es in Zügen meist nicht so eng wie im Flugzeug, auf akuten Platzmangel muss man sich aber auch in der Bahn gefasst machen. „Man sollte lieber aufstehen statt sich zusammenzufalten, wenn jemand seinen Platz verlassen möchte", rät Kaiser.

Wilde Kletterpartien sind dagegen in Ländern unausweichlich, in denen im Schlafwaggon mehrere Betten übereinander installiert sind. „Über das untere Bett müssen die anderen Fahrgäste immer klettern, wenn sie nachts zur Toilette müssen. Und tagsüber wollen alle auf deinem Bett sitzen", weiß Zugreise-Blogger Scheibler.

Die oberste Koje kann von Vorteil sein. „In Kasachstan, in einem alten sowjetischen Waggon, ist mal ein Bett runtergebrochen. Zum Glück lag ich nicht drunter", berichtet Scheibler. „Aber seit diesem Erlebnis buche ich im Schlafwagen immer nur das obere Bett. Lieber auf jemand anderen drauf fallen, als selbst erschlagen zu werden."

Der Dresscode

Grundsätzlich schadet es nie, sich seiner Umgebung anzupassen. Im Luxuszug Royal Scotsman zum Beispiel vertreiben sich die Gäste bei der Fahrt durch die schottischen Highlands mit Tontaubenschießen und Afternoon Tea die Zeit. Klar, dass Jogginghosen da unerwünscht sind. „Zum formalen Dinner werden Smoking und Abendkleid getragen. Wer in Jeans kommt, kriegt nichts zu essen", sagt Gregor Sutter vom Reiseveranstalter Bahnreisen Sutter. Zum dunklen Anzug gibt es nur eine Alternative: Männer dürfen auch im Kilt kommen.

Andere Züge, andere Sitten

Sonderregeln gibt es wohl so viele, wie es Zugreisen gibt. Bahn-Apps oder Reiseveranstalter können durch den Etikette-Dschungel helfen. Wer zum Beispiel mit einem extra schönen Nostalgiezug unterwegs ist, bekommt von Gregor Sutter die wichtigste Maxime sogar schriftlich eingebläut: „Wenn der Zug hält, wird eine Fotolinie aufgezogen, an der alle stehen dürfen - und keiner davor." Eisenbahnfans wollen schließlich tolle Bilder vom Objekt ihrer Begierde machen, und das möglichst ohne den Sitznachbarn im knallroten Holzfällerhemd davor.

Manche Regel lernt man aus eigener Erfahrung: „In China passiert es ständig, dass Leute auf den Boden spucken, das ist dort völlig normal", so Scheibler. „Aber wenigstens machen sie das nicht direkt im Abteil, sondern nur in den Übergängen zwischen den Waggons."

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